Mehr als eine Million Menschen, vorwiegend Uiguren und kasachische Chinesen, werden von der chinesischen Regierung in Straflagern gefangen gehalten und sollen dort gewaltsam umerzogen werden.
Zum ersten Mal erscheint nun ein detaillierter Einblick in den Lageralltag. Die ehemaligen Insassin Sayragul Sauytbay schildert Kontrolle und Unterdrückung durch einen totalitären Überwachungsstaat, dem Experten einen „kulturellen Genozid“ vorwerfen.
Sauytbay liefert einen Gefangenenbericht aus den chinesischen Straflagern
Ende 2019 sorgten geleakte Dokumente, die sogenannten China Cables für weltweites Entsetzen: Berichte, wonach die chinesische Regierung mehr als eine Millionen Uiguren und kasachische Chinesen in Straflagern gefangen hält.
Sayragul Sauytbay liefert nun mit „Die Kronzeugin“ den ersten Bericht einer ehemaligen Gefangenen aus diesen Lagern, in denen die Kommunistische Partei offenbar versucht, die muslimischen Minderheiten im Land auf Parteilinie zu bringen.
Die Heimat der kasachischen Chinesen verwandelt sich langsam in eine Diktatur
„Die Kronzeugin“ ist ein erschütterndes Buch. Es erzählt aber nicht nur von dem grausamen Lagerleben, sondern auch davon, wie sich die Heimat der kasachischen Chinesen langsam in eine totalüberwachte Diktatur verwandelt.
Für Sayragul Sauytbay und ihre Familie ist das Leben bis dahin hart, aber fröhlich. Die Familien halten zusammen, betreiben etwas Landwirtschaft und Viehzucht.
Muslimische Minderheiten wurden zu Staatsfeinden erklärt
Das Leben ändert sich, als das chinesische Militär kommt.
Nach den Anschlägen vom 11. September begann auch die chinesische Regierung einen Krieg gegen den Terror im eigenen Land. Die muslimischen Minderheiten der Uiguren und Kasachen wurden zu Staatsfeinden erklärt.
Kontrollen und Überwachung werden zum Alltag
Sayragul Sauytbay erzählt davon, wie fremd sich die Bevölkerungsgruppen in China sind, berichtet vom Misstrauen, das ihr als kasachische Chinesin an der Universität entgegenschlägt.
Dem dreijährigen Sohn von Sayragul Sauytbay wird im Kindergarten von den Erziehern der Mund zugeklebt, damit er kein Kasachisch redet. Kontrollen und Überwachung bestimmen immer mehr den Alltag.
Als Lehrerin soll Sauytbay die Gefangenen unterrichten
Kurz darauf muss Sayragul Sauytbay als Lehrerin in eines der „Berufsbildungszentren“, wie die Kommunistische Partei die Straflager nennt.
Weil sie Chinesisch und Kasachisch spricht, soll sie die Gefangenen unterrichten.
Laut Lagerordnung steht jedem Gefangenen ein einziger Quadratmeter Platz zu. Sie schlafen dicht aneinandergedrängt. Hundert Personen müssen sich einen Eimer als Toilette teilen.
Die Schilderungen sind selbst beim lesen nur schwer auszuhalten
Als Sayragul Sauytbay den Fehler macht und einer Gefangenen zu nahe kommt, wird sie gefoltert. Die Szenen, die Sayragul Sauytbay beschreibt, sind selbst beim Lesen schwer auszuhalten.
Die Tatsache, dass dies offenbar gerade jetzt in tausenden Lagern in China geschieht, ist unerträglich. Sayragul Sauytbay gelang es zu fliehen. Mit ihrer Familie hat sie in Schweden Asyl bekommen.
„Die Kronzeugin“ als Denkanstoß für Politik und Wirtschaft?
Ihr Fall sorgte international für Aufsehen. Sie sagt:
„Als Trost bleibt mir, dass mein Fall allen anderen Flüchtigen, die nach mir aus Ostturkestan folgten, ein wenig den Weg geebnet hat.“ Über die eine oder andere geschliffene Formulierung, mit der die Journalistin Alexandra Cavelius Sayragul Sauytbays Bericht im Buch wiedergibt, liest sich hinweg.
„Die Kronzeugin“ könnte dafür sorgen, dass die Diskussionen auch hierzulande weitergehen, wie sich Politik und Wirtschaft künftig gegenüber der chinesischen Regierung verhalten sollen.