Nach AfD-Erfolgen in Sachsen und Thüringen

Meinung zu Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: CDU und SPD brauchen Führungspersonen, die begeistern können

Stand
Autor/in
Sebastian Deliga
Onlinefassung
Wolfgang Lickert

Politische Führung in Krisen muss Menschen eine Hoffnung aufzeigen. Das lassen Kanzler Scholz und Oppositionsführer Merz vermissen, meint SWR-Hauptstadtkorrespondent Sebastian Deliga.

Auch uns in Baden-Württemberg können die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen nicht kaltlassen. Denn die AfD kommt auch bei uns auf zweistellige Ergebnisse - und das, obwohl in Baden-Württemberg die grün-schwarze Koalition mit ihrem Landesvater Winfried Kretschmann (Grüne) zumindest nach außen hin Stabilität verkörpert. Die Konflikte, die es auch in der baden-württembergischen Koalition gibt, werden weitgehend hinter verschlossenen Türen ausgetragen und gefundene Kompromisse dann im Großen und Ganzen geschlossen vertreten.

Doch bundespolitische Einflüsse gehen auch am Ländle nicht vorbei. Und die Ampelkoalition im Bund, die die Bundesregierung trägt - das zeigen die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen - ist kein Ausweis von Stabilität. Obwohl SPD und Grüne - nicht aber die FDP - bei diesen Landtagswahlen noch einmal mit einem dunkelblauen Auge davongekommen sind, scheinen ihre Akteure nicht mehr in der Lage zu sein, für Zuversicht im Land zu sorgen, und das ist fatal. Rund 80 Prozent der von Infratest-dimap bundesweit Befragten sind unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Weit mehr als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler in Thüringen sehen die Landtagswahlen als geeignete Gelegenheit, der Ampel einen Denkzettel zu verpassen. Die sehr große Unzufriedenheit mit der Arbeit der Bundesregierung und ihren Akteuren hat zweifellos zu diesen Wahlergebnissen beigetragen - wie auch das subjektive Empfinden, dass der Lebensstandard sinke. Hinzu kommt die wirtschaftliche Unsicherheit.

Portraitfoto von SWR-Hauptstadtkorrespondent Sebastian Deliga
SWR-Hauptstadtkorrespondent Sebastian Deliga

Bundeskanzler Scholz macht Menschen keinen Mut

Insofern war ein wichtiges Thema bei diesen Landtagswahlen die soziale Sicherheit. Eigentlich ein Feld, auf dem die SPD Punkte machen müsste. Zudem spielte die innere Sicherheit eine wichtige Rolle. Doch auch wenn der Bundeskanzler nach dem Schock des Anschlags von Solingen sich bemühte, seinen versprochenen Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen und einem Abschiebeflug nach Afghanistan noch schnell die Starterlaubnis erteilte: Das Bild, das vor allem er in den vergangenen Jahren den Deutschen präsentiert hat, ist wechselhaft und oftmals unglücklich.

Politische Führung in Krisen muss Menschen auch emotional ansprechen und ihnen eine hoffnungsvolle Vision aufzeigen. Politische Führungspersonen müssen bestenfalls in der Lage sein, inspirierende Reden zu halten und die Menschen zu motivieren, ihnen Mut zu machen. Eine solche politische Führungsperson ist Olaf Scholz nicht. Nach einer einzigen beeindruckenden Rede - zur Zeitenwende im Bundestag - hat er jegliche Bemühungen in dieser Richtung eingestellt und stattdessen kleinkarierten Streit in seiner Koalition sehenden Auges zugelassen und durch noch dröhnenderes Schweigen verstärkt. Er ist kein Kennedy, kein Obama, auch kein Willy Brandt oder Helmut Schmidt - er ist eben Olaf Scholz. Aber auch der kann mehr, als er - aus Sturheit oder Selbstgenügsamkeit - der Wählerschaft während seiner Amtszeit präsentiert hat.

Das größte Missverständnis ist, dass Scholz Führung offenbar mit der Ansage konkreter Handlungsvorgaben verwechselt. Sein Diktum "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch" soll Entschlossenheit demonstrieren, ohne dass es tatsächlich Wirkung zeitigt. Stattdessen geht es eben gerade in der Politik darum, mit Menschen in eine motivierende und lebendige Führungsbeziehung einzutreten, wofür eine gelingende Kommunikation die Voraussetzung ist. Doch auf diesem Gebiet liefert Scholz nicht. Es scheint ihm egal zu sein. Das Vakuum, das die politische Führungsperson Olaf Scholz hinterlässt, füllen andere. Etwa die AfD, die dabei ist, sich von einer Protestpartei zu einer etablierten Partei zu entwickeln und auch attraktiv wird für Wählerinnen und Wähler, die selbst nicht extrem sind.

