Die Todesopfer bei der Flutkatastrophe im Ahrtal wären nach Kachelmanns Überzeugung vermeidbar gewesen. Am späten Vormittag des 14. Juli war seinen Angaben zufolge zu 100 Prozent klar, dass es im Ahrtal eine Rekord-Sturzflut geben werde. Damals seien bereits Rekordregenmengen am Oberlauf der Ahr gefallen, auf die die Behörden hätten reagieren müssen. Die Menschen in den Tälern hätten in Sicherheit gebracht werden müssen, so Kachelmann.
Kachelmann: Es ist immer genügend Zeit, das Richtige zu tun
Der Wetter-Experte sagte: "Eine Flut kommt nie plötzlich." Sondern es brauche viele Stunden Regen. Es sei deshalb immer genügend Zeit, "das Richtige zu tun". Niemand müsse sterben, wenn richtig gehandelt werde. Laut Kachelmann zeigten alle Wettermodelle schon mit mehreren Tagen Vorlauf das hohe Risiko von extremem Starkregen für die Eifel. Bereits zwei Tage vor der Flutwelle hätten die Behörden deshalb Evakuierungen planen und die Bevölkerung vorwarnen können und müssen. Der Kreis Ahrweiler hatte erst am späten Abend des 14. Juli den Katastrophenfall ausgerufen und Evakuierungen angeordnet.
Mögliche Überflutungsflächen wurden falsch eingeschätzt
Auch der Hydrologe Jörg Dietrich berichtete, schon am 13. Juli hätten Daten gezeigt, dass es ein extremes Risiko für eine Sturzflut an der oberen Ahr gebe. Auf Basis dieser Erkenntnisse hätten die Behörden am Nachmittag des 14. Juli für den Unterlauf der Ahr Maßnahmen beschließen können, beispielsweise Evakuierungen. Die Behörden hätten etwa die möglichen Überflutungsflächen falsch eingeschätzt. Konkrete Warnungen habe es dann nur für Menschen gegeben, die 50 Meter links und rechts der Ahr wohnten.
"Man hätte wissen müssen, dass 50 Meter bei weitem nicht ausreichen", so Dietrich. Der Fluss sei an manchen Stellen bis zu 500 Meter übergetreten. Laut seines Gutachtens gab es an dem Tag stundenlang Zeit, die Menschen, zumindest am Unterlauf der Ahr, in Sicherheit zu bringen. Nachmittags seien am Oberlauf der Ahr Höchststände gemessen worden. Erst sieben Stunden später sei die Flutwelle in Sinzig am Rhein angekommen, wo 12 Bewohner eines Behindertenwohnheims ums Leben kamen.
Ähnlich äußerte sich der Karlsruher Diplom-Meteorologe Bernhard Mühr. Seinem Gutachten zufolge war am Vormittag des 14. Juli absehbar, dass Extremregen die Ahr treffen würde. Demnach war spätestens um 16 Uhr unzweifelhaft klar, dass es an der Ahr ein Hochwasser von einem extremen Ausmaß geben würde - und zwar ein Hochwasser wie es seltener als alle 100 Jahre vorkommt. Laut Mühr hätten spätestens dann Schritte eingeleitet werden müssen, um die Menschen zu schützen. Das sei aber nicht passiert.
Zweifel, ob Brisanz der Warnungen erkennbar war
Aus Sicht des Experten Mühr hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) "frühzeitig und sachlich richtig gewarnt". Der DWD habe die höchste mögliche Warnstufe 4 vor Dauerregen am 13. Juli ausgegeben. Er bezweifle allerdings, dass die Brisanz und der Handlungsdruck aus dem Text des DWD für alle zu erkennen waren. Mühr bemängelte: "Es gibt zu viele Wetter-Warnungen in Deutschland." Dabei bestehe die Gefahr, dass die wirklich wichtigen Meldungen übersehen würden. Den zuständigen Behörden hätte der Handlungsdruck nach der Warnung aber klar werden müssen.
