Festival in Stuttgart

Comeback des Kohl-Gemüses: Kraut ist Superfood und Kunstobjekt

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Autor/in
David Kirchgeßner
David Kirchgeßner ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz.

Unfassbar gesund, nachhaltig und trotzdem von vielen verschmäht: Kraut und Kohl polarisieren. Dabei spielen Kohlköpfe in Kultur und Küche seit Jahrhunderten eine prominente Rolle. Ein Festival in Stuttgart will nun das kohlige Image aufpolieren.

Einer der größten Feinde von Seeleuten war bis ins 18. Jahrhundert die Mangelerkrankung Skorbut. Die Symptome Fieber, Schmerzen, Zahnausfall und Schlimmeres rafften ganze Schiffsbesatzungen dahin. Der Brite James Cook schaffte es als erster großer Kapitän, seine Mannschaften auf den monatelangen Überfahrten vor dem fatalen Vitamin-C-Mangel zu bewahren – mit Hilfe von Sauerkraut und Zitronensaft. Das Kraut trat auf die Weltbühne und wurde zum Gamechanger für die Globalisierung, wie man heute sagen würde.

So gesund ist Kohlgemüse

Einem Teil der Menschheit wäre ohne die Expeditionen von Cook in die Südsee und anderen sogenannten Entdeckern wohl viel Leid und Unterdrückung erspart geblieben. Nun aus historischen oder ethischen Gründen auf den Verzehr von Kohlgemüse aus der Familie der Kreuzblütler (Brassicacea) zu verzichten, wäre jedoch die falsche Konsequenz.

Denn Kohl – je nach Region und Sorte auch Kraut genannt – hat jede Menge Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, dafür jedoch wenig Kohlenhydrate. Gut für die Darmflora soll er auch noch sein.

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Die positiven Eigenschaften von Kohl, zu dem auch der Brokkoli gehört, machen die verschiedenen Sorten zu einem idealen Bestandteil für eine gesunde und bewusste Ernährung.

Vom Wildkohl der Antike bis heute

Dass in der Kulturpflanze Kohl viel Gutes steckt, wusste man schon in der Antike. Die alten Griechen und Römer kultivierten den damals noch wilden Kohl und bauten ihn als Gemüse und zu Heilzwecken an. Aristoteles und Hippokrates rühmten seine Heilwirkungen.

Der römische Staatsmann Cato (234-149 v. Chr.) schrieb: „Es ist der Kohl, der an der Spitze aller Gemüsearten steht. Iss ihn entweder gekocht oder roh. Wenn du ihn roh isst, tunke ihn in Essig ein. Wunderbar hilft er verdauen, führt guten Stuhlgang herbei.“

Es ist der Kohl, der an der Spitze aller Gemüsearten steht.

Die ganze Welt kennt Kohl

Kohl-Varianten werden heute in der ganzen Welt angebaut und haben über Jahrhunderte ganze Gesellschaften mit Nährstoffen versorgt. In Polen gibt es Bigos mit Weißkohl, Farikal in Norwegen, Borschtsch in Russlands. In den USA isst man Cole Slaw, Palmkohl gehört in Portugals Caldo Verde, Chinakohl in koreanisches Kimchi.

Auch in der Kunst und Kultur schlägt sich diese Bedeutung nieder. Regionale Bräuche und unzählige Darstellungen in der Kunst greifen Kraut- und Kohlmotive auf.

