Flut-Katastrophe in Rheinland-Pfalz

Kreis Ahrweiler: Jetzt 117 Tote offiziell bestätigt

Stand

Nach der verheerenden Flut im Norden von Rheinland-Pfalz gibt es mittlerweile 117 bestätigte Todesfälle. Das teilte Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Sonntagabend in einem Gespräch mit dem SWR mit.

Lewentz geht davon aus, dass nach der Flut-Katastrophe im Kreis Ahrweiler noch mehr Tote gefunden werden, "weil wir jetzt anfangen, Keller leer zu pumpen". Die Zahl der Vermissten - zuletzt war von 3.000 die Rede - werde noch relativiert werden.

Der Polizei liegt bisher die Meldung mehr als 670 verletzte Personen vor. Auch hier könnte sich die Zahl noch weiter erhöhen. In einer Vielzahl der Ortschaften sind noch immer Strom- und Telefonnetz ausgefallen. Am Wochenende hatten Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und Landesfeuerwehrinspekteur Heinz Wolschendorf außerdem mitgeteilt, es gebe 3.000 bis 3.500 Vermisstenmeldungen. Hierbei sei nicht bekannt, ob sich diese Menschen bei Nachbarn oder Verwandten aufhalten, das Einsatzgebiet aus eigener Kraft verlassen haben oder ob sie tatsächlich vermisst sind.

Kreis: Gerüchte um Dammbruch stimmen nicht

Derzeit gibt es im Kreis Ahrweiler nach Behördenangaben ein massives Problem mit dem Gerücht, dass ein Damm angeblich gebrochen sei. Es würden Menschen mit Megaphonen durch die Straßen fahren und dieses Gerücht verbreiten. Anwohner würden teilweise panisch aus ihren Häusern flüchten. Der Kreis betont nachdrücklich, dass diese Informationen nicht stimmen.

Land übernimmt Einsatzleitung für Katastrophenschutz

Die Einsatzleitung für den Katastropheneinsatz in Bad Neuenahr-Ahrweiler liegt seit Samstagabend beim Land Rheinland-Pfalz. Landrat Jürgen Pföhler (CDU) hat das Land gebeten, die Einsatzleitung zu übernehmen. Die erforderlichen Maßnahmen zur Bewältigung der verheerenden Unwetterkatastrophe überstiegen bei Weitem die Einsatzmöglichkeiten des örtlichen Katastrophenschutzes, so die ADD. Der Einsatz wird nun von der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) als zuständiger Landesbehörde für den Katastrophenschutz wahrgenommen. "Das ist das erste Mal, dass sich in Rheinland-Pfalz eine Naturkatastrophe in dieser Größenordnung ereignet hat. Wir werden alles Erdenkliche tun, um die Folgen der Katastrophe gemeinsam zu bekämpfen. Die Kräfte des Landes und des Landkreises arbeiten eng zusammen", sagte ADD-Präsident Thomas Linnertz.

Erkundungstrupps haben alle überfluteten Ortschaften im Kreis Ahrweiler erreicht

In den überfluteten Gebieten im Kreis Ahrweiler ist ein Großteil der Bevölkerung nach wie vor von der Infrastruktur komplett abgeschnitten. Etwa 30.000 Menschen sind betroffen. Nach Angaben des Kreises sei es den Einsatzkräften vor Ort mittlerweile aber gelungen, alle betroffenen Ortschaften zumindest zu erreichen - auch mit Hilfe von schwerem Gerät von THW und Bundeswehr. In den Orten seien nun Erkundungstrupps unterwegs.

Im Einsatz sind den Informationen zufolge rund 1.300 Einsatzkräfte verschiedener Hilfsorganisationen aus dem gesamten Bundesgebiet. Auch 350 Bundeswehrsoldaten sind vor Ort. Die Polizei erhöht ihre Präsenz im gesamten Einsatzgebiet, um die Anwohner und Betroffenen vor Plünderung und unnötigem Hochwassertourismus zu schützen.

Auf einer Pressekonferenz des Kreises wurde am Samstagmittag weiter mitgeteilt, dass in einigen Ortslagen mehr als die Hälfte der Gebäude zerstört sei. Zudem wurde das Krankenhaus Maria-Hilf in Bad Neuenahr aufgrund der mangelnden Stromversorgung vollständig evakuiert. In Bad Neuenahr-Ahrweiler sind zwei Drittel der Häuser vom Hochwasser betroffen. Es gibt nur noch eine intakte Brücke in der Stadt.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) dankte am Freitagabend in einer Fernsehansprache im SWR allen Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen, die freiwillig helfen und Hilfe anbieten. Es sei eine verheerende Natur-Katastrophe, wie sie Rheinland-Pfalz noch nicht erlebt habe. Aus allen Teilen Deutschlands komme aber Unterstützung, ebenso aus dem Ausland und von den US-Streitkräften im Land. Dreyer sagte, diese große Krise könne nur gemeinsam bewältigt werden.

Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer besuchen Region

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Sonntag die vom Hochwasser betroffenen Gebiete in Rheinland-Pfalz besucht. Sie nannte das Ausmaß der Katastrophe "surreal und gespenstisch". Nach einem Besuch im Eifeldorf Schuld sagte Merkel am Sonntag in Adenau, die deutsche Sprache kenne kaum Worte für die angerichtete Zerstörung. "Wir werden uns dieser Naturgewalt entgegenstemmen", sagte die Kanzlerin und kündigte Hilfen des Bundes für die betroffenen Kommunen an. Für Montag hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) seinen Besuch in den Katastrophengebieten angekündigt.