Ein weiteres Problem: Hochwasser würden in Europa oft unterschätzt, sagte der Professor für Physische Geografie, Rüdiger Glaser, im U-Ausschuss. Man wiege sich in falscher Sicherheit, dass man allein mit dem technischen Hochwasserschutz etwas gegen die Gefahren tun könne, führte der Freiburger Wissenschaftler aus. Außerdem müsse den Leuten bewusst sein: "Wer am Wasser lebt und baut, geht einen Pakt mit dem Schicksal ein."
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Plöger: "Das Problem ist, Warnungen einzugrenzen"
Der Meteorologe Sven Plöger berichtete: "Was ich am 12. Juli wusste, dass wir mit sehr viel Regen rechnen mussten", sagte Plöger. Da sei klar gewesen: "Da kommt was auf uns zu". Er habe zu diesem Zeitpunkt bereits gewarnt: "Achtung an den Flüssen, beobachten Sie die Pegel, gehen Sie von den Flüssen weg". Dass der Ahr-Pegel über neun Meter steigen werde, "habe ich nicht gewusst, und ich behaupte, das hat auch keiner gewusst". Das Problem liege in der konkreten Eingrenzung der Wetter-Warnungen. Es sei zu schwierig, mit mehreren Tagen Vorlauf vorherzusagen, wo genau solche Unwetter zu verheerenden Flutwellen wie im Ahrtal führten.
"Meteorologen können nicht zu Evakuierungen aufrufen"
Für den 14. Juli, den Tag der Ahrtal-Flut, habe im Vorfeld auch für den Schwarzwald das Risiko eines extremen Starkregenereignisses bestanden, sagte Plöger: "Im Schwarzwald ist genau nichts passiert, es hat einfach nur viel geregnet." Seiner Überzeugung nach lassen sich von extremem Starkregen betroffene Regionen nicht mit großem zeitlichen Vorlauf evakuieren. Es sei auch nicht die Aufgabe von Meteorologen, zur Evakuierung bestimmter Gebiete aufzurufen, so Plöger.
Cloke: "Die Zahl der Todesopfer zeigt, dass das System versagt hat"
Die britische Wissenschaftlerin Hannah Cloke, die live in den Untersuchungsausschuss zugeschaltet wurde, sagte, das europäische Hochwasser-Warnsystem EFAS habe am 9. /10. Juli für das Rhein-Einzugsgebiet mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit ein Hochwasser ab dem 13. Juli vorhergesagt. "Es stand eine schwerwiegende Überschwemmung bevor", so die Professorin von der britischen University of Reading und freie EFAS-Beraterin. Es habe eine Warnung von beträchtlichem Schweregrad gegeben, und sie sei sehr überrascht gewesen, dass dennoch so viele Menschen bei der Flutkatastrophe ums Leben gekommen seien. "Die Zahl der Todesopfer zeigt, dass das System versagt hat", so Cloke. Die Kritik beziehe sich aber nicht auf bestimmte Teile in Rheinland-Pfalz. Sie wisse nicht, wie die EFAS-Meldungen in nationale und regionale Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen würden.
Geograf: Böden im Ahrtal speichern kaum Wasser
Nach Darstellung des Geografen Heye Bogena vom Forschungszentrum Jülich gibt es im Ahrtal im Durchschnitt jedes vierte Jahr ein Hochwasser-Ereignis. Hauptgrund sei der Untergrund des Rheinischen Schiefergebirges mit mächtigen Schichten, die wenig Hohlräume oder Poren hätten und daher kaum Wasser speichern könnten. Aufgrund vieler Niederschläge im Juni und Juli 2021 gehe er davon aus, dass die Böden am 14. Juli 2021 bereits zu etwa 50 Prozent gesättigt waren als der Starkregen einsetzte, so Bogena. Das habe die Situation sicherlich noch etwas verschärft.
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In der nächsten Sitzung am 4. Februar wird sich der Untersuchungsausschuss nach Angaben seines Vorsitzenden, Martin Haller (SPD), weiter mit der Rolle des Landesamtes für Umwelt beschäftigen. Am 11. Februar sei ein Austausch mit der ermittelnden Staatsanwaltschaft geplant und in der Sitzung eine Woche später werde die Rolle des Bundesamtes für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz thematisiert, so Haller.