Angesichts der Vorwürfe gegen den EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah hat die AfD-Spitze ihren Kritikern vorgeworfen, die Partei mutwillig in den Schmutz ziehen zu wollen. Sie sei Opfer einer Kampagne. "Ich sehe nur, wie unsere Partei diskreditiert wird", sagte Alice Weidel, Co-Vorsitzende der Bundes-AfD, am Samstag beim Wahlkampfauftakt in Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis). Sie sprach von einer "Doppelmoral" bei Medien und anderen Parteien, die bei der AfD andere Maßstäbe anlegten.
Parteichef: AfD wird gestärkt daraus hervorgehen
Ihr Co-Chef Tino Chrupalla sagte: "Es soll nicht um Krah, Krah, Krah gehen, es geht um die Partei und nicht um die Person." Man wolle die AfD wenige Wochen vor den Europa- und Kommunalwahlen am 9. Juni beschädigen und Unruhe stiften. "Wir werden dem widerstehen." Am Ende gehe die AfD gestärkt aus dieser Zeit hervor. Chrupalla sagte aber auch: "Wer nachweislich käuflich ist, muss gehen."
AfD fordert Habecks Rücktritt wegen Atomausstieg
Weidel und Chrupalla nutzten ihre Reden, um zum Gegenangriff auf die Ampel-Bundesregierung überzugehen. Die AfD-Chefin machte sich über die Teillegalisierung von Cannabis lustig. Es gehe um "Kiffen für alle". Weidel forderte den grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wegen seiner Energiepolitik zum Rücktritt auf. Habeck habe Warnungen von Experten aus seinem Ministerium zum Atomausstieg vor gut einem Jahr ignoriert. Auch Chrupalla nahm Habeck ins Visier: "Jeder Bürger soll frei wählen, wie er heizt und mit welchem Auto er fährt."
SWR-Reporter Henning Otte war in Donaueschingen (Schwarzwald-Baar-Kreis) und erklärt, wie die AfD mit den Verstrickungen von Krah umgeht - nämlich mit Geschlossenheit und Attacke.
Chrupalla für Verhandlungen mit Russland
Der AfD-Bundeschef sprach sich erneut gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine aus. "Hat man aus der Geschichte nichts gelernt? Wir müssen nicht bei jedem Krieg mitmachen, das bringt uns nichts." Chrupalla plädierte für Verhandlungen mit Russland, das einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Die Europäische Union müsse dringend reformiert werden, sie greife viel zu stark in das tägliche Leben der Menschen ein. Die AfD sei nicht gegen Europa, sondern gegen die EU. Wenn diese nicht zu reformieren sei, müsse man überlegen, "wie man aus dieser EU auch austritt".
Demos vor der Halle: Gerangel zwischen Antifa und Polizei
Vor der Halle, in der der AfD-Wahlkampfauftakt stattfand, begann gegen 13 Uhr eine Demonstration für Demokratie. Zur Kundgebung "Für Demokratie und Vielfalt in Europa" hatten unter anderem SPD, CDU, Grüne und FDP aufgerufen. Mehrere hundert Menschen protestierten mit Trillerpfeifen und Plakaten gegen die AfD. Kurz vorher war auch eine kleinere Gruppe der Antifa aus Villingen-Schwenningen zu der Demo gestoßen. Sie wurde von zwei Dutzend Polizisten bei ihrem Marsch vom Bahnhof zur Donauhalle begleitet. Die Halle selbst wurde von der Polizei mit Absperrgittern abgeriegelt.
Am Rande der Gegendemo kam es zu einem Gerangel zwischen Antifa und Polizei. Ein Aktivist habe dann einen Polizisten attackiert, sagte ein Polizeisprecher. Daraufhin drängte die Polizei die etwa 20 Antifa-Leute von der Demo ab und stellte ihre Personalien fest. Der Angreifer muss mit einer Anzeige wegen Körperverletzung rechnen.
Krah in Donaueschingen nicht dabei
Schon im Vorfeld der Veranstaltung standen die Vorwürfe gegen AfD-Spitzenkandidat Krah im Mittelpunkt, der beim Wahlkampfauftakt nicht dabei war. Am Montagabend war ein Mitarbeiter von Krah im EU-Parlament verhaftet worden - wegen des Verdachts der Spionage für China. Er soll Informationen aus dem Europaparlament weitergegeben und chinesische Oppositionelle in Deutschland ausgespäht haben. Noch dazu soll Krah laut Medienberichten über prorussische Netzwerke Geld angenommen haben. Staatsanwaltschaften prüfen Ermittlungen, auch wenn Krah alle Vorwürfe von sich weist.
Fragezeichen bei Weidel und Chrupalla
Die Vorwürfe sorgten auch bei Weidel und Chrupalla für Fragezeichen. Sie schrieben: "Jegliche Einflussnahmen fremder Staaten durch Spionage, aber auch der Versuch, Meinungen und Positionen zu kaufen, müssen aufgeklärt und mit aller Härte unterbunden werden." Dieses Statement bezieht sich offensichtlich auch auf Petr Bystron (AfD). Der Bundestagsabgeordnete, der auf Platz 2 der EU-Kandidatenliste steht, sieht sich ebenfalls seit Wochen Vorwürfen und Berichten ausgesetzt, in prorussische Propagandakanäle verwickelt zu sein und Geld angenommen zu haben. Auch er beteuert seine Unschuld.
