Die lang umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes steht. Das teilten Vertreter der drei Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP am Montag in Berlin mit. Gleichzeitig gab es eine Verständigung auf einen zügigeren Solarausbau.
Mit der Einigung ist auch die Drohung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit weitreichenden Eingriffen wie Wochenend-Fahrverboten für Autofahrer vom Tisch. Wissing hatte diese für nötig erklärt, falls das Gesetz nicht geändert würde, erntete dafür allerdings auch Widerspruch - schließlich seien auch andere CO2-Sparmaßnahmen denkbar, argumentierten Kritiker.
An das Klimaschutzgesetz war auch ein Maßnahmenpaket zum Solarausbau gekoppelt. Damit will die Ampel-Koalition den Ausbau erleichtern und beschleunigen. Dabei wird vor allem auf den Bau von Balkonkaftwerken gesetzt, zu dem die Menschen auch in Baden-Württemberg motiviert werden sollen. Der Bundestag dürfte das Solarpaket in der kommenden Woche beschließen, dann muss es noch den Bundesrat passieren.
- Geringere Hürden bei Solaranlagen für Privatpersonen
- Folgen der Neuregelung des Klimaschutzgesetzes
- Kritik von Umweltorganisationen
- Auswirkungen der Klimaschutzgesetz-Reform auf BW
- Forderungen aus dem Verkehrsministerium in BW
Hürden für Balkonkraftwerke sollen gesenkt werden
Im Gesetzesentwurf ist bei den zunehmend beliebter werdenden Balkonkraftwerken vorgesehen, dass sie grundsätzlich nicht mehr beim Netzbetreiber angemeldet werden müssen. Ausreichend sein soll eine Registrierung im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur. Die Anmeldung soll einfacher und auf wenige Daten beschränkt werden. Zähler sollen nicht extra umgerüstet werden müssen. Die kleinen Balkonsolaranlagen sollen künftig auch leistungsfähiger sein dürfen.
Außerdem sollen Hürden für sogenannten Mieterstrom, wo der Strom für ein Wohngebäude von der Solaranlage vor Ort kommt, gesenkt werden. Solar auf dem Dach soll mit verbesserten Förderbedingungen, angehobenen Fördersätzen und unkomplizierten Abrechnungsmöglichkeiten bei selbst genutztem Strom deutlich attraktiver werden. Daneben sollen Solaranlagen auf Gewerbegebäuden wie Supermärkten oder Fabrikhallen sowie auf Firmenparkplätzen gefördert und Solaranlagen über Ackerflächen forciert werden.
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Kein Bonus für heimische Solarindustrie
Finanziell sollen private Solaranlagen nicht gefördert werden. Vor allem die Grünen wollten einen "Resilienz-Bonus". Hintergrund sind wesentlich billigere Module aus China. Die FDP lehnte aber neue Subventionen ab, unter Verweis auch auf zusätzliche Kosten für die Stromverbraucher. "Denn einzelne Unternehmen auf Kosten der Allgemeinheit zu subventionieren ist aus marktwirtschaftlichen Gründen falsch", sagte Daniel Karrais, Sprecher für Klimaschutz der FDP-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg. Es sei nachhaltiger, die Investitionsbedingungen zu verbessern, damit sich mehr Menschen schneller und leichter eine Solaranlage anschaffen können.
BW: SPD zufrieden mit Reform, CDU kritisiert späte Einigung
Die SPD in Baden-Württemberg zeigt sich zufrieden mit dem Solarpaket. Gabi Rolland, die umweltpolitische Sprecherin der SPD, sagte: "Wir freuen uns, dass dieses wichtige Gesetzespaket nun auf dem Weg ist. Wir brauchen dringend Erleichterungen für die kleinen Solaranlagen auf Balkonen wie auch auf den Dächern der Häuser, beides wird mit den beschlossenen Erleichterungen deutlich verbessert." Auch die Solarenergie im Freiland und verbunden mit Landwirtschaft als Agri-PV habe ein sehr großes Potenzial, das man mehr nutzen müsse.
