Baden-Württemberg wird seine Klimaziele nach einer aktuellen Prognose führender Umweltforscher deutlich verfehlen. Grund für das vorausgesagte Scheitern sind demnach vor allem die immer noch viel zu hohen CO2-Emissionen im Verkehr und in der Landwirtschaft, die nur sehr langsam sinken. Die Studie für das Landesumweltministerium, an der das das Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien (IREES), Fraunhofer-Institut in Karlsruhe und das Öko-Institut in Freiburg mitgearbeitet haben, liegt dem SWR vor.
BW muss laut Gesetz Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen
Damit droht die baden-württembergische Landesregierung aus Grünen und CDU ihr zentrales Politikziel zu verpassen. Das Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg sieht vor, dass die Regierung innerhalb von vier Monaten ein Maßnahmenpaket auflegen muss, sollte sie nicht auf dem richtigen Pfad zu den Klimazielen sein.
In der Koalition dürfte es bald wieder eine Debatte geben, ob die ehrgeizigen Klimaziele wirklich realistisch sind. Denn nach Schätzungen von Experten kann Baden-Württemberg nur an etwa 10 bis 15 Prozent der Emissionen selbst etwas ändern. Ansonsten sei das Land von Entscheidungen in Berlin oder Brüssel abhängig.
Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) will an den Zielen trotz allem festhalten. Sie sagte dem SWR, sie sei trotz dieser Prognose vorsichtig zuversichtlich, dass man die Ziele noch erreichen könne. "Man darf jetzt nicht die rosarote Brille aufsetzen und so tun, als ob hier alles supergut läuft", so Walker. Aber auch als Motivation sei Optimismus wichtig. "Aber natürlich muss man auch den Finger in die Wunde legen, wo es Probleme gibt." Die Grünen-Politikerin verwies darauf, dass das Land beim Klimaschutz stark vom Bund abhängig sei.
BW sollte "Klimaschutzland Nummer eins" werden
Die Koalition hatte sich im Koalitionsvertrag von 2021 vorgenommen, Baden-Württemberg zum Klimaschutzland Nummer eins zu machen. Dafür sollte es bis 2030 ein Minus von zwei Drittel der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 geben. Bis dahin schafft das Land aber nur eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 53 Prozent, haben die Forscher errechnet. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 ist auch in weiter Ferne. Laut Prognose werden in Baden-Württemberg dann immer noch 21 Millionen Tonnen CO2 in die Luft geblasen. Um die Ziele noch erreichen zu können, seien weitergehende Maßnahmen erforderlich.
Schleppender Umstieg auf E-Autos und Bahn
Nach dem sogenannten Projektionsbericht der Wissenschaftler wird im Autoland Baden-Württemberg die angestrebte Senkung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor von 55 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 bei weitem verpasst. Demnach sinken die Werte nur um 32 Prozent. Von der sogenannten Netto-Null beim CO2-Ausstoß im Jahr 2040 ist Baden-Württemberg im Sektor Verkehr ebenfalls deutlich entfernt. Die Expertinnen und Experten erwarten bis dahin ein Minus von 67 Prozent im Vergleich zu 1990, was viel zu wenig wäre.
Als Grund wird vor allem genannt, dass der Umstieg auf E-Autos zu schleppend verläuft. Von knapp 7 Millionen Autos in Baden-Württemberg fahren etwa 240.000 rein elektrisch - das sind 3 Prozent, wie aus einer Auswertung des Landes mit Stand April dieses Jahres hervorgeht. Zudem stiegen zu wenig Menschen vom Auto auf die Bahn um, weil diese angesichts des Sanierungstaus nicht attraktiv genug sei. Der Verkehr ist so wichtig für den Klimaschutz, weil der Verkehr in Baden-Württemberg für knapp ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich ist.
