An einem Sonntagmittag machen sich zwei Männer auf Schatzsuche
Der 4. Juli 1999 ist ein heißer Sommertag. Henry Westphal und Mario Renner suchen mit ihren Metalldetektoren den Mittelberg nach Gegenständen aus der Vergangenheit ab. Die beiden Sondengänger durchforsten den Boden nach geschichtsträchtigen Dingen, die sie zu Geld machen können. Hier, im Ziegelrodaer Forst, stehen die Chancen gut, etwas Wertvolles zu finden – schließlich wurden hier bereits Grab- und Wallanlagen entdeckt.
Gegen 11 Uhr schlägt das Gerät von Westphal an: „Overload“ sei auf der Anzeige gestanden, erzählt der Finder Jahre später im Rahmen eines Rekonstruktions-Laufs über den Berg. Mehr als drei Stunden hätten er und sein Komplize in der Folge mit einem Zimmermannshammer gegraben, um den Schatz zu bergen.
Ein vermeintlicher Eimerdeckel entpuppt sich als Schatz von unschätzbarem Wert
Dann endlich liegt er vor ihnen, ein sogenannter Depot- oder Hortfund, bestehend aus zwei Schwertern, zwei Armreifen, zwei Beilen und einem Meißel – und daneben etwas, das Westphal und Renner zunächst für einen Eimerdeckel halten, 2,3 Kilo schwer mit einem Durchmesser von rund 30 Zentimetern: die Himmelsscheibe von Nebra.
Das, was die beiden Männer zunächst für einen schnöden und mit Erde verkrusteten Alltagsgegenstand halten, soll sich später als der Fund ihres Lebens entpuppen, Gegenstand von kriminalistischen Ermittlungen werden und ihnen jede Menge Ärger einbrocken.
Es ist die älteste konkrete Sternenabbildung der Menschheitsgeschichte und von unschätzbarem Wert.
Ahnungslosigkeit im Umgang mit dem Schatz
Doch der Fund hat einen gewaltigen Haken: Westphal und Renner bewegen sich an jenem Tag illegal mit ihren Sonden über den geschichtsträchtigen Berg. Zudem gilt in Sachsen-Anhalt ein sogenanntes „Schatzregal“: Das bedeutet, dass alle im Boden gefundenen Schätze automatisch dem Bundesland gehören.
Spätestens beim Anschlagen des Detektors hätten die beiden Männer also die Behörden informieren müssen. Stattdessen entschließen sie sich, die Gegenstände zu verkaufen – ohne zu wissen, was genau sie da eigentlich gerade geborgen (und dabei auch beschädigt) haben: „Die Scheibe habe ich als Schild gesehen, und dann hab ich gesagt: Zwei Schwerter, jeweils 10.000 Mark und das Schild auch bei 10.000 – einfach so“, erläutert Westphal später im Gespräch mit Museumsleiter Harald Meller.
Archäologen-Horror: Himmelsscheibe mit Stahlschwamm geschrubbt
31.000 D-Mark bringt ihm und Renner der Fund letztlich ein. Achim Stadtmüller, ein Archivar aus Köln schlägt zu, die Sondengänger kennen ihn persönlich – und kaufen sich von dem Verkauf des Hortfunds eine Schrankwand und einen Gebrauchtwagen.
Gegenüber der Polizei wird Stadtmüller später erläutern, es sei ihm nicht um die Scheibe, sondern um die Schwerter gegangen. Beim Säubern der Scheibe geht auch er nicht besonders sorgsam vor, bearbeitet sie mit einem Stahlschwamm in der Badewanne – was zu etlichen Kratzspuren führt.
Das Schatzregal wird für die Hehler zum Problem
Stadtmüller will die Scheibe verkaufen, bietet sie verschiedenen Museen an, doch es gibt ein Problem: das Schatzregal. Der Fund wird durch die Regelung für den seriösen Kunsthandel wertlos. Drei Jahre lang will niemand etwas damit zu tun haben.
Bis im Frühjahr 2001 der Archäologe Harald Meller Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle wird. Als er Bilder von seinem Berliner Kollegen Wilfried Menghin sieht, dem der Fund zuvor angeboten wurde, ist sein Interesse an der Scheibe und sein Gerechtigkeitssinn geweckt. Der Museumsleiter wird zum Indiana Jones.
Ein Archäologe wird zum „Jäger des verlorenen Schatzes“
„Für uns war vollkommen klar“, so Meller, „es handelt sich um unrechtmäßig verbrachtes Kulturgut – das ist etwa genauso, wie wenn Sie in ein Museum gehen und einen Van Gogh abhängen und über den dann verhandeln wollen. Und dieses Kulturgut muss wieder ins Land und es muss diesen unrechtmäßigen Besitzern möglichst entzogen werden.“
Was nun folgt, ist an Kuriosität kaum zu überbieten. Verdeckte Ermittlungen des Magdeburger Landeskriminalamts führen nämlich in eine Kneipe nach Nordrhein-Westfalen.
