Kinofilm arbeitet Geiseldrama auf

Was wir aus dem medialen Versagen beim Münchner Olympia-Attentat lernen können

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Autor/in
Helen Roth
Helen Roth

Welche Regeln gelten bei der Live-Berichterstattung in Krisensituationen? Ab wann unterstützt man den Terror? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Kinofilm „September 5 - The Day Terror Went Live“, der sich kritisch mit der Rolle der Medien beim Münchner Olympia-Attentat 1782 auseinandersetzt. Bezieht man in die Debatte Soziale Medien ein, sind die Fragen aktueller den je.

Die Live-Berichterstattung über Krisen und Terroranschläge sorgt immer wieder für Spannungen – und für Kontroversen. Als die Welt 1972 während der Olympischen Spiele in München live die Geiselnahme durch palästinensische Terroristen verfolgte, wurde deutlich, wie machtvoll das Fernsehen sein kann.

Doch es zeigte auch, welche moralischen Fragen eine Echtzeit-Berichterstattung aufwirft. Mehr als 50 Jahre später sind diese Fragen aktueller denn je.

Olympia-Attentat
Kameraleute und Schaulustige beobachteten die Geiselnahme im israelischen Quartier des Olympischen Dorfes. Mehrfach versuchte die Polizei, die Menschen zurückzudrängen.

Rückblick auf München 1972: Ein moralischer Wendepunkt

Am 5. September 1972 versammelte sich die Welt fassungslos vor den Bildschirmen: Bewaffnete palästinensische Attentäter der Terrororganisation „Schwarzer September“ hatten elf israelische Olympiateilnehmer als Geiseln genommen. Die Medien übertrugen das Geschehen live, die Zuschauer erlebten eine Mischung aus Drama, Unsicherheit und Tragödie.

Attentäter auf Balkon bei Olympia-Attentat in München
Einige der Attentäter zeigten sich immer wieder auf dem Balkon der Wohnanlage, um die Lage um das Gebäude herum zu sondieren.

Doch die Übertragung hatte fatale Konsequenzen: Die Geiselnehmer konnten die Polizeiarbeit live verfolgen und ihre Pläne entsprechend anpassen. Das Ergebnis war eine Katastrophe, die elf Zivilisten und einen Polizisten das Leben kostete. Außerdem starben bei der völlig missglückten Befreiungsaktion fünf Terroristen.

„Wir mussten zuschauen, wie die Medien zur Waffe wurden“, erinnert sich der ehemaliger ARD-Reporter Gerd Ruge später. Die Ereignisse von 1972 gelten heute als Wendepunkt in der Ethik der Krisenberichterstattung. Sie haben eine Diskussion über Verantwortung und Grenzen angestoßen, die bis in die Gegenwart reicht.

Die Parallelen zur Berichterstattung heute

Die technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben die Dynamik der Live-Berichterstattung grundlegend verändert. Fernsehen ist dabei längst nicht mehr das einzige Medium, das in Echtzeit über Krisen berichtet: Smartphones, soziale Medien und Livestreams haben eine neue Dimension geschaffen – und mit ihr neue Herausforderungen.

Menschenströme nach dem Anschlag auf die Konzerthalle Bataclan
Passanten und Polizisten stehen vor der abgesperrten Konzerthalle Bataclan in Paris. Islamistische Terroristen hatten dort am 13. November 2015 ein Blutbad verübt, 92 Menschen ermordet und Geisseln genommen.
  • Gefahr durch Echtzeit-Informationen: Auch heute können Täter die Berichterstattung nutzen, um Polizeieinsätze zu beobachten. Während der Terroranschläge im Pariser Bataclan 2015 warnten Sicherheitsbehörden davor, Details über Polizeipositionen öffentlich zu machen. Doch Tweets und Livestreams aus der Nähe der Konzerthalle verbreiteten sich unkontrolliert.
  • Sensationalismus und menschliches Leid: Wie schon in München gleicht für die Medien die Balance zwischen Informationspflicht und Respekt vor den Betroffenen einem Drahtseilakt. Unzensierte Bilder von Opfern kursierten etwa nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 – oft verbreitet von Beobachtern über soziale Netzwerke.
  • Manipulation durch Täter: Ein recht neuer Aspekt ist die gezielte Nutzung von Medien durch Terroristen. Der Attentäter von Christchurch (2019) übertrug seinen Angriff live auf Facebook, makaber inszeniert wie ein Videospiel. Diese Form der Propaganda stellt nicht nur Medien, sondern auch Plattformen vor ethische und technische Herausforderungen.
Menschen gedenken der Opfer des Attentats in Christchurch
Menschen gedenken der Opfer des Attentats in Christchurch (Neuseeland). Bei dem Terroranschlag auf zwei Moscheen tötete der Attentäter 51 Menschen und verletzte 50 weitere, einige davon schwer.

