Marco ist Polizist in Baden-Württemberg und war gleichzeitig Mitglied bei den Klimaaktivisten der "Letzten Generation". Im Verborgenen, wie er dem SWR sagt, nie öffentlich. "Ich habe Datenpflege betrieben, Kontakte sortiert und solche Sachen, Schreiben aufgesetzt."
Marco heißt eigentlich anders, er will nicht erkannt werden. Bei Straßenblockaden der Aktivisten sei er nie dabei gewesen. "Das ist nicht meine persönliche Art, aktiv zu werden. Ich habe großen Respekt für die Leute, die sich diese Sache antun. Aber es ist nichts für mich."
Wie kam Marco zur "Letzten Generation"? Er sei fasziniert davon gewesen, dass die Klimaschützer so viel mediale Aufmerksamkeit für ein wichtiges Thema bekommen. "Darum geht es ja in erster Linie: Man läutet diese Alarmglocke, wir haben hier diese Klimakatastrophe, diese Klimakrise, die unaufhaltsam und immer näher kommt. Wir brauchen mehr Klimaschutz."
Austritt aus Sorge vor beruflichen Nachteilen
Mittlerweile ist Marco nicht mehr bei der "Letzten Generation" aktiv. "Ich habe die Sorge, dass mich das auch in meiner Karriere beeinträchtigen könnte. Wenn der Vorgesetzte eine sehr festgefahrene Meinung gegenüber der 'Letzten Generation' hat, kann dass dazu führen, dass man benachteiligt wird."
Landesbürgerbeauftragte mahnt Polizei zur Vorsicht Polizeigewerkschaft: Bürger für hartes Vorgehen gegen Klimaaktivisten
Der Vorsitzende der BW-Polizeigewerkschaft zeigt Verständnis für eine harte Gangart der Polizei gegen die "Letzte Generation". Die Landesbürgerbeauftragte mahnt zur Vorsicht.
Auslöser für Marcos Rückzug waren auch Aussagen von Ralf Kusterer, dem Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Er hält den Polizeiberuf und eine Zugehörigkeit zur "Letzten Generation" für unvereinbar: "Aus meiner Sicht ist das ein Widerspruch und verträgt sich nicht. Gelinde gesagt gibt es 100.000 Möglichkeiten, um sich für Klimaschutz einzusetzen. Dazu muss man nicht zur 'Letzten Generation' gehen", sagte Kusterer dem SWR.
Und er geht noch weiter: "Es ist schon eine Organisation, auf die der Verfassungsschutz mal einen Blick werfen sollte." Bisher beobachtet der Verfassungsschutz die "Letzte Generation" nicht, sie gilt auch nicht als kriminelle Vereinigung.
Innenministerium: Beamte müssen für freiheitliche Grundordnung eintreten
Dem baden-württembergischem Innenministerium zufolge steht es allen Beamten frei, sich privat den Klimaaktivisten anzuschließen. Aber: "Wenn Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte bei ihren Aktivitäten erkennbar als solche auftreten, müssen Sie sich an die geltenden Beamtenpflichten halten."
Zu der besonderen Dienst- und Treuepflicht der Beamtinnen und Beamten gehöre beispielsweise die Mäßigungs- und Neutralitätspflicht. Polizeibeamte müssten außerdem die "Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten", teilte das Ressort von Minister Thomas Strobl (CDU) dem SWR mit.
"Letzte Generation" wirbt unter Polizisten
Polizist Marco ist der Überzeugung, dass die Aktivistinnen und Aktivisten sich an die demokratischen Spielregeln halten. "Die Idee dahinter ist ja, diese Welt, diesen Planeten für uns und die Generationen nach uns zu erhalten. Das ist meiner Meinung nach ein sehr demokratischer Zweck."
Für diesen Zweck will die "Letzte Generation" auch gezielt Polizisten und Polizistinnen gewinnen, mit der sogenannten Polizeivernetzung, an der auch Marco beteiligt war. Beamte wurden per Mail angeschrieben und zum Dialog und zum Mitmachen aufgerufen.
Gewerkschafts-Chef Kusterer empört das: "Es ist eine perfide Idee zu versuchen, die Polizei für sich zu gewinnen und dem Bürger zu sagen: 'Schaut mal, die Polizei macht bei uns mit.' Ein Beamter, der da mitmacht, der wird im Regelfall die Grenzen dessen überschreiten, was er tun darf."
Strobl-Ressort schaltet Generalsstaatsanwaltschaft ein
Auch das Innenministerium in Stuttgart ist alarmiert. So habe man am 1. September die Dienststellen und Einrichtungen sensibilisiert, Kontaktversuche durch die "Letzte Generation" an das Landeskriminalamt Baden-Württemberg zu melden. Zudem habe man die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart eingeschaltet. Diese solle prüfen, ob eine solche Kontaktaufnahme strafrechtlich relevant ist.
Der ehemalige Aktivist Marco sagt, es gehe der "Letzten Generation" nicht darum, Polizisten zu rekrutieren, sondern in den Austausch zu treten und mehr gegenseitiges Verständnis zu schaffen. "Bisher wird zu viel übereinander, zu wenig miteinander geredet."
Darf einem Polizisten "die Hutschnur reißen"?
Zuletzt gab es immer wieder brisante Situationen. Nicht jede Polizistin oder jeder Polizist hat dabei die Nerven im Griff. Vergangene Woche kippte eine Polizistin in Mannheim einer Aktivistin Öl nicht nur auf die festgeklebten Hände, sondern auch über den Kopf. Bei den Klimaschützern war die Empörung groß. Der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Ralf Kusterer, zeigte Verständnis dafür, wenn den Beamten mal "die Hutschnur reißt".
Aktiver Widerstand Finanzierung, Ziele, Hintergründe: Das ist die "Letzte Generation"
Die "Letzte Generation" tritt vor allem mit Straßenblockaden in Erscheinung. Welche Ziele verfolgt die Gruppe, wie finanziert sie sich? Antworten und Hintergründe:
Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung?
Bundesweit laufen hunderte Gerichtsverfahren gegen Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" wegen Nötigung und anderer Delikte. In der Regel geht es dabei um Geldstrafen.
Anfang März verurteilte das Amtsgericht Heilbronn Mitglieder der Gruppe erstmals zu mehrmonatigen Haftstrafen ohne Bewährung. Die Männer hatten sich auf einer Straße in Heilbronn festgeklebt. Die Strafen fielen dem Gerichtssprecher zufolge strenger aus, weil sie schon öfter wegen ihres Klimaprotests auffällig gewesen seien und vor Gericht erklärt hätten, dass sie mit den Aktionen weitermachen wollten.
Unter Juristen ist umstritten, ob die "Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Nach Paragraf 129 im Strafgesetzbuch ist ein Zusammenschluss kriminell, wenn sich mindestens drei Personen zusammentun, um Straftaten zu begehen. Der Zweck muss hauptsächlich auf dieses Ziel gerichtet sein.