Auch Monate nach dem Ende der Corona-Pandemie treibt die Impfung gegen das Coronavirus regelmäßig Tausende Menschen in Deutschland auf die Straße, die als Impfgegner ihrer Wut über die Politik, Wissenschaft und Medien Ausdruck verleihen und behaupten, es gebe angeblich Millionen Impftote, die verschwiegen würden. Auch in Baden-Württemberg finden solche Demonstrationen statt, wie zuletzt im Dezember 2023 in Karlsruhe mit rund 6.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Verfassungsschützer warnen vor einer Radikalisierung von Teilen der Corona-Protestbewegung. "Wir müssen natürlich auch feststellen, dass in den letzten Jahren jedenfalls in Teilen der Protestbewegung ein radikalisierter Kern entstanden ist, in dem durchaus auch - jedenfalls in den sozialen Netzwerken - dazu aufgerufen wird, diesen Staat auch gewaltsam zu beseitigen", sagte der stellvertretende Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Frank Dittrich, im Interview mit dem SWR-Investigativformat VOLLBILD.
Recherchen von VOLLBILD zeigen, wie radikale Impfgegner Hass schüren und Politikerinnen und Politiker bedrohen. Die VOLLBILD-Dokumentation "Rache für Corona - wie weit gehen radikale Impfgegner?" ist ab sofort in der ARD Mediathek abrufbar.
Unter anderem Proteste wegen Corona-Impfungen Karlsruhe: Rund 6.000 Teilnehmende bei "Querdenker"-Demonstration
Am Platz der Menschenrechte neben der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe haben sich am Sonntag rund 6.000 Menschen versammelt. Sie demonstrierten unter anderem gegen das Impfen während der Corona-Pandemie.
Grünen-Politiker Dahmen berichtet von Bedrohungen
In Chatgruppen auf Telegram oder auf der Plattform X (früher Twitter) werden Rachefantasien und Gewaltaufrufe gegen Politiker und Wissenschaftler geteilt. In der VOLLBILD-Dokumentation berichtet Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und klarer Befürworter der Corona-Impfung, dass er bis heute regelmäßig Drohnachrichten erhalte und auch im realen Leben immer wieder bespuckt, bedroht und sogar verfolgt werde.
"Ich weiß, dass es eine konkrete Anzahl an Gefährdern gibt, die ganz explizit auch mich als Person auf dem Radar haben und über die man im Einzelnen nicht sicher sagen kann, ob die nicht irgendwann, aus welchen Motiven oder Gründen auch immer, bereit sind, Gewalt gegen mich oder meine Familie auszuüben", sagte Dahmen gegenüber VOLLBILD.
Impfgegner instrumentalisieren Todesfälle
Die VOLLBILD-Recherche zeigt außerdem, dass Impfgegner immer wieder Todesfälle instrumentalisieren und in einen angeblichen Zusammenhang mit der Corona-Impfung stellen. Einer dieser Fälle ist der Tod des Arztes und Impfbefürworters Stephan B. aus Baden-Württemberg. Seine Todesanzeige wurde auf Telegram geteilt, dazu heißt es: "Der Kollege, Anästhesist, hatte keinerlei Vorstellungen von etwaigen Nebenwirkungen der als Impfung deklarierten Genvergiftung." Und weiter: "Wer zieht die Mörder zur Rechenschaft?" Im Gespräch mit VOLLBILD zeigte sich der Vater des Verstorbenen entsetzt über den Post: Es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass sein Sohn an Folgen der Impfung gestorben sei.
VOLLBILD konfrontierte den Urheber des Posts, den Arzt Heinrich Fiechtner, mit der Reaktion der Angehörigen. Fiechtner, ehemals für die AfD im baden-württembergischen Landtag, zeigte sich unbeeindruckt: "Ich bin der Überzeugung, dass es die Genvergiftung war bis zum Beweis des Gegenteils, weil dieser junge Mann ja bekanntermaßen und bekennendermaßen mehrere dieser Shots bekommen hat."
Experte: Impfgegner halten an Verschwörungsideologien fest
Dass die Erzählung der angeblich todbringenden Impfung die einschlägigen Telegram-Gruppen dominiert, beobachtet auch Josef Holnburger von CeMAS, Center für Monitoring, Analyse und Strategie. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Verschwörungsideologien, Rechtsextremismus und Antisemitismus, besonders im Zuge der Corona-Pandemie.
Die Behauptung der angeblich verschwiegenen Impftoten sei in den Köpfen vieler Impfgegner fest verankert: "Das ist die große Problematik mit einem verschwörungsideologischen Weltbild. Selbst das Widerlegen und das konstante Widerlegen davon führt bei vielen Menschen nicht dazu, dass sie davon wieder Abstand nehmen. Im Gegenteil, sie halten dann noch fester daran fest, weil es oft zur einzigen Identität geworden ist, die sie noch haben", so Holnburger. Deshalb sei es eine große Herausforderung, die Menschen, die sich "verschwörungsideologisch radikalisiert haben", zurück in die Gesellschaft zu bekommen.