Bilder zum Kraut
Dass die Franzosen eine besonders innige Beziehung zum Kohl haben lässt sich schon am Filmklassiker „Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe“ von 1981 erkennen. Der alte Bauer Claude (Louis de Funès) bekommt darin Besuch von einem Außerirdischen (Jacques Villeret), der ganz versessen auf seine Kohlsuppe ist. Bild in Detailansicht öffnen
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Liebende in Frankreich nennen sich auch „mon petit chou“ – mein kleiner Kohl. Ob es wohl deshalb zur Züchtung dieser - nur zur Dekoration gedachten - Kohlsorte in Südfrankreich kam? Oder hat da jemand den Rosenkohl zu wörtlich genommen? Bild in Detailansicht öffnen
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Auch die selbsternannte Hauptstadt des Sauerkrauts findet sich bei unseren westlichen Nachbarn: In Krautergersheim im elsässischen Département Bas-Rhin wird die „Fête de la Choucroute“, das Sauerkrautfest, mit einem großen Umzug gefeiert. Bild in Detailansicht öffnen
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Auf dem Balkan schätzt man den Kohl ebenfalls: Männer halten bei einer Hochzeit in Lubinjë e Poshtme (Donje Ljubinje) aufgespießte Kohlköpfe in die Luft. Der Ort im Kosovo ist bekannt für seine traditionellen Hochzeitsrituale und wird bewohnt von der Volksgruppe der kosovarischen Bosniaken. Bild in Detailansicht öffnen
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Kraut oder Kohl gehören zur deutschen Küche von Nord bis Süd. Das zeigt auch diese sechs Hektar große Deutschlandkarte aus 20.000 Kohlköpfen, die anlässlich der 19. Dithmarscher Kohltage 2005 aus einem Kohlfeld ausgeschnitten wurde. Jährlich werden in der Region rund 80 Millionen Kohlköpfe geerntet. Bild in Detailansicht öffnen
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Zum Start der Grünkohlsaison mit dem Einsetzen des ersten Frostes finden in weiten Teilen Norddeutschlands Kohlfahrten oder Grünkohlwanderungen statt. Bei einer solchen Kohltour ziehen die Teilnehmer mit Bollerwagen los, um anschließend gemeinsam Grünkohl zu essen. Das eine oder andere alkoholische Getränk wird unterwegs natürlich auch genossen. Bild in Detailansicht öffnen
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Auch die Regierenden kommen nicht am Kraut vorbei: Der damalige schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) und die lokalen Kohlregentinnen präsentieren Ende September 2016 in Westerdeichstrich frisch geschnittene Kohlköpfe. Mit dem traditionellen Schnitt im Rahmen der Dithmarscher Kohltage wurde so offiziell die Kohlsaison 2016 eröffnet. Bild in Detailansicht öffnen
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Karriere als Protest-Gemüse in den 1990ern: Bauleute zertreten und zerschlagen im März 1997 vor der Berliner Siegessäule Kohlköpfe. Der Hintergrund: Protest gegen wachsende Arbeitslosigkeit und Billiglöhne. Bild in Detailansicht öffnen
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Menschen protestieren im Mai 1995 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Mainz mit aufgespießten Kohlköpfen gegen Helmut Kohl (CDU) und seine Politik. Der hatte ab 1990 das Schlagwort „blühende Landschaften“ geprägt, das die ökonomische Zukunftsperspektive für die neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung beschreiben sollte. Bild in Detailansicht öffnen
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Auch in China essen sie Kohl nicht nur. Diese jungen Menschen ziehen 2014 bei einem Festival in der Hauptstadt Peking statt tierischer Begleiter an der Leine Kohlköpfe hinter sich her. Sie nehmen dabei Bezug auf die Fotoserie “Walking the Cabbage” des Künstlers Han Bing. Bild in Detailansicht öffnen
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Dieser Kohl kann Mathe: Die Türmchen der Blumenkohlsorte Romanesco sind sogenannte Fibonacci-Spiralen und so ausgerichtet, dass kein Röschen senkrecht über einem anderen wächst – für eine maximale Lichtausbeute. Bei der Fibonacci-Folge ist jede Zahl gleich der Summe aus ihren beiden Vorgängern. Mit ihr lassen sich zahlreiche Wachstumsvorgänge in der Natur beschreiben. Die Romanesco-Strukturen sind außerdem fraktal, also selbstähnlich. Jedes Türmchen des Musters ähnelt dabei dem ganzen Kohl. Bild in Detailansicht öffnen
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Schon in der Antike waren die positiven Eigenschaften von Kohl bekannt. Auch im Mittelalter blieb dieses Wissen erhalten. Dieses Bild stammt aus dem Tacuinum sanitatis, einer Reihe mittelalterlicher Bilderkodizes auf Grundlage des Werkes Taqwim as-sihha aus dem 11. Jahrhundert des Arztes Ibn Butlan aus Baghdad. Die Bilderhandschriften waren als Hausbücher für das gehobene Bürgertum und den Adel gedacht. Sie enthalten neben Rezepten auch Gesundheitsratschläge sowie Wissenswertes zu Pflanzen und zum Ackerbau. Bild in Detailansicht öffnen
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Ein Klassiker im Kunstunterricht: Die Gemälde aus der Gruppe „Vier Jahreszeiten“ des italienischen Malers der Spätrenaissance Giuseppe Arcimboldo. Bei seinen figürlichen Darstellungen nutzt er für die jeweilige Jahreszeit charakteristische Pflanzen und Pflanzenteile. So ist beim „Frühling“ das Gewand aus grünem Blattwerk zusammengestellt - erkennbar sind auch Kohlblätter. Bild in Detailansicht öffnen
Bilder Kraut
In der Malerei finden sich immer wieder Kohlmotive – auch bei den großen Meistern der modernen Malerei. Der Niederländischer Vincent van Gogh schuf im Herbst 1887 das Bild „Rotkohl und Zwiebeln“. Bild in Detailansicht öffnen
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Kohlbilder sind auch vom deutschen Maler Max Liebermann erhalten. So wie „Kohlfeld im Wannseegarten nach Westen“ von 1917. Hier malte der Künstler den Garten seiner Villa in Berlin-Wannsee. Liebermann gehört zu den bedeutendsten Vertretern des deutschen Impressionismus. Bild in Detailansicht öffnen
Bilder Kraut
Der norwegische Maler Edvard Munch schuf mit „Der Schrei“ das erste expressionistische Bild der Kunstgeschichte, widmete sich aber auch dem Kohl. Ein Beispiel: „Der Mann im Kohlfeld“ von 1916. Bild in Detailansicht öffnen
Bilder zum Kraut
Für das Superkraut Festival in Stuttgart haben Künstlerinnen und Künstler teils extra Werke zu Kraut und Kohl angefertigt. So wie diese Fotografie von Marius Sperlich, einem Künstler aus Berlin. Kurator Tim Bengel erklärt: „Der hat davor, glaube ich, noch nie was mit Kraut gemacht. Und dann hat er diese fantastischen Kraut-Lippen in Szene gesetzt.“ Insgesamt gibt es bei dem Festival bis Ende September Werke von 12 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Bild in Detailansicht öffnen

