Der Tag der deutschen Einheit sei ihr mit den Jahren immer wichtiger geworden, sagt die Journalistin Valerie Schönian, die 1990 in Sachsen-Anhalt – wenige Tage vor der Wiedervereinigung – zur Welt kam. Die unterschiedlichen Perspektiven in Ost und West als Gewinn zu betrachten, würde die Gesellschaft mehr voranbringen als die Markierung der Unterschiede, betont sie im Gespräch mit SWR Kultur.
Fall der Mauer hat alles verändert
In den letzten Jahren, in denen sich Schönian immer mehr mit ihrer ostdeutschen Identität auseinandergesetzt habe, sei ihr aufgefallen, „wie viele Fäden meines Lebens damit zusammenhängen, dass es die Einheit gibt, dass die Mauer gefallen ist: „Also ich bin Journalistin in einer freien Presselandschaft. Ich bin mit einem westdeutschen Mann verheiratet. Ich lebe tatsächlich auch mittlerweile in West-Berlin und mein Leben wäre tatsächlich ein total anderes“, so Schönian.
Was macht ostdeutsche Identität aus?
Ostdeutsches Bewusstsein bilde sich auch dadurch heraus, dass „ostdeutsch“ immer eine gesonderte Zuschreibung sei, sagt die Autorin. Wenn es beispielsweise im Diskurs um westdeutsche Geschichte ginge, würde allgemein von „deutscher Geschichte“ gesprochen. Bei allem was im Osten des Landes passiert, würde das dagegen als „ostdeutsch“ markiert.
Da Ostdeutschland zusätzlich oft mit rechtextremen Phänomenen wie der AfD gleichgesetzt werde, fände sich eine ganze Nachwendegeneration in der Bezeichnung "ostdeutsch" überhaupt nicht wiedergegeben.
Wie geht Deutsche Einheit besser?
Es gelte, immer wieder auf die strukturellen Unterschiede hinzuweisen, die ost- und westdeutsche Erfahrungen unterschiedlich prägten, so Schönian. Dabei müssten auch Machtunterschiede aufgehoben werden. Bei der Artikulation von ostdeutschem Bewusstsein gehe es also nicht nur um Gefühligkeit, sondern um die Aufhebung struktureller Benachteiligung.
Unterschiedliche Perspektiven als Gewinn betrachten
Diese unterschiedlichen Erfahrungen prägten auch die Perspektiven, mit denen man auf das Leben und die Gesellschaft blicke, sagt Schönian. Diese unterschiedlichen Perspektiven als Gewinn zu betrachten, würde die Gesellschaft mehr voranbringen als die Markierung der Unterschiede, ohne dass man die Aufhebung der strukturellen Machtverhältnisse aus dem Blick verliert, betont die Autorin.
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