Pipeline für klimaschädliches Kohlendioxid

Baden-Württemberg spricht sich für Einsatz umstrittener CO2-Speichertechnik aus

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Klimaschutz oder Abfallentsorgung? Die Verpressung von klimaschädlichem Kohlendioxid unter dem Meer ist umstritten. Die Landesregierung hat sich nun für eine Nutzung entschieden.

Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich nach langem Ringen dafür entschieden, die unterirdische Speicherung von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) zu unterstützen. In einem Positionspapier, das von Wirtschafts- und Umweltministerium erarbeitet wurde, heißt es: Die Abscheidung und Speicherung von industriell verursachten CO2-Emissionen seien "wichtige Bausteine, um die Klimaschutzziele des Landes zu erreichen". Bei Umweltschützern ist die CO2-Speicherung hochumstritten.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Dienstag in Stuttgart, die geplante CO2-Lagerung sei noch "Zukunftsmusik", weil die Technologie noch nicht verfügbar sei. Es sei aber wichtig, sich auf den Weg zu machen. "Was man auch immer von CO2-Lagerung unter dem Meer hält: Was sicher schlechter ist, wenn es in der Atmosphäre abgelagert wird. Das wissen wir mal sicher", sagte der Grünen-Politiker. Er habe aber nicht die Sorge, dass Unternehmen ihre Bemühungen um mehr Klimaschutz deswegen zurückschraubten.

BW will auf schnelle Anbindung an Pipeline drängen

Allerdings soll das CO2 nach Plänen des Bundes unter dem Meer und nicht an Land gespeichert werden. Baden-Württemberg will nun darauf hinwirken, dass die betroffenen Industriestandorte so schnell wie möglich an ein noch zu bauendes CO2-Pipeline-System angeschlossen werden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte Anfang des Jahres angekündigt, die CO2-Speicherung unter der Nordsee erlauben zu wollen. Seine Strategie sieht die Abscheidung, Transport und Verpressung von CO2 unter der Erde (CCS) vor. Es gebe industrielle Sektoren, für die Klimaneutralität schwer oder gar nicht zu erreichen sei, beispielsweise bei der Herstellung von Zement und Kalk sowie der Abfallverbrennung. Bei Umweltschützern ist die CO2-Speicherung umstritten.

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Land verspricht "bürokratiearme Bearbeitung" von Bauanträgen

In dem Positionspapier pocht die Landesregierung darauf, dass der Anschluss an eine europaweite CO2-Pipeline "eine sehr hohe Priorität" haben müsse. "Küstenferne Standorte müssen ebenso schnell wie küstennahe Standorte an die CO2-Pipeline-Infrastruktur angeschlossen werden", heißt es unter anderem in dem Papier. Man wolle dabei helfen, dass Planung und Genehmigungen rasch vorangehen. "Das Land wird eine möglichst schnelle und bürokratiearme Bearbeitung vorantreiben."

Auch Klima-Sachverständigenrat für CO2-Speicherung

Bereits im April hatte der Klimasachverständigenrat Baden-Württemberg erklärt, das sogenannte Carbon Management sei "verantwortungsvoll eingesetzt - eine unverzichtbare Ergänzung zu umfassenden Klimaschutzmaßnahmen zur CO2-Emissionsvermeidung, um das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis 2040 zu erreichen."

In der Landesregierung hatte es nach SWR-Informationen eine längere Diskussion gegeben. Während Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) auf eine solche CO2-Speicherung drängte, zeigte sich Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) eher skeptisch. In dem Papier steht auch, dass beim Klimaschutz "die Vermeidung von Treibhausgasemissionen Vorrang besitzen". Für die Speicherung kämen nur CO2-Emissionen in Betracht, "die sich nicht oder mit verhältnismäßigem Aufwand nicht vermeiden oder verringern lassen".

"Gretchenfrage" ist die Finanzierung der Pipeline

Walker sagte am Dienstag, es dürfe um Restemissionen gehen - "über die reden wir und nicht über andere". Vor der Realisierung der Pipeline - die von der Privatwirtschaft gebaut werden soll - seien noch viele Fragen zu beantworten. So sei noch nicht klar, wie auch kleinere Unternehmen angebunden werden können. "Wie kann das mit so wenig Teilnehmern finanziert werden? Das ist die Gretchenfrage." Die Europäische Union und der Bund müssten klären, welche Fördermöglichkeiten es dafür gebe.