Comeback der Fermentation

Warum sind Grünkohl, Brokkoli, Wirsing & Co. aber heute so unbeliebt bei vielen Menschen? Liegt es am Geruch bei der Zubereitung? Oder den Nebenwirkungen, mit denen mancher empfindliche Magen-Darm-Trakt auf den Verzehr reagiert?

Während Corona erlebte so manche altbewährte Haushaltstechnik ein Revival, die Lebensmittel verträglicher oder haltbarer machen soll: Zum Beispiel das Backen mit Sauerteig oder das Fermentieren, also Haltbarmachen mithilfe von Bakterien – wie bei Sauerkraut und Kimchi.

Doch schon vor Corona war auch abseits der traditionellen Küche eine Rückbesinnung aufs Kraut zu erkennen. Nach sogenannten Superfoods wie Gojibeeren oder Chiasamen, die oft von weit weg und aus wenig nachhaltigem Anbau stammen, rückten regionale und nachhaltigere Alternativen in den Blick der Ernährungsexperten und Superfood-Fans. Auch der Spitzkohl und seine Verwandten.

Aus Kraut kann man auch Kunst machen

Der Kohl ist also zurück! Auch in der Kunst. In Stuttgart arbeitet aktuell das Superkraut Festival an einem Image-Update für die Kraut- und Kohlfamilie. Mit einem Mix aus Gegenwartskunst und kulinarischen Events.

„Kraut und Kohl gehören nicht nur auf den Teller, sondern sind Teil unserer Kultur, Geschichte und Kunst“, sagt Dr. Torben Giese, Gastgeber und Direktor des StadtPalais – Museum für Stuttgart.

Für die Ausstellung „Superkraut Art“ hat der bekannte Esslinger Künstler und Kraut-Fan Tim Bengel sein Netzwerk durchforstet, weltweit zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler recherchiert und um Kohl-Kunst gebeten. Fast alle Werke sind extra fürs Festival entstanden.

Bis zum 24. September dreht sich im StadtPalais – Museum für Stuttgart alles ums Kraut. Und natürlich darf auch gekostet werden. Vielleicht finden Kohl und Kraut so ja neue Fans.

Mehr zum Kraut in der Kulturgeschichte

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