Zwölf Tote in Behinderteneinrichtung

Allein in einer Behinderteneinrichtung in Sinzig im Kreis Ahrweiler sind zwölf der insgesamt 35 Bewohnerinnen und Bewohner ums Leben gekommen. Ein Sprecher des Trägervereins "Lebenshilfe" sagte, die Flutwelle habe sie mehr oder weniger im Schlaf überrascht. Die Mitarbeiter der Lebenshilfe seien entsetzt, fassungslos und unendlich traurig.

Laut des Präsidenten des Landesfeuerwehrverbandes Rheinland-Pfalz, Frank Hachemer, stand am Freitag die Suche nach Opfern und Vermissten weiter im Vordergrund. Das werde wahrscheinlich auch noch einige Tage dauern. Durch das Chaos in den überschwemmten Gebieten fehle nach wie vor der Überblick.

Bis jetzt seien etwa rund 2,4 Millionen Euro an Spenden eingegangen, sagte Landrat Pföhler. Die Stadt Bonn in Nordrhein-Westfalen hat den Angaben Pföhlers zufolge in Privatwohnungen und Hotelzimmern mehr als 1.000 Menschen obdachlos gewordene Menschen aufgenommen.

Gemeinde Altenahr vor und nach der Flut

In dem Vorher-Nachher-Foto ist deutlich zu sehen, wie das Flüsschen Ahr zu einem reißendem Strom wurde und Altenahr überschwemmte.

Das Hochwasser der Ahr hat im Kreis Ahrweiler zu kaum vorstellbaren Verwüstungen geführt. Die Infrastruktur ist schwer beschädigt - etwa eine wichtige Gasleitung. Viele Gemeinden haben keinen Strom. Alle Brücken im Kreis über die Ahr sind zerstört. Viele Menschen hatten während des Starkregens stundenlang auf Dächern gesessen. Ihre Rettung gestaltete sich schwierig, denn einige Orte konnten nicht einmal mit Booten erreicht werden, weil die Strömung so stark war. Der Pegel der Ahr ist zurückgegangen. Trotzdem ist die Sorge groß, dass es weitere Regenfälle in der Eifel gibt.

Als die Ahr sich in der Nacht zu Freitag in einen reißenden Fluss verwandelt hat, hat sie in Insul (Kreis Altenkirchen) nicht nur Häuser in Ufernähe mitgerissen, sondern auch die steinerne Brücke aus dem Mittelalter zerstört, die die beiden Ortsteile von Insul links und rechts der Ahr verbindet. Auf diese hatte sich auch Petra Gründler geflüchtet:

Auch in anderen Regionen im Norden von Rheinland-Pfalz stehen viele Gemeinden unter Wasser. Im Trierer Stadtteil Ehrang wurde die Hochwasserschutzmauer überschwemmt. Teile des Orts wurden von der Kyll überflutet, der Strom fiel aus. Rund 1.000 Menschen wurden nach Angaben der Stadt in Sicherheit gebracht. Mittlerweile konnten die Anwohner aber wieder in ihre von Wasser und Schlamm verwüsteten Häuser zurückkehren.

Die Rettungskräfte werden von der Bundeswehr unterstützt, die inzwischen rund 900 Soldatinnen und Soldaten in die Katastrophengebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geschickt hat. In Schuld kam am Freitagnachmittag unter anderem ein Bergungspanzer an.

Die Polizei bittet, nicht eigenständig nach Vermissten zu suchen

Die Polizei in Koblenz warnte davor, in die von der Hochwasserkatastrophe betroffenen Regionen zu fahren. "Bitte fahrt nicht in das Katastrophengebiet, um selbst nach Angehörigen zu suchen oder Hab und Gut zu sichern", teilte sie am späten Donnerstagabend per Twitter mit. "Ihr bringt Euch sonst selbst in Gefahr und behindert ggf. die Rettungsmaßnahmen!"

Finanzministerium kündigt steuerliche Hilfen an

Die Landesregierung beschloss die Einrichtung einer Stabsstelle Wiederaufbau. Betroffene der Unwetter-Katastrophe können mit steuerlichen Hilfen rechnen. Das teilte die rheinland-pfälzische Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) mit. Die Finanzämter würden im Einzelfall den Geschädigten entgegenkommen und Entscheidungen im Sinne der Steuerpflichtigen treffen.

Bereits am Donnerstag hatte das Land Rheinland-Pfalz als kurzfristige Unterstützung 50 Millionen Euro bereitgestellt. Mit dem Geld sollen etwa Schäden an Straßen, Brücken und anderen Bauwerken behoben werden. Aber auch Unternehmen, benachbarte Kommunen und viele Privatleute haben vor allem den Menschen im Kreis Ahrweiler Hilfe angeboten.

SWR plant Benefizaktionen

Der Südwestrundfunk (SWR) plant in den kommenden Wochen ein großes Benefizkonzert in Trier. Nähere Informationen folgen. Der Erlös des Konzerts kommt zu 100 Prozent den Opfern der Flutkatastrophe zugute. Im Lauf der nächsten Woche wird es außerdem eine SWR Benefiz-Aktion geben, mit der der Sender die betroffenen Menschen unterstützen will, indem er zum Spenden aufruft.

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SWR