Auch die Union hat ein Problem. Friedrich Merz ist kein Zugpferd, das Wähler für die CDU begeistern könnte. Auch das zeigen die Zahlen. Merz‘ Neigung, große Worte zu wählen und dann doch unter den Zwängen der Gegebenheiten oftmals wieder zurückrudern zu müssen, scheint nicht geeignet, Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern zu wecken.

Keine geeigneten Führungspersonen bei CDU und SPD

Was folgt aus alldem? Zunächst die Einsicht, dass die politische Spitzenakteure der Ampel, aber auch der Union dringend ihre Kommunikation verändern sollten. Weder das Scholzsche Schweigen noch das Merzsche Aufbäumen werden offenbar als besonders vertrauenserweckend empfunden, vor allem, wenn Reden und Handeln entweder auseinanderfallen oder im nachträglichen kleinkarierten Streit untergehen. Sollte diese Einsicht nicht reifen, dann sollten SPD und CDU bei der Wahl ihres Kanzlerkandidaten jetzt noch einmal nachdenken. Denn die Parteien der Mitte haben nicht nur die Aufgabe, Politikentwürfe vorzuschlagen, sondern auch Elitenrekrutierung zu betreiben und geeignetes Spitzenpersonal zu finden. Dieser Aufgabe müssen die beiden Volksparteien SPD und CDU gerecht werden.

Hier liegt auch eine Aufgabe für die baden-württembergischen Landesverbände von SPD und CDU. Die baden-württembergischen Sozialdemokraten stellen mit Saskia Esken aus Calw eine der beiden Bundesvorsitzenden. Sie könnte sich an Herbert Wehner ein Beispiel nehmen: Der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende entzog 1974 dem beliebten Kanzler Willy Brandt, der damals gerade erst das beste SPD-Ergebnis überhaupt erzielen konnte, das Vertrauen, nachdem er den Eindruck gewonnen hatte, Brandt führe nicht mehr. Bisher beteuert die SPD-Führung ihre uneingeschränkte Solidarität mit Scholz, trotz der desaströsen Umfragewerte des Kanzlers. Dabei hat die SPD mit Verteidigungsminister Boris Pistorius eine denkbare Alternative in ihren Reihen.

Bei der Union kommt den Baden-Württembergern, die den zweitgrößten Landesverband in der CDU bilden, eine nicht unbedeutende Rolle zu bei der Entscheidung, wer die Partei in die Bundestagswahl führen soll. Immerhin finden 2026 die Landtagswahlen in Baden-Württemberg statt. Dort will die CDU dann wieder stärkste Partei werden und den Ministerpräsidenten stellen, wofür sie nach einem möglichen schwachen Ergebnis bei der Bundestagswahl keinen Rückenwind erhalten dürfte. Einflussreiche Menschen in der baden-württembergischen CDU sind sich der Schwächen ihres Bundesvorsitzenden Merz wohl bewusst. Allein CSU-Chef Markus Söder als mögliche Alternative zu Merz als Kanzlerkandidat wird in der Landes-CDU weitgehend einhellig ausgeschlossen. Man wird sehen, was daraus folgt. Wieder Augen zu und durch wie 2021 mit Armin Laschet?

Ein Blick in die USA könnte helfen

Vielleicht hilft dabei ein Blick über den Atlantik. Als sich im Präsidentschaftswahlkampf abzeichnete, dass sich mit Donald Trump und Joe Biden zwei Kandidaten gegenüberstehen würden, die die Mehrheit der Amerikaner ablehnt, formulierte die Politikerin Nikki Haley die Prognose, dass jene Partei die Wahl gewinnen werde, die zuerst ihren Kandidaten in den Ruhestand schicke. Der Ausgang der Wahl ist offen, aber die Tatsache, dass sich die Umfragen für die Demokraten verbesserten, als diese Biden durch Kamala Harris ersetzten, scheint zumindest vorerst für Haleys These zu sprechen. Möglicherweise sollten SPD und Union dies bedenken, wenn sie demnächst ihre Kanzlerkandidaten benennen.

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