Chrupalla hat mehrfach im Fernsehen erklärt, die AfD werde klare Konsequenzen ziehen, "wenn sich diese Dinge gegen den Herrn Krah und Herrn Bystron bestätigen". Bis dahin gelte die Unschuldsvermutung. Zwar gibt es auch in der AfD einzelne, die diese zweigleisige Strategie der Führung kritisieren. Doch andere in der Partei setzen darauf, dass sich ihre Anhänger und potenzielle Wähler von der Affäre nicht abschrecken lassen. Im Gegenteil: Sie hoffen auf eine Trotzreaktion nach dem Motto: Jetzt erst recht AfD.
AfD-Landeschefs glauben an "Kampagne" der Medien
Zu diesem Lager gehören die AfD-Landesvorsitzenden in Baden-Württemberg, Markus Frohnmaier und Emil Sänze. "Wir haben natürlich den Eindruck gewonnen, wenn was wie eine Kampagne aussieht, wenn sich was wie eine Kampagne anfühlt, dann ist es meistens auch eine Kampagne", sagte Frohnmaier, der auch Bundestagsabgeordneter ist.
Auch Sänze hält die Vorwürfe für eine Inszenierung der Medien, die mit den Nachrichtendiensten zusammenarbeiteten. Diese Inszenierung habe mit der Berichterstattung über das Remigrations-Treffen in Potsdam begonnen. Jetzt würden wenige Wochen vor den Europa- und Kommunalwahlen alte, nicht belegbare Geschichten wieder aufgewärmt.
Kommt die AfD als "Marke" unbeschadet durch die Affäre?
Frohnmaier setzt darauf, dass die Wählerinnen und Wähler das durchschauen. "Die AfD ist eine Markenpartei. Da geht es nicht um einzelne Personen. Jeder von uns kann ersetzt werden und die Wähler wissen, was sie bekommen, wenn sie die AfD wählen. Insofern sind wir da guter Dinge und gehen auch mit Zuversicht weiter in den Wahlkampf." Zuletzt stand die AfD in Umfragen für die Europawahl bei etwa 15 Prozent.
Politikexperte: "Hardcore-Anhänger fühlen sich in Opferrolle bestätigt"
Der Politik- und Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider sieht die AfD durch die Affäre in die Defensive gedrängt. "Damit sind nicht die Themen der AfD in der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern sie selbst ist es mit ihrem Verhalten", sagte der Experte von der Universität Stuttgart-Hohenheim dem SWR. "Jetzt kann die AfD nicht mehr die anderen Parteien als vaterlandslose Gesellen hinstellen, die nicht am Volkswillen interessiert seien, denn die AfD wird als vom Ausland beeinflusst oder gesteuert wahrgenommen."
Andererseits sei davon auszugehen, dass echte Fans der AfD die Treue hielten. "Es schadet nicht bei den Hardcore-Anhängern. Die glauben, das sei eine Verschwörung gegen die AfD, und dann fühlen sie sich in ihrer Opferrolle bestärkt." Brettschneider geht davon aus, dass diese Anhänger ungefähr zwei Drittel der Wählerschaft der Partei ausmachen.
"Dann gibt es aber Wählerinnen und Wähler, die weniger fest an die AfD gebunden sind. Die überlegen sich vielleicht noch mal, ob sie diese Partei wählen", sagte der Professor. Zuletzt habe die AfD einige bisherige Nicht-Wähler mobilisieren können. Es sei gut möglich, dass diese nun wieder nicht ihre Stimme abgeben. "Oder sie wandern ab, etwa zum Bündnis Sahra Wagenknecht."
Tübinger Medien-Professor: Skandal gibt es so nicht mehr
Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sprach im SWR von einer "Entskandalisierung", die man gerade erlebe. "Der Skandal, mit allem, was dazu gehört, ist am Ende." Pörksen verweist auf Donald Trump, der 2016 scherzhaft gesagt hatte: "Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren." Mittlerweile könne man auch hier beobachten, dass eine Tat keine entsprechende Konsequenz mehr habe und sie nicht mehr zum Skandal werde. Welche Auswirkungen die AfD-Affäre auf den Wahlausgang habe, sei schwer zu sagen. Pörksen sprach von einem "spannenden Experiment".
Krah bleibt Spitzenkandidat
Ein Experiment für die AfD ist auch, Krah trotz allem als Spitzenkandidat zu behalten. Da die Kandidatenliste der AfD fristgerecht eingereicht wurde, steht er dort nun auf Platz eins - das ist nicht mehr zu ändern. Ob die AfD wirklich wusste, wen sie da zum Zugpferd gemacht hat, ist aber nicht mehr klar.
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