Natalie Pfau-Weller aus der CDU-Fraktion im Landtag bezeichnete die erwarteten Maßnahmen als guten Anfang. Sie würden jedoch zu spät kommen und nicht ausreichen. Die Partei fordert mehr Photovoltaik auf Baggerseen und den Betrieb von PV-Anlagen entlang von vierspurigen Bundesstraßen.
Sektorziele bei Klimaschutz fallen durch Reform weg
Die Reform des Klimaschutzgesetzes, die das Bundeskabinett bereits im Juni 2023 auf den Weg gebracht hatte, ist umstritten. Sie sieht vor, dass bei der Minderung der Treibhausgas-Emissionen künftig nur noch zählt, ob die Klimaziele insgesamt erreicht werden. Wenn sich in zwei aufeinander folgenden Jahren abzeichnet, dass die Bundesregierung bei ihrem Klimaziel für das Jahr 2030 nicht auf Kurs ist, muss sie nachsteuern. Bis dahin muss Deutschland laut Gesetz seinen Treibhausgas-Ausstoß um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 senken.
Bislang gilt: Wenn einzelne Sektoren wie der Verkehrs- oder Gebäudebereich gesetzliche Vorgaben zum CO2-Ausstoß verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien im nachfolgenden Jahr Sofortprogramme vorlegen.
Abschwächung oder Sieg für den Klimaschutz?
Grundzüge der Reform, die bereits das Bundeskabinett im vergangenen Jahr beschlossen hatte, bekräftigten die Abgeordneten nun mit ihrer Einigung. Umweltverbände hatten eine Abschwächung der gesetzlichen Regelungen beklagt. Mit der Reform lösen nun Zielverfehlungen in der Tat weniger schnell eine Pflicht zum Nachsteuern aus. Dies war der FDP wichtig, die die bisherigen Regelungen zu rückwärtsgewandt und kleinteilig fand.
Die CDU-Fraktion im baden-württembergischen Landtag kritisierte, die Neuregelung des Klimaschutzgesetzes sei ein Versuch der Ampel, ihr Scheitern beim Klimaschutz zu verbergen. Die Reform ändere jedoch langfristig nichts daran, dass für einen effektiven Klimaschutz alle Sektoren ihre Emissionen mindern müssen, so Pfau-Weller.
Umweltorganisationen: Reform ist "Kniefall" vor der FDP
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zeigte sich enttäuscht von der Reform. "Statt Verbindlichkeit und Zuständigkeit gibt es jetzt geteilte Verantwortungslosigkeit", beklagte der Vorsitzende Olaf Bandt. "Dem Gesetz wurden entscheidende Zähne gezogen. Klimaschutz soll ungestraft auf die lange Bank geschoben werden."
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisiert die Zustimmung der Fraktionsspitzen von SPD und Grünen zur Änderung des Klimaschutzgesetzes aufs Schärfste. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sagte: "Die Fraktionsspitzen von SPD und Grüne leisten sich mit der Entkernung des Klimaschutzgesetzes einen erneuten Kniefall vor der FDP." Er forderte alle Bundestagsabgeordneten auf, der geplanten Aufweichung nicht zuzustimmen. Mit diesem Klimaschutzgesetz seien in dieser Legislatur keinerlei Nachbesserungen beim Klimaschutz mehr verpflichtend, kritisierte die DUH.
Verkehrssektor und Gebäudesektor verfehlen Klimaschutzziele
Am Morgen vor der Verkündung der Einigung hatte der Expertenrat für Klimafragen, ein unabhängiges Wissenschaftler-Gremium, seine Bilanz des deutschen Treibhausgas-Ausstoßes im vergangenen Jahr vorgelegt. Dabei verursachte der Verkehrsbereich zum dritten Mal in Folge mehr Treibhausgase als im Klimaschutzgesetz vorgesehen, weshalb Wissing nun nach alter Gesetzeslage binnen drei Monaten ein Sofortprogramm für mehr Klimaschutz vorlegen müsste - was sich mit einer baldigen Verabschiedung der Reform aber erübrigen dürfte.
