Christian Nuernbergk lehrt als Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Trier. Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist Öffentliche Medienkommunikation im Journalismus.

SWR Aktuell: Viele Parteien haben Auftritte auf Social Media. Wie sollte ich als Wähler damit umgehen?
Christian Nuernbergk: Parteien oder Politiker nutzen in sozialen Medien oft Themen, bei denen diese für sich wünschenswerte Aspekte hervorheben. Wenn es um politische Themen geht, dann werden sie die Sachen verstärken, die mit ihrer Position im Einklang sind. Das heißt, dass es immer eine Art strategische Kommunikation ist, der man begegnet.
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SWR Aktuell: Was heißt das für mich, wenn ich Social Media nutze, um mich über Wahlprogramme zu informieren?
Nuernbergk: Es geht um Kommunikation, die uns überzeugen soll. Das ist natürlich im Wahlkampf auch vollkommen okay, dass es so gemacht wird. Aber man erzählt vielleicht manchmal nur die halbe Wahrheit. Daher sollte ich, wenn mir als Wähler oder Wählerin ein Thema wichtig ist, mich aus möglichst unterschiedlichen Quellen informieren. Man kann natürlich auch darauf achten: Wie argumentieren politische Entscheider? Mit welchen Geschichten versuchen sie, einen zu überzeugen?
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SWR Aktuell: Gibt es auch Alarmzeichen, die mich stutzig machen sollten?
Wenn es um Kommunikation geht, die eher so emotionalisierend ist. Die auf politische Probleme aufmerksam machen will. Und da ist es wichtig, sich noch mal zu vergewissern: Stimmt es wirklich alles so, wie es behauptet wird? Geht es gerade wirklich um Politik? Oder geht es vielleicht auch um Fragen von Sympathie? Wen man lieber mag, zum Beispiel.
Themen, die Menschen aufregen und bewegen
Skeptisch sollte man sein, wenn es sehr reißerisch ist, wenn es wirklich so angelegt ist, dass es uns wütend oder sauer macht. Häufig sind dann Informationen verkürzt wiedergegeben und oder aus dem Kontext gerissen. Wenn man sich da ein genaueres Bild machen will, halte ich es für wichtig, sich auch noch einmal aus anderen Quellen als den von den politischen Akteuren zu informieren.
SWR Aktuell: Gibt es da auch Plattformen, die besser oder schlechter abschneiden?
Nuernbergk: Es gibt schon besonders problematische Fälle. Wir reden jetzt viel über die Plattform X, ehemals Twitter und wir reden über Telegram, wo es viele Fälle von Desinformationen gibt. Aber man darf auch die anderen Plattformen nicht davon freisprechen.
Soziale Medien sollten nicht die einzige Informationsquelle sein.
Es gibt Hinweise auf Desinformationen und dennoch kommt es vor, dass die Plattformen das nicht löschen. Auch auf Facebook, Instagram und TikTok kursieren problematische Informationen.
Alle Plattformen haben problematische Inhalte
Grundsätzlich sind die aus der Perspektive der Medienforschung alle nicht so toll. Also, es gibt überall Probleme. Aber es gibt eine gewisse Vielfalt der Plattformen. Und ich finde es generell sinnvoll, dass man sich auch aus sozialen Medien informiert. Aber das sollte wirklich nicht die einzige Informationsquelle sein. Man kann darüber sicher die Spitzenkandidaten im Wahlkampf besser kennenlernen. Oder die Direktkandidaten und -kandidatinnen im Wahlkreis, die sich dort vorstellen.
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SWR Aktuell: Was empfehlen Sie zusätzlich, um sich vor der Wahl zu informieren?
Nuernbergk: Ich rate dazu, wenn es um die politischen Themen geht, die einem wichtig sind, eben breitere Quellen zu nutzen. Und auch Informationsangebote, die jetzt vor der Wahl online gehen werden, wie der Wahl-O-Mat beispielsweise. Dort können politische Positionen mit meiner Meinung abgeglichen werden. Und man kann Informationen aus Gesprächen mit anderen Menschen bekommen - und nicht nur aus den sozialen Medien.
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SWR Aktuell: Die Plattform X steht wegen zunehmend rechtsextremer Inhalte in der Kritik. Es gibt schon Forderungen, die Plattform X zu verbieten. Sinnvoll?
Nuernbergk: Ich würde mich dagegen aussprechen. Denn es lässt außer Acht, dass auch auf der Plattform X wie auf anderen sozialen Medien natürlich auch, dort sehr viele Menschen unterwegs sind, die vernünftige Inhalte posten. Also, es ist nicht so, dass das alles nur Hass oder Hetze oder Emotionen sind. Das ist das eine.
Meinungsvielfalt ist wichtig
Zum anderen ist es so, dass die Gesellschaft das aus meiner Sicht auch aushalten können muss. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Und dass das, was strafrechtlich oder juristisch relevant ist, also zum Beispiel volksverhetzende Äußerungen, natürlich gelöscht werden muss. Wenn das nicht funktioniert, dann muss das mit Bußgeldern geahndet und sanktioniert werden. Aber jetzt schon gleich zu einem Verbot zu greifen, halte ich für zu weitreichend.
Verbot von Plattform als letztes Mittel
Da müssten erst andere Mittel ausgeschöpft werden. Und vor allen Dingen braucht man auch klare Kriterien, wann man so ein Verbot macht und wann nicht. Und dann müsste man überhaupt erst mal wissen: Wie verhält es sich mit anderen Plattformen? Welche Plattform ist möglicherweise die nächste? Also, das bringt viele schwierige Fragestellungen mit sich.
SWR Aktuell: Derzeit verlassen einige Organisationen und Universitäten die Plattform X. So auch die Universität Trier.
Nuernbergk: Ich denke, die Menschen müssen sensibler werden. Welche Plattform will ich eigentlich nutzen? Tue ich mir das noch an? Gehe ich nicht lieber woanders hin? Es ist niemand dazu gezwungen, sich aus diesen Plattformen zu informieren. Auch Journalisten können sich entscheiden, wo sie ihre Informationen hernehmen oder aufgreifen. Und das können Mittel und Wege sein, um den Einfluss einer solchen Plattform zu schwächen. Aber ein Verbot wäre für die Öffentlichkeit, für die Demokratie, ein sehr schwerwiegender Eingriff. Da eine schnelle Lösung zu machen, halte ich für verkehrt.