Die Björn Steiger Stiftung aus Winnenden (Rems-Murr-Kreis) will gerichtlich gegen das neue baden-württembergische Rettungsdienstgesetz vorgehen. Derzeit bereite man eine Verfassungsbeschwerde am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor, erklärt die Stiftung in einer Pressemitteilung. Fehlerhafte Vorgaben und veraltete Organisationsstrukturen würden die Überlebenschancen von Notfall-Patienten und -Patientinnen in Baden-Württemberg senken. Das im Juli verabschiedete Gesetz zementiere eine jahrelange Entwicklung.
Stiftung: Rettungsdienst entspricht nicht internationalen Standards
Das Land komme seiner Pflicht zur Wahrung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger nur ungenügend nach, weil die Zuständigkeiten und Strukturen bei Notfällen nicht umfassend geklärt seien, so die Stiftung. Die Strukturen entsprächen auch weiterhin nicht internationalen Standards. Die Stiftung argumentiert mit dem Grundgesetz und dem darin verankerten Schutz der Menschenwürde und dem Recht auf Leben und körperlicher Unversehrheit. Dadurch hätten die Bürgerinnen und Bürger ein Recht auf ein funktionierendes Rettungssystem. Dass es dieses System in Baden-Württemberg gibt, stellt die Stiftung in Frage. Alles Wesentliche werde in dem Gesetz offen gelassen oder sei unzureichend geregelt.
Das baden-württembergische Innenministerium weist die Kritik zurück. Ein Sprecher erklärte, das Rettungswesen in Baden-Württemberg sei sehr gut aufgestellt. In einer Erklärung, die dem SWR vorliegt, heißt es, "das neue Rettungsdienstgesetz stellt deshalb die Weichen für einen zukunftsfähigen und noch schnelleren, am Wohle der Patienten orientierten Rettungsdienst. Die neuen Planungsfristen zielen darauf ab, die rettungsdienstliche Versorgung im Interesse der Patientinnen und Patienten deutlich zu verbessern." Eine detaillierte Regelung der operativen Fragestellungen durch eine Behörde sei jedoch nicht das Ziel.
Da noch keine Begründung für die Verfassungsbeschwerde vorliegt, könne das Innenministerium inhaltlich "noch wenig Konkretes" dazu sagen, heißt es weiter.
Die Stiftung kritisiert fehlerhafte Vorgaben
Das neue Gesetz sieht vor, dass Rettungskräfte künftig in 95 Prozent der Fälle innerhalb von zwölf Minuten am Einsatzort sein sollen. Zuvor galt eine Zeitspanne von 10 bis 15 Minuten für Rettungswagen (RTW) - aber selbst die 15-Minuten-Vorgabe wurde in den meisten Landkreisen gerissen. Wie diese Zwölf-Minuten-Frist künftig eingehalten werden soll, sei völlig unklar, so die Stiftung. Dem Innenministerium und den Hilfsorganisationen werde ohne gesetzliche Vorgaben frei überlassen, wie die Menschen innerhalb der erforderlichen Frist in Notfällen gerettet werden sollen.
Erster Notfallkontakt Rettungsdienstgesetz in BW: Ersthelfer-App soll landesweit eingeführt werden
Bei einem Notfall könnten bald Ersthelfer in der Nähe zuerst nach dem Rechten sehen, bevor der Krankenwagen kommt. Denn SWR-Informationen zufolge soll eine Notfall-App bald eingeführt werden.
Der Präsident der Björn Steiger Stiftung, Pierre-Enric Steiger, kritisiert die baden-württembergische Landesregierung scharf. Er wirft der grün-schwarzen Landesregierung vor, mit dem Gesetz 20 Prozent der Herzinfarktpatienten faktisch als 'nicht rettbar' zu erklären. So sei im Gesetz zwar festgelegt, dass es bei bestimmten Notfällen nur eine Stunde dauern darf, bis Betroffene im Krankenhaus sind. Diese Frist müsse aber nur in 80 Prozent der Fälle eingehalten werden. Dies stehe mit der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates auf keinen Fall im Einklang.
"Gesetz alles andere als innovativ und zeitgemäß"
Das deutsche und damit auch das baden-württembergische Rettungssystem bezeichnet Pierre-Enric Steiger als völlig veraltet. Die bestehenden Strukturen entsprächen denjenigen aus den 1970er Jahren und lägen im internationalen Vergleich inzwischen auf dem Niveau von Entwicklungsländern. Leidtragende und Opfer dieses Gesetzes seien neben den Notfallpatienten auch die Mitarbeitenden im Rettungsdienst: "Diesen gibt das Gesetz keinen rechtssicheren Rahmen für ihre Berufsausübung und keine auf die Zukunft gerichtete Struktur und Entwicklungsmöglichkeit.“
Die Stiftung kritisiert auch die Planungen der Einsatzfahrzeuge in Baden-Württemberg als völlig unzureichend. Das führe insbesondere im ländlichen Raum dazu, dass mit dem Wegfall eines kurzfristig verfügbaren Notarztes gerechnet werden müsse, so die Stiftung.