Zu Beginn der Marathonsitzung am Freitag hatte zunächst Boris Lehmann, Professor für Wasserbau und Hydraulik an der Technischen Universität Darmstadt, das Wort. Es sei am späten Nachmittag des 14. Juli klar gewesen, dass es an der Ahr zu einer Flutkatastrophe kommen werde. Es sei allerdings sehr schwierig gewesen, die Flutwelle abzuschätzen. Die Flutkatastrophe sei "auf keinen Fall" schon 24 Stunden oder noch länger im Vorfeld absehbar gewesen, so Lehmann. Die Gewissheit, dass es zu einer Flutkatastrophe komme, könne nicht allein von Regenmengen abgeleitet werden.
Die Verantwortlichen hätten keine Vergleichswerte aus der Vergangenheit gehabt. Bei einem solchen Rekordhochwasser gebe es viele Unsicherheiten - verstopfte Brücken, an denen sich das Wasser staut, Boden und Bäume, die mitgerissen werden. Das mache es sehr schwierig einzuschätzen, wie sich die Flutwelle ausbreiten werde, sagte Lehmann vor dem U-Ausschuss. Modelle gebe es dafür nicht.
Bei einer solchen Rekordflut renne man der Katastrophe immer hinterher, so Lehmann. Hier komme es sehr darauf an, wie erfahren die verantwortlichen Einsatzkräfte sind, wie gut sie die Region kennen, um die richtigen Entscheidungen wie etwa Evakuierungen zu treffen.
Deutscher Wetterdienst: "Wir haben rechtzeitig gewarnt"
Unter den insgesamt elf Zeugen und Sachverständigen, die im Untersuchungsausschuss aussagten, waren auch Vertreter des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Man habe "sehr frühzeitig erste Hinweise" gegeben, sagte der Präsident der Bundesbehörde, Gerhard Adrian. Bereits am Montagmorgen - und somit zwei Tage vor der Flutkatastrophe - sei klar gewesen, dass ein extremes meteorologisches Ereignis bevorstehe, ergänzte der für Beratungs- und Warndienste zuständige Abteilungsleiter, Thomas Kratzsch.
DWD-Vorstandsmitglied Renate Hagedorn sagte, es habe zwar Beratungsanrufe von Behörden gegeben, "aber im Grunde hätten wir uns gewünscht, dass ein noch besserer Austausch stattgefunden hätte". Der DWD sei nach ihrer Auffassung seinem gesetzlichen Auftrag "vollumfänglich nachgekommen".
Rekonstruktion einer Katastrophe Was ist in der Flutnacht passiert? - Ein Protokoll
Etwa zwei Jahre nach der Jahrhundertflut im Ahrtal dauert der Wiederaufbau noch immer an. Wie konnte es zu einer solchen Katastrophe kommen? Noch immer gibt es offene Fragen.
Sie hoffe, dass der DWD den Auftrag bekomme, in Zukunft noch mehr Unterstützung zu leisten, "den haben wir als Deutscher Wetterdienst nicht". Die vorliegenden Informationen seien nicht optimal genutzt worden. Die logische Folge sei, dass es Brüche in der Informationskette gegeben haben müsse.
DWD: Keine Kompetenz, was mit Wasser am Boden passiert
Mit Blick auf die Warntexte des Wetterdienstes sagte Behörden-Chef Adrian, es werde auch diskutiert, "wie entwickeln wir die Kommunikation weiter", damit die Kunden die Informationen besser verstünden. "Ich bin überzeugt, dass der Wetterdienst nach dem Stand von Wissenschaft und Technik gearbeitet hat und auch unsere Produkte so rausgegangen sind." Für die Bewertung, was mit dem Wasser am Boden passiere, habe der DWD aber keine Kompetenz.
Am Vortag der Katastrophe, dem 13. Juli, hatte der Wetterdienst vormittags die höchste Warnstufe ausgegeben und vor extremem Dauerregen gewarnt. Am Morgen des 14. Juli wurde die Warnung noch einmal verschärft. Der Kreis Ahrweiler hat den Katastrophenalarm erst am späten Abend ausgelöst, als Dörfer an der Ahr schon von der Sturzflut schwer getroffen waren.
Der Hochwasser-Blog für RLP Neue Brücke über die Kyll freigegeben
In den von der Flutkatastrophe zerstörten Regionen in Rheinland-Pfalz läuft der Wiederaufbau. Viel ist geschafft, viel ist noch zu tun. Hier die aktuelle Lage.
Landesamt für Umwelt sieht bei sich keine Fehler
Thomas Bettmann vom Landesamt für Umwelt, das die Hochwasserwarnungen heraus gibt, sagte seine Behörde habe um 17.17 Uhr eine Frühwarnung der höchsten Stufe ausgelöst. Zu diesem Zeitpunkt sei spätestens klar gewesen, "dass etwas ganz Großes kommt", dass die Wasserstände höher sein würden als bei bisherigen Hochwassern. An die Kreisverwaltung habe das Landesamt regelmäßig Info-Mails geschickt mit den Messwerten und 24-Stunden-Prognosen - insgesamt wohl 17, berichtete Bettmann. Es habe auch Meldungen im Internet und über die Warn-App Katwarn gegeben.
Experten sahen Hochwasser an der Ahr samt Sturzflut kommen
Das extreme Hochwasser an der Ahr war nach Einschätzung von mehreren Experten kurz vorher absehbar. Die Gefahr einer Extremwetterlage in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen - speziell in der Eifel - hat sich nach Einschätzung des Wetterexperten Jörg Kachelmann schon drei Tage vor der Flutkatastrophe Mitte Juli abgezeichnet. Das sagte er vor zwei Wochen vor dem Untersuchungsausschuss.
Nach Auffassung des Diplom-Meteorologen Bernhard Mühr war es am 14. Juli 2021 spätestens um 16 Uhr unzweifelhaft klar, dass es an der Ahr ein Hochwasser von einem Ausmaß geben würde, wie es seltener als alle 100 Jahre vorkommt. Wasserwissenschaftler Jörg Dietrich aus Hannover hatte in der letzten Sitzung des Ausschusses gesagt, bereits am Mittag des 13. Juli sei eine 74-prozentige Wahrscheinlichkeit einer Sturzflut in einzelnen kleinen Flussgebieten des Mittelrheins und der Mosel erkennbar gewesen.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 war es im nördlichen Rheinland-Pfalz zu einer Flutkatastrophe gekommen. Dabei starben im Ahrtal 134 Menschen. Hunderte wurden verletzt und weite Teile des Tals verwüstet.
Neben dem Untersuchungsausschuss der Opposition beschäftigt sich auch die Enquete-Kommission des Landtags mit der Flutkatastrophe im Ahrtal. Dabei hatten jüngst Fachleute einheitliche Warnsignale zur Warnung der Bevölkerung bei Katastrophenfällen gefordert. Zudem sei es wichtig, dass schon in Schulen das Verhalten in Katastrophenfällen geübt werde.