Gottesdienstbesucher in Bisingen-Thanheim fühlten sich durch den Einsatz der Polizei während der Messe gestört

Eingriff in Religionsfreiheit?

Polizei unterbricht Gottesdienst: So haben Anwohner die Messe erlebt

Stand
Autor/in
Judith Hüwelmeier
Die multimediale Reporterin im SWR Studio Tübingen Judith Hüwelmeier

Weil der Pfarrer falsch parkte, kam die Polizei in Bisingen in den Gottesdienst. Viele Besucher fanden den Einsatz unangemessen und haben genug von der Aufmerksamkeit um ihr Dorf.

Polizeibeamte hatten vor knapp zwei Wochen einen Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Ulrich (Zollernalbkreis) unterbrochen, weil der Priester eine Anwohnerin zugeparkt hatte, die auf seinem Parkplatz stand. Während der Predigt liefen die Beamten bis zum Altar. Seitdem ist der Ort in den Schlagzeilen.

So haben Kirchgänger und Anwohner den Gottesdienst erlebt:

"Das war ein Aufruhr, als die reinmarschiert sind", sagt Roswitha Nauthe. Die 83-jährige Katholikin hat einen Stammplatz ganz hinten in der Kirche. Jeden Morgen schließt sie die Kirche auf und macht sie abends wieder zu. Niemand habe begriffen, was vor sich geht. Verständnis für die Störung hat sie nicht. Die Beamten hätten hinten herum in die Sakristei gehen können, um dort mit dem Mesmer zu sprechen, sagt sie.

Viele Kirchgänger in Thanheim fühlten sich gestört

Auch Marie Holder, Leiterin des Kirchenchors, hat sich gestört gefühlt. "Wir waren zutiefst irritiert, ein Raunen ging durch die Kirche", sagt sie. Ihr Chor hat sich lange auf den wichtigen Feiertag vorbereitet. Ihre erste Assoziation: Der Pfarrer muss etwas Schlimmes getan haben. Der aber schien ganz entspannt und winkte mit dem Schlüsselbund. Kurz darauf fuhr ein Kirchengänger das Auto weg.

Gottesdienstbesucher in Bisingen-Thanheim fühlten sich durch den Einsatz der Polizei während der Messe gestört
Marie Holder leitet den Kirchenchor in Thanheim. "Was die Gemeinde musikalisch auf die Beine stellt, ist beachtlich", sagt sie.

Für viele Menschen war der Gottesdienst ein wichtiges Event, auf das sie sich gefreut hatten, sagt Marie Holder. Die bewaffneten Beamten hätten viele als totale Störung empfunden. "Wir haben dann noch gesungen, aber die Stimmung war schräg."

Schon länger Ärger um Parkplatz von Pfarrer

Mehrere Anwohner aus Bisingen-Thanheim erzählen dem SWR, dass es schon länger Ärger um den Parkplatz des Pfarrers gibt. Dieser ist extra für ihn reserviert, werde jedoch häufig von jemand anderem benutzt. Am Ende des Gottesdienstes habe der Pfarrer eine Mail vorgelesen, in der er die Gemeinde bereits auf die schwierige Parksituation aufmerksam gemacht hatte. Um die Situation zu verbessern, soll jetzt das selbstgebastelte Parkschild durch ein amtliches ersetzt werden.

Gottesdienstbesucher in Bisingen-Thanheim fühlten sich durch den Einsatz der Polizei während der Messe gestört
Das selbstgemachte Schild soll bald durch ein amtliches ersetzt werden.

Kirchenrechtler: "Eingriff in die Religionsfreiheit"

Christian Hillgruber ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Bonn. Er sieht in der Störung des Gottesdienstes einen Eingriff in die Religionsfreiheit. Das Einschreiten der Polizei wäre nur dann in Ordnung gewesen, wenn in der Situation die Grundrechte anderer Personen noch wichtiger gewesen wären, zum Beispiel die Berufsfreiheit. Das sei hier aber nicht so gewesen. Auch wenn die Frau zur Arbeit wollte: Die Berufsfreiheit garantiert nämlich nicht, dass das mit dem Auto gehen muss. 

Anwohnerin hätte Taxi nehmen können

Die Maßnahme der Polizei in der Kirche hält der Experte für unverhältnismäßig: "Die Ermittlung des Falschparkers war mit einer Störung der Religionsausübung verbunden, die nicht nur den Priester, sondern auch die Gläubigen betraf." Deshalb hätte die Polizei das Auto auf einen anderen Parkplatz schleppen oder der Anwohnerin sagen müssen, dass sie ein Taxi nehmen soll – ein milderes Mittel als die Störung des Gottesdienstes. Die Kosten für beides hätte im Nachhinein der Priester übernehmen müssen. 

Bisingen-Thanheim

Verstoß gegen das Grundgesetz? Erzdiözese Freiburg kritisiert Polizeieinsatz bei Gottesdienst in Bisingen-Thanheim

Weil ein Pfarrer falsch geparkt hat, haben Beamte einen Gottesdienst unterbrochen. Die Erzdiözese Freiburg kritisiert den Einsatz. Rechtliche Schritte will sie aber nicht einleiten.

SWR4 BW am Morgen SWR4 Baden-Württemberg

Thanheimer Bürger: Aufmerksamkeit zu groß

Mit strafrechtlichen Konsequenzen müssen die Beamten nicht rechnen. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hatte keine Tatbestandsmerkmale für eine Störung der Religionsausübung (Paragraf 167 des Strafgesetzbuches) festgestellt, so das Reutlinger Polizeipräsidium.

Die Aufregung und der Medienrummel sind vielen Thanheimern mittlerweile zu groß. Der Fall hatte die Erzdiözese Freiburg auf den Plan gerufen, es gab sogar einen Runden Tisch zwischen Polizei und Kirche, der zu einer Aussprache führte. Die Polizei hat den Einsatz bedauert.

So kommentieren zwei SWR-Redakteurinnen den Polizeieinsatz:

Bisingen-Thanheim

Berechtigt oder unberechtigt? Zwei Meinungen: Aufregung nach Polizeieinsatz in Gottesdienst in Bisingen-Thanheim

Ein Pfarrer parkt eine Anwohnerin vor der Kirche zu, feiert Gottesdienst und wird währenddessen von Polizisten gebeten, sein Auto umzuparken. Ein Aufreger im Ort und in der Kirche. Zu Recht?

Mehr von SWR Aktuell Baden-Württemberg

Baden-Württemberg

Die wichtigsten News direkt aufs Handy SWR Aktuell Baden-Württemberg ist jetzt auch auf WhatsApp

Der WhatsApp-Kanal von SWR Aktuell bietet die wichtigsten Nachrichten aus Baden-Württemberg, kompakt und abwechslungsreich. So funktioniert er - und so können Sie ihn abonnieren.

Baden-Württemberg

SWR Aktuell - der Morgen in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren: Newsletter mit BW-Nachrichten am Morgen!

Sie wollen morgens auf dem neuesten Stand sein? Dann abonnieren Sie "SWR Aktuell - der Morgen in BW". Die News aus Ihrem Bundesland ganz bequem in Ihrem Mailpostfach.