Ein Zeugnis für die Nachwelt
Erst kürzlich hat es wieder Einer getan: Mit einem Schlüssel ritzte ein britischer Tourist eine Liebesbekundung in das Mauerwerk des Kolosseums. Nicht das erste Mal, dass das altehrwürdige Gebäude für eine persönliche Botschaft genutzt wurde: Bereits 2014 hatte ein Reisender Buchstaben ins Gemäuer geritzt, zwei Amerikanerinnen hinterließen 2015 ihre Initialen an Ort und Stelle.
Solche oder ähnliche Nachrichten stoßen auf großes Interesse und sorgen für Diskussionen über fehlenden Respekt vor historischen und kulturellen Werten. Dabei hat es eine lange Tradition, seinen Namen oder eine Botschaft zu kritzeln oder ritzen und damit die eigene Existenz mit einem dauerhaften Zeugnis für die Ewigkeit zu dokumentieren. Insbesondere Touristen hinterlassen Graffiti als Nachweis dafür, da gewesen zu sein.
Goethe kritzelt ein Gedicht an eine Hauswand
Offenbar hatte Johann Wolfgang von Goethe eine spontane Eingebung, allerdings kein Papier zur Hand als er 1780 in einer Berghütte in Thüringen übernachtete. Mit Bleistift kritzelte er das Gedicht „Über allen Gipfeln“ an die hölzerne Außenwand seiner schlichten Unterkunft. Erst 35 Jahre später verlegte er es mit einem weiteren Gedicht unter dem Titel „Wanderers Nachtlied“.
Die beiden Gedichte zählen bis heute zu seinen bekanntesten Werken. Auch wenn er nicht als klassischer Tourist auf den Berg Kickelhahn gekommen war, sondern als Minister des Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach auf der Suche nach reaktivierbaren Bergwerken vor Ort war, zählt Goethe zu den weit Gereisten – und verewigte sich auch als Tourist.
Virtueller Vandalismus am Straßburger Münster
So etwa auf der Turmplattform des Straßburger Münsters. Hier zeigt sich eindrücklich, dass der Wille zur Verewigung an prominenter Stelle eine jahrhundertealte Touristen-Tradition ist.
Besuchende ließen hier durch Turmwächter, oftmals ehemalige Steinmetze, gegen einen Obolus ihre Namen in den Stein meißeln. Zahlreiche Einkerbungen mit Namen und Daten haben sich an den Mauern erhalten, unter anderen findet sich auch der Name von Goethe. Doch ab dem 19. Jahrhundert wurde es verboten, die Steine dergestalt zu behauen.
Heute aber gibt es erneut die Möglichkeit, den eigenen Namen ins Münster meißeln zu lassen – wenn auch nur virtuell. Vor Ort wird ein entsprechendes Bild mit dem eigenen Namen generiert, das im Anschluss als außergewöhnliches Souvenir via Mail versendet werden kann.
Ein Verweis auf die Heimat in der Fremde
Und nicht nur in Straßburg überlegen sich findige Touristiker eine Möglichkeit, um dem Ansinnen nach Verewigung gerecht zu werden. Baden-Württemberg dreht den Spieß allerdings um: Mit Stickern hinterlassen Touristen aus dem Ländle weltweit Verweise auf die Heimat.
Seit rund 20 Jahren wirbt das Land für einen Besuch mit Aufklebern, die Lust auf den Südwesten machen sollen. Darauf zu lesen: „Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Baden-Württemberg?“.
2019 erhielt die Kampagne zuletzt vor allem auf Social Media internationale Beachtung, weil die Influencerin Anastasia Karanikolaou unwissentlich vor einem solchen Sticker in der Karibik posierte.
Ansprüche werden mit Graffiti zementiert
In der Vergangenheit waren es vor allem auch Forschungsreisende, die ihre Anwesenheit dokumentierten – und damit ihren Anspruch als Entdecker buchstäblich in Stein meißelten: beispielsweise der Italiener Giovanni Battista Belzoni, der 1818 den Eingang der Chephren-Pyramide in Gizeh entdeckt hatte.
An Wänden der Maya-Stadt Tikal im heutigen Guatemala finden sich ebenfalls eingekerbte Namen, viele davon stammen aus der Antike.
Auch russische Soldaten zeigten mit hunderten Unterschriften, die sie nach 1945 im Inneren des Berliner Reichstagsgebäude an die Wände kritzelten, da gewesen zu sein – und dass sie Anteil an der Geschichte hatten.
1833 verewigt sich Bismarck im Karzer
Ob Otto von Bismarck jemals als Tourist Wände beschmiert hat, ist nicht überliefert. Jedoch finden sich Spuren des späteren Reichskanzlers im ehemaligen Göttinger Karzer.
Aus Langeweile, vermutlich auch aus einem gewissen Geltungsdrang malten und ritzten Studenten im 19. und frühen 20. Jahrhundert Namen, Bilder, Karikaturen oder politische Botschaften an die Wände der Arrest-Räume – vergleichbar mit den heutigen Schmierereien auf Schulbänken. Bismarck, der unter anderem wegen der Teilnahme an verbotenen Duellen bestraft wurde, verewigte sich 1833 im Göttinger Studentenkarzer mit einem Autogramm.
Mit Schmierereien der Vergänglichkeit etwas entgegensetzen
Mit jährlich schätzungsweise um die sechs Millionen Besuchern zählt das Kolosseum zu den bekanntesten und am meisten frequentierten kulturellen Sehenswürdigkeiten weltweit. Klar, dass da einige Zeitgenossen die Atmosphäre nutzen, um rücksichtslos ihre persönlichen Botschaften kundzutun oder ihren Namen in den Stein zu ritzen – und damit der eigenen Vergänglichkeit an einem uralten Gemäuer etwas entgegensetzen.
Im antiken Rom jedenfalls – und übrigens auch in den Provinzen, wie etwa Pompeji – waren Graffiti fester Bestandteil des Alltags. Liebesbotschaften, Schmähungen, literarische Zitate, geschäftliche Notizen oder obszöne Inhalte wurden in die Wände gekratzt.
Und auch der Klassiker unter den touristischen Hinterlassenschaften war schon darunter: „hic fuit“ – „Ich war hier“ war bereits im Alten Rom vielfach an den Wänden zu lesen.