In der Kaarster Gaststätte „Historia“ treffen sich Antiquitäten-Sammler und Sondengänger, die Betreiberin Hildegard Burri-Bayer gilt selbst als begeisterte Liebhaberin antiker Gegenstände und sehr geschichtsinteressiert. Sie habe die Himmelsscheibe „retten wollen“, sagt sie im späteren Prozess.
Also vermittelt sie den nächsten Käufer: den pensionierten Lehrer Reinhold Stieber. Er verpfändet sogar seine Altersvorsorge, um die 230.000 Mark für den Kauf der Himmelsscheibe aufzubringen.
Davon, dass das illegal gewesen ist, will sie nichts gewusst haben: „Von diesen ganzen Schatzregalen hatte ich mal was gehört, aber ich wusste nicht, was das ist – genausowenig wie das Gericht das wusste. Es wusste keiner, also kaum jemand“, sagt Burri-Bayer im NDR-Kultur-Podcast „Kunstverbrechen“.
Showdown im Basler Nobelhotel
Über einen Journalisten wird der Kontakt mit Museumsdirektor Harald Meller hergestellt. Für 700.000 Mark wollen Stieber und Burri-Bayer unter dem Vorwand, die Himmelsscheibe zu retten, an ihn weiterverkaufen. Ein erstes Treffen zwischen Meller und Burri-Bayer findet in der Museumskneipe statt.
Doch Meller informiert von Beginn an die Polizei. Bereits beim ersten Treffen in Kaarst ist er nicht allein, ein verdeckter Ermittler begleitet den Museumsdirektor. Zum Showdown kommt es aber erst in Basel. Im Café des noblen Hilton-Hotels findet ein zweites Treffen statt, vorgeblich, um die Echtheit der Scheibe wissenschaftlich zu prüfen.
Undercover-Einsatz mit einem Archäologen als Lockvogel
Wieder sind am 23. Februar 2002 undercover Schweizer Polizistinnen und Polizisten dabei, doch Meller wird zu seiner eigenen Sicherheit nicht darüber informiert.
Zu gefährlich scheint, dass er durch einen unbedachten Blick, eine fahrige Geste in Richtung der Beamten die Aktion auffliegen lassen könnte. Die Polizei geht zu diesem Zeitpunkt auch davon aus, dass die Hehler bewaffnet sein könnten und Meller potentiell gefährdet ist.
Doch es kommt anders: Burri-Bayer und Stieber sind nicht unbedingt das, was man sich unter abgebrühten und kriminellen Kunst-Händlern vorstellt. Vielmehr habe Stieber selbst große Angst gehabt, dass jemand ihm die Scheibe klauen könnte, weshalb er sie eng an seinem Körper trug, sagt Burri-Bayer im NDR-Podcast.
Der Hehler bindet sich die Scheibe um den Bauch
„Er hatte die in einem Handtuch um den Bauch gebunden“, erinnert sich Meller später. Nachdem der Museumsdirektor die Scheibe in den Händen hält und eine erste Echtheitsprüfung durchführt, verschwindet er auf dem Klo, um die Polizei zu kontaktieren. Doch die ist bereits vor Ort, nimmt das Hehlerpaar fest und beschlagnahmt die Himmelsscheibe.
„So Frau Burri-Bayer, das kommt davon, wenn man sich in Dinge einmischt, die einen nichts angehen“, soll Harald Meller zur Hehlerin daraufhin gesagt haben, wie Burri-Bayer gegenüber dem NDR erzählt. Weitere Gegenstände aus dem Hortfund werden danach in Deutschland sichergestellt.
Bewährungsstrafen für Räuber und Hehler
Die Himmelsscheibe und die weiteren Gegenstände, die Henry Westphal und Mario Renner vor 25 Jahren in der Erde rund um Nebra gefunden haben, werden nun zum Gegenstand eines Gerichtsprozesses in Naumburg.
Am 10. September 2003 werden die Grabräuber und die Hehler zu Bewährungsstrafen verurteilt. Hildegard Burri-Bayer muss zudem 5.000 Euro als Bewährungsauflage zahlen, Reinhold Stieber 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Die Prozesskosten kommen noch hinzu.
Nachdem die Himmelsscheibe vermutlich vor 3.600 Jahren vergraben wurde, findet sie schließlich eine Heimat im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle. Laut Harald Meller ist sie „zweifellos das wichtigste Stück, dass das Museum beherbergt“.
Doch die Geschichte ihrer Entdeckung hat Auswirkungen auf ihre wissenschaftliche Einordnung. Um ihren Fund ranken sich bis heute Legenden, die Geschichte bietet offenbar Anlass zu Spekulationen.
Manche Wissenschaftler bezweifelten sogar, ob die Scheibe gemeinsam mit den anderen Gegenständen gefunden wurde, ob die Sondengänger über den Fundort die Wahrheit gesagt hatten und ob es sich damit tatsächlich um die älteste Himmelsdarstellung der Welt handelt. Heute gilt ihr Alter jedoch als unstrittig.