Die bisher umgesetzten und geplanten Maßnahmen der baden-württembergischen Landesregierung reichen nicht aus, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die am Donnerstag von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch und Energieökonomin Claudia Kemfert vorgestellt wurde. Die SPD Baden-Württemberg hatte die Studie in Auftrag gegeben.
Die Studie hat die Sektoren Gebäude, Verkehr sowie Strom- und Wärmeerzeugung untersucht. In keinem Bereich könne Klimaneutralität auch nur ansatzweise erreicht werden. Die Landesregierung müsse deutlich mehr tun, so Claudia Kemfert vom DIW. Die Umsetzung der Klimaschutzziele bleibe hinter den Ankündigungen zurück. Das DIW rechnet mit Investitionen von mehr als 130 Milliarden Euro allein für die untersuchten drei Themenfelder. Dazu komme die um ein Vielfaches teurere Umstellung des wesentlichen Kostentreibers, der Wirtschaft. Allein im Gebäudebereich seien bis 2030 Investitionen in Höhe von 70 Milliarden Euro notwendig, die energetische Sanierungsrate müsse von einem auf rund vier Prozent erhöht werden, so Kemfert.
Wirtschaftsökonomin: "Keine Zeit mehr" beim Klimaschutz
Laut Studie sind zudem fast 200.000 zusätzliche Fachkräfte und eine ehrliche Bundes- und auch Landespolitik der "offenen Karten" nötig, die weder Aufwand noch Kosten verschleiere. "Wir haben keine Zeit mehr. Die Emissionen müssen sinken - und zwar schnell", sagte Kemfert.
In der Studie werden vor allem die deutlich intensivere Sanierung und der Austausch von Heizsystemen in Gebäuden gefordert. Auch der motorisierte Verkehr auf den Straßen müsse schneller auf Elektro umgestellt und die Erzeugung von erneuerbarem Strom und Wärme ausgebaut werden. Außerdem müssen weitaus mehr Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein als bisher. Für die meisten Veränderungen könne die Politik aber nur den Rahmen schaffen, sagte Kemfert. Leisten und zahlen müssten die Umstellungen aber vor allem nicht-staatliche Akteure wie Privatpersonen und Unternehmen.
Stoch wirf der Landesregierung Ankündigungspolitik vor
Beim Klimaschutz geht die Landesregierung selbst nicht mit gutem Beispiel voran, kritisiert SPD-Politiker Andreas Stoch, der die Studie in Auftrag gegeben hat. Das führe zwangsläufig zu Akzeptanzproblemen in der Bevölkerung. Für Stoch zeigt die Studie eindeutig, dass die Landesregierung mehr für den Klimaschutz tun muss. Er wirft Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und seiner Regierung leere Versprechen und "Schaufensterpolitik" vor, die die Einhaltung der Klimaziele bis 2040 ebenso bedrohe wie den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg. Zwischen dem, was notwendig wäre und dem, was tatsächlich passiert, liegen Lichtjahre, so Stoch gegenüber dem SWR.
Über allem stehe der Fachkräftemangel. Es könnten alle Voraussetzungen für die Klimaneutralität erfüllt sein, aber "wenn es Ihnen niemand umsetzt, wird es nichts", sagte Stoch. Er forderte Anreize und Fördermaßnahmen, das Land habe momentan ausreichend Geld und dürfe sich nicht hinter der Schuldenbremse verstecken.
DGB BW fordert mehr Tempo beim Klimaschutz
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund Baden-Württemberg (DGB) schließt sich den Forderungen von DIW und SPD an und erwartet mehr konkrete Maßnahmen für ambitionierten Klimaschutz von der Landesregierung. Dazu gehöre, mehr Flächen für Wind- und Solarenergie auszuweisen, so der Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg, Kai Burmeister, am Donnerstag. Der Vorsitzende machte außerdem auf die Bedeutung Fachkräften aufmerksam: "Fehlende Fachkräfte dürfen nicht zum Showstopper für den Klimaschutz werden. Deshalb muss Klimaschutz mehr denn je mit einer Fachkräftestrategie verbunden werden." Die Strategie müsse Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung umfassen, so Burmeister. Die Akzeptanz der Klimawende hinge davon ab, ob sie sozial gestaltet ist und Klimaschutzpolitik würde nur mit einer "starken sozialen Komponente" gelingen, sagte der DGB-Vorsitzende.
Grüne weist Vorwürfe zurück
FDP-Klimaexperte Daniel Karrais sieht durch die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung seine Kritik untermauert. Statt auf klimafreundliche Zukunftstechnologien zu setzen, erschöpfe sich das Regierungshandeln im "Klein-Klein". Für AfD-Fraktionschef Anton Baron verdeutlicht die Studie, dass der Staat allein Klimaschutz-Investitionen nicht leisten könne.
Die Regierungsfraktion der Grünen weist die Vorwürfe zurück: Nur mit einer Klimapolitik von Bund und Land können die Ziele erreicht werden, so Fraktionschef Andreas Schwarz, der vom Kanzleramt mehr Zielstrebigkeit fordert. Er sieht keine neuen Erkenntnisse, dennoch liefere die Studie wertvolle Denkansätze. Einer dieser Ansätze ist nach Überzeugung von SPD-Fraktionschef Stoch, dass Klimaschutz Geld kostet. Die Landesregierung müsse deshalb mehr in Klimaschutzmaßnahmen investieren. Das Geld ist da, sagt Stoch: Im Haushalt gebe es einen Überschuss von 6 Milliarden Euro.
Klimaschutz der BW-Regierung in der Kritik
Zuletzt hatte die grün-schwarze Landesregierung unter anderem für das neue sogenannte Klimamaßnahmenregister heftige Kritik eingesteckt. Darin führt die Landesregierung zentrale Maßnahmen auf, die sie selbst ergreift, sammelt und laufend aktualisiert. Festgehalten wird vor allem, mit welchen Anschaffungen, Umbauten oder Reformen Kohlendioxid (CO2) eingespart werden soll. Allerdings ist das Land sehr oft von der europäischen Gesetzgebung abhängig, viele Entscheidungen müssen auch von den Kommunen getroffen werden.
Dringend raschere Maßnahmen gefordert Experten warnen: BW stärker von Klimaerwärmung betroffen
Ohne einen "Doppelwumms" seien die Ziele des geplanten Klimaschutzgesetzes in BW nicht erreichbar. Es brauche mehr und vor allem schnellere Maßnahmen, sagen Fachleute und der BUND.
Der Sachverständigenrat hatte bereits kritisiert, das Register sei unzureichend und unkonkret. Nachbesserungen seien wichtig, hatte das Gremium aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Februar angemerkt. Der Rat soll die Landesregierung etwa beim geplanten Ausbau der Windkraft und im Kampf gegen den Klimawandel beraten sowie beim Monitoring der Maßnahmen mitwirken.
Das Land hat sich zum Ziel gesetzt, seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren und bis 2040 klimaneutral zu werden - fünf Jahre früher, als es der Bund für Deutschland beschlossen hat. Es dürfen dann nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden, wie wieder gebunden werden können.