- Mögliche Nachfolger für Kretschmann und Strobl
- CDU-Stimmen fordern neuen Landesvorsitz
- Özdemir als möglicher Spitzenkandidat
- Merkel als Vorbild für Kretschmann
- Streit um Verkehrspolitik
- Durchwachsene Bilanz bei Klimaschutz
- Finanzminister verweist auf knappe Kassen
- Herausforderungen im Bildungsbereich
Seit dem ersten Tag der neuen Amtszeit wird über die Nachfolge von Winfried Kretschmann (Grüne) spekuliert - sehr zum Verdruss des grünen Regierungschefs. Doch der bundesweit einzige grüne Ministerpräsident ist zur Halbzeit immer noch da. Mittlerweile ist er 75 Jahre alt und sieht keinen Anlass zurückzutreten. Manch grüner Stratege hatte gedacht, der Landesvater könnte in der Mitte der Legislatur für einen Nachfolger Platz machen - für Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Damit dieser sich vor der nächsten Landtagswahl im Frühjahr 2026 einen Amtsbonus erarbeiten kann. Pustekuchen. Womöglich haben die Grünen damit die letzte Chance für einen vorzeitigen Amtswechsel vergeben.
CDU-Fraktionschef Hagel durchkreuzt grüne Gedankenspiele
Denn: Anfang September durchkreuzte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel alle grünen Gedankenspiele. Der Oberschwabe stellte klar, dass die CDU in dieser Legislatur keinen anderen Grünen-Politiker zum Ministerpräsidenten wählen werde. Und das, obwohl CDU-Landeschef Thomas Strobl es Kretschmann zu Beginn anders versprochen haben soll - schließlich war die CDU nach der Wahlschlappe froh, dass Kretschmann es nochmal mit ihr versuchen wollte.
Kretschmann wies den Koalitionspartner CDU in die Schranken. "Manchmal hilft ein Blick in den Koalitionsvertrag", sagte der 75-Jährige am Dienstag in Stuttgart. Darin stehe, dass die Grünen den Ministerpräsidenten stellen. Auf die Frage, ob er sich über Hagels Aussage geärgert habe, sagte Kretschmann. "Man sollte die Dinge durchdenken." Er verwies auf den Ministerpräsidenten-Wechsel in Hessen von Volker Bouffier auf Boris Rhein (beide CDU). "Die Nachfolge ist völlig geräuschlos über die Bühne gegangen." Er habe über das Thema mit Innenminister und CDU-Landeschef Thomas Strobl gesprochen: "Ich habe erstmal keinerlei Gründe, an der Koalitionstreue meines Koalitionspartners zu zweifeln." Der 75-jährige betonte aber auch, die Frage der Nachfolge stelle sich nicht. "Ich habe nicht vor, dieses Amt vorzeitig aufzugeben." Er fühle sich "fit, gesund und neugierig. Ich wüsste nicht, warum ich aufhören sollte."
In der CDU-Fraktion wurde Hagels jüngste Ansage von manchen auch als Signal an den 63-jährigen Strobl verstanden: Deine Zeit ist vorbei. Gleichwohl wissen Eingeweihte, dass Hagel damals auch auf Linie war und das Versprechen an die Grünen mitgetragen hat.
Die Statik in der Koalition könnte also statt von grüner demnächst von schwarzer Seite verschoben werden. Es deutet sich an, dass der Kretschmann-Vertraute Strobl im November den CDU-Landesvorsitz nach zwölf Jahren abgeben muss. Der Innenminister und Vize-Ministerpräsident steht innerhalb der CDU unter Druck. Viele in der Landtagsfraktion lasten ihm an, dass es wegen der Affäre um sexuellen Missbrauch in der Polizei einen Untersuchungsausschuss gibt. Hinzu kommt: Schon vor zwei Jahren erhielt Strobl bei seiner Wiederwahl ohne Gegenkandidat nur 66,5 Prozent. Als Nachfolger steht nun Hagel bereit, den Strobl einst zum Generalsekretär machte.
CDU-Abgeordneter: "Strobl haftet wie Klimakleber an Landesvorsitz"
Noch laufen die Gespräche, heißt es von beiden Seiten. Als Trost soll Strobl noch zwei Jahre Innenminister bleiben dürfen. Auf die Frage, ob er nochmal als Vorsitzender antrete, antwortete er neulich nur, man sei in "sehr konstruktiven, liebevollen Gesprächen". Bis zum Parteitag im November sei ja noch Zeit.
