Buchkritik

Alex Capus – Das kleine Haus am Sonnenhang

Stand
Autor/in
Julia Schröder

Italien in den Neunzigern: eine Zeit, an die Alex Capus sich offenkundig gern erinnert, mit bedienten Tankstellen, exzessivem Rauchen und ohne Internet. Aber im Gewand netter Anekdoten serviert er eine ganze Poetik.

Der Schweizer Alex Capus ist einer der beliebtesten Gegenwartsautoren seines Landes. Was das Geheimnis seines Erfolgs sein könnte, mag mancher sich fragen, sind doch die Hauptfiguren seiner bisher elf Romane weder Superhelden noch Superschurken, und bisweilen sehen sie sogar, wie in Capus‘ Roman „Das Leben ist gut“ ihrem Schöpfer ausnehmend ähnlich.

Dessen neues Buch „Das kleine Haus am Sonnenhang“ ist kein Roman, obwohl es wie einer anfängt. Dieses Mal scheint es wirklich der Autor höchstselbst zu sein, der hier spricht, und auf den ersten Seiten könnte man glauben, der habe einfach mal ein paar nette Episoden aus seinem eigenen, mittlerweile 62-jährigen Leben erzählen wollen. In deren Zentrum steht das titelgebende kleine Bruchsteinhaus am Sonnenhang, im Seitental eines Seitentals im Piemont, das Capus in seinen Dreißigern, nicht mehr Student und noch nicht Schriftsteller, für kleines Geld gekauft hatte.

„Wenn meine damalige Freundin und ich mit unserem gelben Renault 4 aus der Schweiz anreisten, bogen wir in Sichtweite des Hauses von der Strada Provinciale ab und schlingerten auf einem Feldweg hinunter zu einem ausgetrockneten Bachbett, das wir mit Karacho durchqueren mussten, um es auf der anderen Seite den steilen Hang hinauf bis zum Haus zu schaffen.“

Ohne Handy, mit Hermes Baby

Die damalige Freundin ist, wie sich bald herausstellt, die Ehefrau des Autors, Nadja Capus, heute Professorin für internationales Recht und Mutter der gemeinsamen fünf Söhne. Es ist dann viel die Rede von den Instandhaltungsarbeiten am Haus, von den kaum je sichtbaren Nachbarn im gegenübergelegenen Dorf, von sommerlichen Besuchern und den Vergnügungen des Landlebens, vom Erwerb eines Kachelofens, von der nächstgelegenen Kleinstadt, auch von der vom Erzähler frequentierten Bar dort und deren Stammgästen, mit denen er sich anfreundet. Und vom Tippen auf der Hermes Baby, von den Zeiten ohne Internet und Smartphone, dafür mit anderen Eigenheiten:

„Es waren die neunziger Jahre, wie erwähnt, damals rauchte man noch. Was haben wir geraucht! Wir rauchten alle, und wir rauchten überall und jederzeit. (…) Keine Ahnung, warum wir dermaßen geraucht haben. Irgendetwas muss schon dabei gewesen sein. Sonst hätten wir’s doch nicht getan.“

Das ist alles recht unterhaltsam, fein beobachtet und fein beschrieben … Und als man sich gerade zu fragen beginnt, warum eigentlich Alex Capus das alles erzählt, stellt man fest, dass in diesem Buch doch viel mehr steckt als eine Reihe nostalgisch-skurriler Ferienerlebnisse.

Wesen und Wirkung der Kausalkette

Unmerklich haben sich dazwischen nämlich Überlegungen und Bekenntnisse zum Schreiben, zum eigenen und zu dem der anderen, gewoben. Zunächst einige Bemerkungen zum Unterschied, den es macht, ob man Bücher auf Papier und Schreibmaschine entwirft und überarbeitet oder mit der Textverarbeitung auf dem Computer, dann zur Frage, wie die Züge realer Personen in fiktive Figuren einfließen und wie sie sich dort verändern.

Schließlich entwickelt Capus, in Gestalt einer Geschichte über einen aufgebrochenen Opferstock und die konstruktive Ermittlungsarbeit des kleinstädtischen Maresciallo, originelle Gedanken, betreffend die überzeugende Konstruktion und – mindestens so wichtig - den überzeugenden Abschluss von Kausalketten in der Literatur, er nennt sie auch „Fährten“.

Die sind für Alex Capus eine unabdingbare Voraussetzung des Erzählens. Oder jedenfalls für seines:  

„Wir kommen zur Welt und dann geschehen ein paar Dinge, die nicht unbedingt miteinander in Zusammenhang stehen, und dann sind wir tot. Diese Vorstellung ertragen wir schlecht. Uns verlangt es nach Sinn, deshalb schmieden wir Kausalketten und erzählen einander Geschichten. Grimms Märchen sind Kausalketten, und zwar lückenlose, sonst könnten die Kinder nicht einschlafen.“

Diese Überlegungen sind sympathisch lebensnah. Und dabei immer wieder leise ironisch.

„Oder Hollywood: Zwei junge Leute verlieben sich an Bord der Titanic, dann kommt ein Eisberg und Leonardo DiCaprio ertrinkt.
Kausalketten, soweit das Auge reicht.“

Die Großen werden nicht geschont

Die Ironie verschont allerdings auch die Großen des Erzählgewerbes nicht. So macht Capus sich ein bisschen lustig über die schwächliche Erregungsstimulation bei Marcel Proust durch ein paar erinnerte Krümel eines nicht sonderlich spektakulären Gebäcks. Dem „Ulysses“ von James Joyce wiederum gesteht er zu, es handele sich gerade wegen der Verweigerung jeder Kausalität um einen Meilenstein der Weltliteratur.

„Das mag als Experiment bahnbrechend gewesen sein, macht das Buch aber, seien wir ehrlich, für die meisten Menschen unlesbar.“

Ganz im Gegensatz zu dem, was Capus hier serviert. Auf sehr leicht lesbare Weise, in der Art eines Feuilletons, jubelt dieses Buch seiner Leserschaft eine ganze Menge Überlegenswertes zum Leben und zum Schreiben unter, verbindet autofiktionales Erzählen mit einer kleinen, vielleicht gar nicht mal so kleinen Poetik.

Die Jahre in der Abgeschiedenheit des Piemont, im kleinen Haus am Sonnenhang, gehen irgendwann zu Ende, mit einem Schuss, einem entwendeten Kachelofen und einem endlich fertig geschriebenen Romanmanuskript.

Einiges lässt Alex Capus so in der Schwebe, dass es als produktive Unruhe im Gemüt weiterwirkt. Allgemeingültigkeit beansprucht das alles natürlich nicht. Aber wo gäbe es die je in der Literatur?

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