Ohne CO2-Abtransport keine Zementproduktion mehr in BW

Das Plädoyer für die CO2-Speicherung hat auch mit dem Erhalt von Industriestandorten und Arbeitsplätzen zu tun. Hintergrund ist das europäische Emissionshandelssystem, das bis 2039 noch Zertifikate ausgibt. Wenn die Zementindustrie bis dahin nicht die Möglichkeit hat, das CO2 abzuscheiden und abzutransportieren, würde es schwierig, nach 2040 noch in Baden-Württemberg zu produzieren. Denn CO2-Emissionen sind bei der Herstellung von Zement nach Angaben von Experten unvermeidbar.

Strommasten stehen im Morgenlicht vor einem Zementwerk im Kreis Rottweil.
Bei der Herstellung von Zement entstehen CO2-Emmissionen. Um Zementwerke wie das hier in Dotternhausen (Zollernalbkreis) zu erhalten, will die Landesregierung CO2 abtransportieren.

Im Positionspapier heißt es deshalb: "Die Landesregierung bekennt sich klar zum hiesigen Industriestandort." Das gelte im Zusammenhang mit der CO2-Speicherung insbesondere für die Zement- und Kalkindustrie, die chemische Industrie, den Raffineriestandort, Müllverbrennung sowie die Glas- und Papierindustrie. Diese Industriezweige müssten auch nach 2040 "eine wirtschaftlich und unternehmerisch attraktive Perspektive im Land haben". Ansonsten drohe eine Abwanderung. "Es ist niemandem geholfen, wenn diese Aktivitäten in andere Teile Deutschlands, der EU oder darüber hinaus verschoben werden." Wenn etwa Zement aus China importiert werden müsste, entstünde schon auf dem Transportweg viel CO2.

Bisher kann CO2 nur mit Frachtschiffen abtransportiert werden

Der Abtransport der großen Mengen CO2 aus der Zementherstellung ist aktuell mit einem Frachtschiff für Flüssiggastransport machbar, allerdings nur dort, wo es auch einen Schifffahrtsweg gibt. Die Landesregierung setzt neben der Pipeline aber auch darauf, dass auch der Transport per LKW oder Zug eine Rolle spielen kann.

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BUND warnt vor hoher Nachfrage nach CO2-Speicherung

Das spiegelt sich auch in BW wider: Sylvia Pilarsky-Grosch, Landeschefin des Bundes für Umwelt und Naturschutz, sagte: "Bei einer Endlagerung in tiefen Gesteinsschichten sind aufwändige Transportinfrastrukturen notwendig, um das CO2 zu den entsprechenden Endlagerstätten zu bringen. Diese sind umso wirtschaftlicher, je mehr CO2 sie transportieren." Das könne eine hohe Nachfrage auslösen und den Klimaschutz ausbremsen. Sie warnte auch vor gesundheitlichen Risiken: "Ein Anschlag auf eine Pipeline in einer Geländesenke kann zum Erstickungstod von Menschen und Tieren führen." Viel sinnvoller sei es natürliche Kohlenstoffspeicher wie Moore, Wälder und Grünland zu stärken.

NABU kann Entscheidung der Landesregierung nachvollziehen

Der Naturschutzbund (NABU) kann der CO2-Speicherung mehr abgewinnen. "Zement- und Kalkherstellung oder Müllverbrennung funktionieren nicht, ohne dass CO2 anfällt. Es ist daher wichtig, bei Technologien wie der CO2-Abscheidung und -Speicherung voranzukommen und schon jetzt in den Aufbau einer CO2-Infrastruktur zu investieren", sagte Andrea Molkenthin-Kessler vom Nabu. "Allerdings muss allen klar sein: Diese Technologie ist sehr teuer und ineffizient", so Molkenthin-Kessler. Klar müsse deshalb sein, dass es nur um unvermeidbare Restemissionen gehen dürfe. "Auf keinen Fall dürfen die neuen Technologien als Freifahrtschein genutzt werden, um weiterhin fossile Brennstoffe einzusetzen."

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