Doch aus der Fraktion kommen schon erste unfreundliche Hinweise: Der Stuttgarter Abgeordnete Reinhard Löffler legte neulich beim Fraktions-Sommerfest seinen Newsletter auf den Tischen aus, auf dem mit Blick auf Strobl stand: "Die Fuchsschwanzsäge an seinem Stuhl ist schon angelegt." Der Anwalt Löffler, wirklich kein Strobl-Freund, schreibt weiter: "Auch im Land haftet sich Thomas Strobl wie ein Klimakleber an den Landesvorsitz und merkt nicht, dass das Verfallsdatum seines autoritären Führungsstils abgelaufen ist."
Grüne drängen: Özdemir soll sich bald entscheiden
Sollte es tatsächlich diesen Wechsel geben, dürfte sich das Klima in der Koalition verändern. Denn Hagel dürfte als CDU-Landesvorsitzender dann wohl auch als Spitzenkandidat für die Wahl 2026 gesetzt sein - auch wenn so mancher Parteifreund spitz darauf verweist, dass Hagel in Baden-Württemberg noch ziemlich unbekannt sei.
Hagels Absage an einen anderen grünen Regierungschef als Kretschmann löste beim Koalitionspartner intern ein Beben aus. Denn ein vorzeitiger Wechsel zu Özdemir war beziehungsweise ist bei der Ökopartei weiter die bevorzugte Option. Angeblich soll sich der 57-jährige Stuttgarter Abgeordnete mit türkischen Wurzeln in den kommenden Monaten entscheiden, ob er Kretschmanns Job übernehmen will - am besten noch vor der Kommunal- und Europawahl im Mai 2024.
Denn: Bei den Wahlen drohen den Grünen Verluste. 2019 standen die Wahlen im Zeichen der Klimabewegung, Fridays for Future machten auf der Straße Druck auf die große Koalition, was auch zu grünen Zugewinnen führte. Die Stimmung hat sich gedreht: Die Grünen kämpfen vor allem wegen des Heizungsgesetzes im Bund und des Streits in der Ampel wieder mit dem Image der Verbotspartei - das ihnen vor allem die Union im Bund aufkleben will.
Kretschmann könnte es wie Merkel machen
Doch was machen die Grünen, wenn die CDU - wie von Hagel angekündigt - bei einem Personalwechsel an der Spitze nicht mitspielen will? Das Druckmittel, man könne in eine Ampel wechseln, gibt es nicht mehr, die FDP würde es nicht mitmachen. Die Aussicht auf vorzeitige Neuwahlen ist angesichts der schwierigen Stimmungslage für die Grünen im Bund auch nicht gerade reizvoll - zumal die CDU bei den Umfragen zuletzt knapp vorne lag. Und somit sieht es danach aus, dass Kretschmann bis zum Schluss durchzieht - wie einst schon Angela Merkel (CDU).
Ein grüner Spitzenkandidat in Baden-Württemberg müsste dann ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl das Kunststück vollbringen, aus dem Stand an Kretschmanns Ergebnis bei der Landtagswahl 2021 heranzukommen: 32,6 Prozent. Kretschmann würde zwar Erwin Teufel (CDU) als Rekord-Ministerpräsident in Baden-Württemberg überholen, aber seine Grünen könnten auch die Macht verlieren.
Alles in allem nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine gedeihliche und geräuschlose Zusammenarbeit in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Da hört es sich wie eine Durchhalteparole an, wenn Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sagt: "Für Stillstand haben wir keine Zeit." Doch ob es nochmal richtig vorangeht, daran gibt es auch in den beiden Parteien dem Vernehmen nach große Zweifel.
Bei Regierungspressekonferenz Ministerpräsident Kretschmann rüffelt CDU-Spitzenpolitiker Hauk und Hagel
Machtwort von Winfried Kretschmann (Grüne): Mit klaren Ansagen reagiert der BW-Ministerpräsident auf zwei Politiker des Koalitionspartners CDU - Peter Hauk und Manuel Hagel.
Zankapfel Verkehr: Raufen sich Hermann und CDU zusammen?
