„We are hope despite the times“, sangen R.E.M schon 1986 Rin ihrem Song „These Days“. Der Satz „Wir sind Hoffnung, trotz der Zeiten“ gibt einem nun veröffentlichten digitalen Album der amerikanischen Band seinen Titel. Das Erscheinungsdatum, der 17. September, ist nicht zufällig gewählt: Es handelt sich um den „National Voter Registration Day“ in den USA, den offiziellen Tag zur Wählerregistrierung.
Mit dieser Sammlung bekannter Songs, die sich mit Themen wie Aktivismus, Krieg, Umweltgerechtigkeit und sozialer Verantwortung beschäftigen, will die Band ihre Zuhörer*innen dazu ermutigen, informiert und engagiert zu bleiben und vor allem in dieser kritischen Wahlzeit wählen zu gehen.
Die Stimme erheben
„Viele Popmusiker*innen haben den Antrieb, sich zu äußern, weil sie die Lebenswelt abbilden und auf viele Missstände hinweisen“, erklärt Dr. Jörg-Uwe Nieland, Kommunikationsexperte der Universität Klagenfurt. „Sie verstehen sich als politisch-gesellschaftliche Stimme und wollen denjenigen eine Stimme geben, die unterdrückt sind.“
Nieland betont, es müsse jedoch zwischen zwei Gruppen von Künstler*innen unterschieden werden. Die eine Gruppe setze sich für bestimmte Themen wie Frauenrechte, Frieden, gegen Rechts oder für das Wählen ein, aber das bedeute noch nicht, dass sie sich für eine Partei entscheiden. Die zweite, die deutlich kleiner ist, positioniere sich hingegen auf der Seite einer bestimmten Partei oder im Fall des amerikanischen Wahlsystems hinter einer Person.
Musik und Politik: Eine lange Tradition
Auch rückblickend, bereits in den 1960er-Jahren mit der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung, haben sich Musiker wie Harry Belafonte oder Bob Dylan zu politischen Themen geäußert, erklärt Nieland. Elvis nahm beispielsweise ebenfalls eine politische Position ein, indem er bei Veranstaltungen für Richard Nixon auftrat.
2012 „Frauenstimmen für Obama“
Auch bei den letzten Wahlkampagnen von Barack Obama haben sich viele Prominente deutlich positioniert. 2008 war es zum Beispiel Oprah Winfrey, die eine sehr starke mediale Wirkung hatte.
Bei seiner zweiten Kandidatur sprachen sich dann viele Schauspieler*innen wie Eva Longoria, Julianne Moore und Popstar Beyoncé in einem Video namens „Women's Voices - Join Women for Obama“ für ihn aus.
Jahre später bekundeten Popstars wie Katy Perry und Demi Lovato offen ihre politische Präferenz für Hillary Clinton. Und natürlich bildet auch die US-Präsidentschaftswahl 2024 keine Ausnahme.
„Popkultur ist Politisch“
„Popkultur ist politisch“, sagt Nieland und die Politik hätte längst verstanden, „dass sie die Popkultur brauche“ – in den USA auch aus finanziellen Gründen, aber vor allem zur Mobilisierung von Wählern. Andernfalls würden Harris und Walz keine von Taylor Swift inspirierten Freundschaftsbänder mit der Aufschrift „Harris / Walz“ drucken lassen, so Nieland.
Taylor Swfit: Stolz eine „Katzenlady“ zu sein
Taylor Swift hatte sich bereits im Vorfeld für Kamala Harris ausgesprochen, aber nach dem TV-Duell zwischen Donald Trump und Kamala Harris wurde ihre Haltung noch deutlicher: Swift postete ein vermeintlich harmloses Bild auf Instagram, das prompt viral ging.Als „kinderlose Katzenlady“ – wie Trump Harris-Wählerinnen abgestempelt hat – erklärte sie ihre Unterstützung für die Demokratin.
Die Macht der Popkultur
Wie stark Popkultur und Stars wie Swift das Wahlergebnis beeinflussen können, zeige allein die „patzige Reaktion“ von Trump und seinem Wahlteam auf Swifts Positionierung, erklärt Nieland. „Sie haben Panik davor, dass die Swifties in Scharen zur Wahl gehen und für Harris stimmen.“
Für das Team Harris-Walz haben sich auch Pink und Stevie Wonder positioniert. Je näher die Wahl rückt, desto mehr Künstler*innen würden sich positionieren, meint Nieland.
Billie Eilish und Finneas O’Connells Appell „Wählt für die Demokratie“
Auch Billie Eilish und ihr Bruder Finneas O’Connell haben am Tag des „National Voter Registration Day“ in einem Instagram-Video ihre Follower nicht nur dazu animiert, wählen zu gehen, sondern auch erklärt, wie sie wählen werden: „Wir wählen Kamala Harris und Tim Walz“, sagt Eilish, „weil sie sich für unsere Reproduktionsfreiheit, unsere Umwelt und Demokratie einsetzen.“
„Wir dürfen nicht Extremisten die Kontrolle über unser Leben, unsere Freiheit und unsere Zukunft überlassen“, ergänzt ihr Bruder.
Musik und Politik in Deutschland
2025 wird auch für Deutschland ein politisch entscheidendes Jahr sein. Nieland sieht auch hier im Land eine lange Tradition, in der sich Musik und Politik vermischen: „Wir haben viele politische Bands“, sagt er, die sich vor allem für politische Themen einsetzen.
Nieland nennt als Beispiele vor allem Punkbands wie Ton Steine Scherben, Die Ärzte, Die Toten Hosen aber auch die Fantastischen Vier, Rio Reiser oder Nina Hagen. Bei der letzten Bundestagswahl 2021 unterstützte der Liedermacher Konstantin Wecker beispielsweise öffentlich die Grünen.
Politik nicht nur in der Rockmusik
Im Frühjahr erschien eine Ausgabe des „stern“ mit dem Titel „Nicht mit uns“. Auf dem Coverbild waren viele deutsche Prominente zu sehen, darunter Schlagersängerin Helene Fischer und Udo Lindenberg. Sie positionierten sich gemeinsam gegen Rechtsextremismus.
Dafür bekam die Sängerin Helene Fischer viel Lob, aber auch viele Hasskommentare auf ihren Social-Media-Kanälen. Wenn jemand, der normalerweise nicht politisch singt, sich plötzlich politisch äußert, bewertet Jörg-Uwe Nieland dies als positiv: „Die Künstlerin gewinnt Ansehen, indem sie ihre politisch-gesellschaftliche Funktion wahrnimmt“, sagt er.
Wenn man sich entscheide, eine Position zu beziehen, dann „ist das ein Merkmal von Zivilcourage und setzt ein Zeichen für die Fans“. Mit dem Näherrücken der Bundestagswahl 2025 müssen wir hier, genauso wie gerade in den USA, damit rechnen, dass sich immer mehr Künstler*innen politisch positionieren werden, so Nieland.