Walker kritisiert Bund und fordert Tempolimit auf Autobahnen
Umweltministerin Walker kritisierte indirekt Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP): "Beim Verkehr ist es ganz einfach schwierig, was ich an Äußerungen von Bundesebene höre, dass da kein Nachsteuerungsbedarf gesehen wird. Das kann ich eigentlich nicht nachvollziehen, weil der Verkehrssektor tatsächlich viele Jahre lang entsprechend nicht geliefert hat." Zum Beispiel müsse endlich ein generelles Tempolimit auf Autobahnen eingeführt werden. Die Emissionen auf Autobahnen und Bundesstraßen, für die der Bund zuständig ist, werden der CO2-Bilanz in Baden-Württemberg zugerechnet.
Walker erklärte, auf Landesebene könne man mehr tun beim Ausbau von Bussen und Bahnen. Aber auch bei der Elektromobilität könne man durch eigene gesetzliche Regelungen einen "Schub" reinbringen.
Die Grünen-Politikerin sprach sich auch dagegen aus, die Ziele für die einzelnen Sektoren aufzuheben - wie es Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schon mal ins Spiel gebracht hatte. "Aus meiner Sicht gibt es keinen Verschiebebahnhof. Klimaneutral heißt: Jeder Sektor muss auf Null stehen, und deswegen bringt es auch nichts, wenn der eine mehr liefert als der andere." Nach den Berechnungen der Umweltforscher würde eine Aufhebung der Sektorziele auch nichts bringen, weil kein Bereich die Defizite bei Verkehr und Landwirtschaft ausgleichen könnte.
Großer Hebel: Job-Ticket und Gratis-Parkplätze verknappen
Um gegenzusteuern, müssten aus Sicht der Experten mehr Angebote gemacht werden, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Weg zu ihrem Job auf Busse und Bahnen umsteigen. Dies sei ein ähnlich großer Hebel wie die Verknappung von kostenfreien Parkplätzen in Innenstädten. Dagegen hätten Tempo 30 im Ort und die Ausweitung der Lkw-Maut nur "geringe Zusatzwirkung" für den Klimaschutz.
Zu viele Tiere, zu wenig Ökolandbau
Auch die Landwirtschaft bleibt in dieser Hinsicht ein Sorgenkind. Eigentlich sollte der Agrarbereich bis 2030 39 Prozent weniger Kohlendioxid ausstoßen im Vergleich zu 1990 - laut den Experten werden es 2030 aber nur 30 Prozent sein. Was noch schwerer ins Gewicht fällt: Auch bis 2040 soll der Wert sich kaum verbessern - auf nur 34 Prozent.
Als größtes Problem sehen die Wissenschaftler den unverändert großen Tierbestand an - weil die Menschen weiter relativ viel Fleisch essen. Die Tierhaltung ist demnach für fast zwei Drittel der Emissionen in der Landwirtschaft verantwortlich. Hinzu kommt: Nur etwa jeder achte Bauernhof in Baden-Württemberg ist ein Bio-Betrieb.
Kohleausstieg schon 2028? Davon hängt für den Klimaschutz viel ab
Mit einigen Fragezeichen ist die Voraussage bei der Energiewirtschaft behaftet. Viel hängt davon ab, wann Deutschland beziehungsweise Baden-Württemberg aus der Kohlekraft aussteigt. Zuletzt hatte der Karlsruher Energiekonzern EnBW angekündigt, schon 2028 komplett aus der Kohle aussteigt. Die EnBW gehört fast zur Hälfte dem Land Baden-Württemberg. Bei dem Szenario dürfte der CO2-Ausstoß der Energiewirtschaft deutlich besser aussehen.
Momentan rechnen die Experten noch damit, dass das Klimaziel für 2030 knapp verfehlt wird. Grund dafür ist auch, dass in Karlsruhe die bundesweit größte Erdölraffinerie steht. Der Industriesektor verfehlt sein Klimaziel laut der Projektion für 2030 ebenfalls knapp. Auch bis 2040 wird nur wenig Verbesserung erwartet.
Positiv entwickelt sich nach Ansicht der Umweltforscher die Lage beim Gebäudebestand. Hier wird das Klimaziel für 2030 knapp übertroffen. Hier wird erwartet, dass deutlich mehr Menschen ökologisch heizen. Noch besser sieht es in der Abfallwirtschaft aus. Hier gehen die Experten davon, dass das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 erreicht wird.