Auch der Gebäudesektor hat sein Ziel nach den Berechnungen knapp verpasst, was der Expertenrat angesichts großer Unsicherheit bei den berechneten Daten aber weder bestätigen noch verwerfen möchte. Doch auch Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) müsste nun nach alter Gesetzeslage ein Sofortprogramm vorlegen.
Auswirkungen der Klimaschutzgesetz-Reform auf BW
Das Land Baden-Württemberg hat ein eigenes Klimaschutzgesetz, das sogar ambitionierte Ziele als das des Bundes beinhaltet. Das Land will seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Bis 2040 will es klimaneutral werden.
Das Klimaschutzgesetz beinhaltet auch sogenannte Sektorziele, also konkrete Vorgaben für Bereiche wie Landwirtschaft, Straßenbau und Gebäude, um den Ausstoß von CO2 zu senken. Falls sich abzeichnet, dass diese nicht erreicht werden, beschließt die Landesregierung nach eigenen Angaben zusätzliche Maßnahmen. Mit der Reform der Ampel-Koalition sollte sich daran zunächst nichts ändern.
Sachverständige: Mangelndes Engagement beim Klimaschutz Eigene Klimaziele verfehlt: Heftige Kritik an BW-Regierung
Eigentlich hat sich die Grün-Schwarze Regierung mehr Klimaschutz vorgenommen. Doch sie droht die Ziele in fast allen Bereichen zu verfehlen. Kritik kommt von allen Seiten.
Daniel Karrais von der FDP-Landtagsfraktion forderte die baden-württembergische Landesregierung jedoch auf, die Sektorziele im Klimaschutzgesetz abzuschaffen und ganzeinheitliche Ziele einzuführen. "Klimapolitische Engstirnigkeit führt zu unvermittelbaren Konsequenzen, wie Fahrverboten, die weder der Sache dienen, noch Akzeptanz für Klimaschutz steigern", sagte der Vorsitzender des Landtagsausschusses für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft.
Nicht nur bundesweit, auch in Baden-Württemberg werden die Klimaschutzziele im Verkehrssektor verfehlt. Im vergangenen Jahr ist der CO2-Ausstoß erneut gestiegen. Er ist für 28 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Im Vergleich zu 2021 lag der Anstieg bei 0,1 Millionen Tonnen - ein Plus von 0,4 Prozent.
BW-Verkehrsminister dringt auf wirksame Maßnahmen
Um die CO2-Emissionen im Verkehrssektor landes- und bundesweit zu senken, drängt Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) auf "wirksame Maßnahmen". "Die klimaschonende E-Mobilität muss stärker gefördert und die Privilegien für Verbrenner müssen abgeschafft werden", sagte Minister Hermann am Montag in Stuttgart.
Er schlägt zum Beispiel eine Neugestaltung der Kfz-Steuer vor, so dass ein höherer Anreiz zum Kauf eines Fahrzeugs mit klimaschonendem Antrieb besteht. Ergänzend solle die Lenkungswirkung der Besteuerung von Dienstwagen erhöht werden, so dass nur noch klimafreundliche Dienstfahrzeuge einen Steueranreiz erhalten.
Der Grünen-Politiker forderte zudem mehr Geld für den regionalen Schienenverkehr. Angesichts der drastischen Steigerung der Kosten für Personal und Energie würden die sogenannten Regionalisierungsmittel in den nächsten Jahren nicht mehr ausreichen, um das bisherige Angebot im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) zu halten und auszubauen. "Wenn sich das nicht ändert, werden die Bundesländer gezwungen sein, in naher Zukunft das Angebot im regionalen Bahnverkehr auszudünnen und Züge abzubestellen", so Hermann.