Rolle der Sozialen Medien: Entziehen sich Musk und Zuckerberg ihrer Verantwortung?

Beim Attentat in München gab es noch kein Internet, geschweige denn Soziale Netzwerke. Heute spielen Plattformen wie X, Facebook und TikTok eine zentrale Rolle. Augenzeugen posten oft direkt vom Ort des Geschehens, wodurch Journalisten und Institutionen die Kontrolle über die Narrative verlieren.

Gleichzeitig können Terroristen gezielt diese Plattformen nutzen, um Angst und ihre Ideologien zu verbreiten. So inszenierte der Christchurch-Attentäter den Anschlag wie ein Videospiel, um maximale Aufmerksamkeit zu erzielen. Daneben streuen Terroristen auch bewusst Desinformationen, um eine Diskussion zu entfachen oder Anschläge zu verschleiern.

Elon Musk und Marc Zuckerberg
Mark Zuckerberg und Elon Musk betonen die Bedeutung der freien Rede, jedoch oft auf Kosten von Verantwortung und Regulierung.

Zieht man nun in Betracht, dass Mark Zuckerberg plant – ähnlich wie Elon Musk – auf Facebook, Instagram und Threads bewusst auf Faktenchecks zu verzichten, wird deutlich, dass soziale Medien zu einer unkontrollierbaren Waffe werden können. Das Recht auf freie Rede ist sicherlich eines der höchsten Güter der Demokratie. Doch wie geht man damit um, wenn eben dieses Recht ausgenutzt wird, um die Demokratie zu zerstören?

Diese Frage und weitere werden zunehmend die Gesellschaft und die Politik beschäftigen. Sicher ist: Sowohl Zuckerberg als auch Musk stehen in einem Spannungsfeld zwischen Innovation, Verantwortung und öffentlicher Kritik. Ihre Entscheidungen werden weiterhin die Zukunft der sozialen Medien und ihren Einfluss auf die Gesellschaft formen.

Verantwortung in der Krisenberichterstattung

Die Berichterstattung über Krisen steht seit München 1972 vor einer zentralen Herausforderung: Wie können Medien informieren, ohne Schaden anzurichten? Auch heute müssen Medienleute und Plattformen zwischen Öffentlichkeitsinteresse und Verantwortung abwägen.

Damit beidem Rechnung getragen wird, sind der Schutz von Menschenleben, der respektvolle Umgang mit Betroffenen und eine transparente ethische Haltung essenziell. Gleichzeitig erfordert die Dynamik digitaler Plattformen wie Instagram oder X eigentlich schnellere und verantwortungsvollere Reaktionen, um Missbrauch zu verhindern.

Neue Technologien und gesellschaftliche Erwartungen stellen die Medien vor immer neue Prüfungen. Doch ein Factum bleibt: Medien tragen in Krisenzeiten nicht nur die Rolle von Beobachtern, sondern auch von Akteuren mit großer Verantwortung. Nur durch den bewussten Umgang mit dieser Verantwortung kann das Vertrauen in die Berichterstattung langfristig gesichert werden.

„September 5 - The Day Terror Went Live“ ab 9. Januar 2025 im Kino

SEPTEMBER 5: The Day Terror Went Live Trailer German Deutsch (2025)

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