Beispiel Verkehr: Im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU ist eine Lkw-Maut auf Landstraßen und kommunalen Straßen vorgesehen. Für die CDU war das damals eine bittere Pille. Zwar sollte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) bis zur Hälfte der Wahlperiode sondieren, ob andere Bundesländer da mitgehen wollen. "Keine Chance", räumte Hermann neulich ein. Heißt: Nun will er die Ausweitung der Lkw-Maut im Alleingang umsetzen. "Wir sind da gut vorbereitet", kündigte der Grüne an.
Aber macht die CDU das mit? Hagel hatte schon vor einem Jahr argumentiert, in Zeiten von Inflation und Wirtschaftskrise im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sei eine zusätzliche Belastung durch eine Lkw-Maut keine gute Idee.
Überhaupt ist die Verkehrspolitik zuletzt Zankapfel in der Koalition gewesen. Die CDU hält den von Hermann vorgelegten Entwurf für ein Mobilitätsgesetz für zu bürokratisch. Zudem zweifelt die Union daran, dass es gelingt, mehr Menschen zum Umstieg auf Busse und Bahnen zu bewegen.
Hermann und Fraktionschef Schwarz bestehen aber darauf, dass alle Bürgerinnen und Bürger bis 2026 eine Mobilitätsgarantie bekommen sollen. Dann soll in den Hauptverkehrszeiten auf dem Land mindestens alle 30 Minuten ein Bus fahren, in den Ballungszentren sogar mindestens alle 15 Minuten. Aber selbst Kretschmann zweifelt daran, dass für dieses Projekt genug Geld da sein wird. Allein: Grüne und CDU drohen die ehrgeizigen Klimaziele im Verkehr zu verfehlen.
Anspruch und Wirklichkeit beim Klimaschutz klaffen auseinander
Beispiel Klimaschutz: Zwar rühmen sich Grüne und CDU damit, das bundesweit ehrgeizigste Klimaschutzgesetz zu haben. Doch zu wirklichen CO2-Einsparungen hat das noch nicht geführt. Laut Statistischem Landesamt sind die CO2-Emissionen im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2021 nur um 0,4 Prozent gesunken. Das Ziel bis 2030 ist eigentlich: ein Minus von 65 Prozent der Emissionen im Vergleich zu 1990. Bisher ist nicht viel passiert. Um das Ziel zu erreichen, dürften laut Statistischem Landesamt 2030 nicht einmal mehr die Hälfte der Emissionen von 2022 ausgestoßen werden.
Positiv vermerken Klimaschützer, dass Grüne und CDU die Photovoltaik-Pflicht für Neubauten durchgesetzt haben. Auf eine Ausweitung für alle Bestandsbauten konnte sich die Koalition aber nicht einigen. Bei der Windkraft sieht es noch mauer aus. Hier verweist Kretschmann stets darauf, die frühere große Koalition im Bund habe den Ausbau in Baden-Württemberg mit neuen Ausschreibungsbedingungen ausgebremst. Zwar hat die Ampel das geändert und auch in Baden-Württemberg hat eine Taskforce versucht, den Bürokratiedschungel vor dem Bau eines Windrads zu lichten. Doch von den einstmals 1.000 versprochenen neuen Windräder bis 2026 ist noch nicht viel zu sehen.
Um den Klimaschutz voranzubringen, müsste das Land auch viele Milliarden mehr in die Sanierung der Landesgebäude und Hochschulen stecken. Und: Zwar ist Baden-Württemberg bei der Planung von Wärmenetzen bundesweit führend, doch dann müssen die Leitungen auch bald gelegt und verbuddelt werden. Das liegt in der Verantwortung der Kommunen, aber die werden auch hier Geld vom Land wollen.
Kretschmann glaubt weiter an Besserung Klimaschutzziel gefährdet: BW kommt bei CO2-Ausstoß nicht vom Fleck
Baden-Württembergs Klimaschutzziel bleibt nach aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamts in weiter Ferne. Die Landesregierung beruft sich auf bisherige Erfolge.
Geldmangel zwingt zu schmerzhaften Kompromissen
Apropos Finanzen: Im kommenden Jahr steht der letzte Doppelhaushalt in dieser Legislaturperiode an. Die Aussichten sind angesichts des Abschwungs in Deutschland nicht gerade rosig. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) hat Grüne und CDU schon öfter davor gewarnt, sich zu sehr auf ihre Projekte zu versteifen. Zuletzt sagte er: "In Zeiten knapper Kassen muss sich das Land wieder auf die Kernaufgaben der jeweiligen staatlichen Ebenen konzentrieren. Wir bekommen nicht mehr alles, was wir in den Koalitionsverträgen schreiben, hin."
Es werde auch "Zumutungen" geben. Es sei aber auch eine Chance, sich auf klare politische Prioritäten zu konzentrieren. Hiermit ist er auf einer Linie mit den Kommunalen Landesverbänden, die Grün-Schwarz angesichts der Zeitenwende aufgefordert hatten, den Koalitionsvertrag zur Seite zu legen und wirklich nötige Veränderungen anzugehen. Immerhin haben sich Kommunen und Regierung nach langem Ringen auf ein Bündnis für Bürokratieabbau verständigt - ob dies schnell zu Ergebnissen kommen kann, ist abzuwarten.
Stellt sich perspektivisch die Frage, ob die grün-schwarze Koalition es trotz personeller Veränderungen und aufziehendem Wahlkampf schafft, sich auf nötige Prioritäten zu einigen. Der erbitterte Haushaltsstreit in der Ampel-Regierung hat jüngst Anschauungsmaterial geliefert, was passiert, wenn kaum jemand bereit ist, Schwerpunkte zu setzen oder zu kürzen.
Finanzminister spricht von Zäsur Baden-Württemberg nimmt laut Schätzung 2023 weniger Steuern ein
Ende des vergangenen Jahres hatte der BW-Landtag für die Jahre 2023 und 2924 einen Rekord-Haushalt beschlossen. Dieser muss nun aber mit weniger Steuereinnahmen auskommen.
Nach Absturz in Rankings muss Land bei Bildung gegensteuern
Die CDU dürfte vor allem daran gelegen sein, die Einstellungsoffensive bei der Polizei und den Breitbandausbau fortzusetzen, die Wirtschaft in der Krise zu stützen und ein neues Wohnraumprogramm aufzusetzen.
Bei den Grünen dürfte neben Klimaschutz und Verkehr vor allem der Bereich Bildung im Vordergrund stehen. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) muss derzeit überall erklären, warum das Land in allen Rankings der Bundesländer nach unten durchgereicht wird. Sie will nun vor allem bei der Grundschule ansetzen, wo die Grundlagen für einen guten Bildungsweg gelegt werden. Doch auch dafür ist viel Geld vonnöten. Um den Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab dem Schuljahr 2026/2027 gewährleisten zu können, wird das Land den Kommunen trotz des Bundeszuschusses finanziell unter die Arme greifen müssen.
Politische Fehler und neue Herausforderungen Wo es im Bildungssystem in Baden-Württemberg hakt
Das Bildungssystem in BW hat in den letzten zehn Jahren bundesweit am meisten verloren. Aber: Es tut sich was. Über hausgemachte Fehler der Politik und neue Herausforderungen.
Um die Lehrerverbände ein wenig zu befrieden, hat Grün-Schwarz sich vergangenes Jahr durchgerungen, befristet angestellte Lehrkräfte auch über die Sommerferien zu bezahlen und nicht mehr in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Mit Spannung wird erwartet, was das vom Land berufene Bürgerforum in der Frage des acht- oder neunjährigen Gymnasiums entscheidet. Der Trend in Deutschland geht zurück zu G9. Sollte Grün-Schwarz sich gegen den Willen Kretschmanns für eine Rückkehr entscheiden, müssten dafür mehrere Hundert neue Lehrerstellen geschaffen werden.
Aber woher sollen die Lehrkräfte kommen? Oppositionsführer Andreas Stoch (SPD) beklagt, dass auch in diesem Schuljahr wieder mehrere hundert Lehrerstellen unbesetzt bleiben und somit viel Unterricht ausfallen werde. "Es ist nicht akzeptabel, dass über 20 Prozent der Kinder in Baden-Württemberg nach der Grundschule nicht vernünftig lesen und schreiben können. Das ist ein Ausdruck von Versagen der Landespolitik", sagte der SPD-Fraktionschef, der von 2013 bis 2016 selbst Kultusminister war. Und viele in der Landespolitik sagen seit jeher, dass Wahlen in der Bildungspolitik verloren werden können.