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Wetter- und Klimamodelle – Wie zuverlässig sind ihre Vorhersagen?

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Autor/in
Dirk Asendorpf
Dirk Asendorpf
Onlinefassung
Candy Sauer

Wetter- und Klimaprognosen funktionieren unterschiedlich, aber nähern sich immer mehr an. Wetterberichte sagen Temperatur und Niederschläge der nächsten Tage voraus. Die Klimawissenschaft simuliert die globale Entwicklung weit in die Zukunft.

Wetterkunde und Klimawissenschaft arbeiten heute eng zusammen

Beide Wissenschaften versuchen, das chaotische Geschehen in Atmosphäre und Ozeanen mit Computermodellen nachzubilden. Dafür nutzen sie die leistungsstärksten Großrechenanlagen der Welt.

Wettergeschehen spielt sich in der Troposphäre ab

Wie eine zarte Haut spannt sich die Atmosphäre um die Erdkugel. Schon in 20 Kilometern Höhe endet die Troposphäre. In ihr spielt sich praktisch das gesamte Wettergeschehen ab, das von der Sonnenstrahlung angetrieben wird. Sie liefert die Energie für den ewigen Kreislauf aus Verdunstung und Niederschlag, für Meeresströmungen, Wind, Wolken, Hoch- und Tiefdruckgebiete.

Diese Wetterküche ist eine globale Veranstaltung. Voraussagen für Deutschland müssen auch Beobachtungen aus Nordamerika, der Arktis und Asien berücksichtigen. Bei Prognosen, die über zwei Tage hinausgehen, spielt sogar die Südhalbkugel eine Rolle.

Vorhersagen für mehr als 7 Tage: Ozeane in Berechnung einbeziehen

Wer über eine Woche hinaus in die Zukunft gucken will, muss neben der Atmosphäre auch den Zustand der Ozeane in die Berechnung einbeziehen. Dafür arbeiten Wetterkunde und Klimawissenschaft zusammen. Bis vor wenigen Jahren waren das weitgehend getrennte Disziplinen. Während sich die eine mit konkreten Prognosen für das regionale Wetter der nächsten Tage befasste, ging es für die andere um globale Entwicklungen in Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Doch inzwischen verschwimmt die Grenze zwischen Klimaszenario und Wetterprognose.

ICON-Modell – Grundlage aller Wettervorhersagen in Europa

Die Ozeanographin Johanna Bähr arbeitet am Institut für Meereskunde der Uni Hamburg. Zusammen mit Kollegen des benachbarten Max-Planck-Instituts für Meteorologie und des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Offenbach hat sie das sogenannte ICON-Modell entwickelt, die Grundlage aller Wettervorhersagen in Deutschland und Europa. Es teilt die gesamte Erdoberfläche in drei Millionen Dreiecke auf. Die Atmosphäre über jedem Dreieck wird wiederum in 90 Schichten unterteilt.

Daraus ergibt sich ein dreidimensionales Gitter mit 265 Millionen Segmenten. Für jedes einzelne wird ein Wert für Temperatur, Windrichtung, Windstärke, Luftdruck und Luftfeuchte in die Modellrechnung eingespeist. Im besten Fall sind das exakte Messwerte, die von einer Wetterstation, einem Satelliten, einem Höhenballon oder einer Messboje übermittelt worden sind. In den meisten Fällen müssen die Anfangswerte allerdings geschätzt werden. Dann berechnen die Computer die Wechselwirkung zwischen den Segmenten.

Frühere Modelle funktionierten grundsätzlich ähnlich – nur mit viel weniger Segmenten. Denn die große Herausforderung ist: die Zeit! Das Wetter entwickelt sich ja ständig weiter. Die Berechnung muss also deutlich schneller ablaufen als das tatsächliche Wettergeschehen – sonst nützt sie nichts.

"Jedes Mal, wenn es diesen Sprung in der Rechenleistung gab, waren wir auch in der Lage, in der Modellierung mehr reinzupacken. [...] Ich hab neulich mal geschaut, welchen Faktor wir seit 1966 erreicht haben: Es ist fast eine Milliarde, die unser Rechner heute schneller ist als das allererste Modell von 1966, das der Deutsche Wetterdienst damals gekauft hatte."

Wettervorhersagen: von Jahrzehnt zu Jahrzehnt um einen Tag verbessert

In den vergangenen 50 Jahren hat sich ihre Vorhersagegenauigkeit pro Jahrzehnt um etwa einen Tag verbessert; heute ist die Prognose für die kommenden vier Tage so zuverlässig wie es die 24-Stunden-Vorhersage vor 30 Jahren war.

Für die nächsten ein bis zwei Stunden haben Wetterapps inzwischen eine sehr zuverlässige Antwort auf diese Frage. Dahinter steht kein großes vom Computer berechnetes Wettermodell, sondern die direkte Beobachtung mit Satelliten und einem über ganz Deutschland verteilten Radarmessnetz. Von Rostock bis Memmingen liefern 17 Beobachtungstürme eine Momentaufnahme der Wolken und Niederschläge.

Allerdings:

"Ein Niederschlagsgebiet, das ich im Radar sehe, das wird verfrachtet, das zieht weiter. Da kann man ganz präzise Vorhersagen machen. Aber je weiter ich versuche, dieses Niederschlagsbild aus dem Radar zu extrapolieren, desto falscher wird es. Das hat seine Grenze in dem Bereich, wo ich anderthalb, zwei Stunden vorausschaue. Da kann die Änderung der Windrichtung schon zu einem ganz anderen Ergebnis führen.

Deshalb kann das Wetter in sechs Stunden besser vorhergesagt werden als das in drei. Denn hinter der Zwei-Stunden-Prognose, dem sogenannten Nowcasting, klafft eine mehrstündige Vorhersagelücke. Das globale Wettermodell steht nämlich erst nach vier bis sechs Stunden zur Verfügung. So viel Zeit benötigt das Einsammeln aller Messdaten und deren Verarbeitung im ICON-Modell. Doch diese Lücke will der DWD bald schließen, sagt Henning Weber:

"Wir werden von einem dreistündigen Takt für die Rechnung der Wettervorhersage auf dem Supercomputer auf eine einstündige Vorhersage gehen. Vielleicht werden wir sogar unter die eine Stunde runtergehen müssen. Wir nennen das hier den Rapid Update Cycle, dass wir also ganz schnell immer wieder neu rechnen."

Sieben-Tage-Vorhersage ist Grundlage aller Wetterberichte in den Medien

Damit die Vorhersage für jede Region in Deutschland möglichst präzise ist, arbeitet der DWD mit einer erhöhten Auflösung. Konkret bedeutet das: Für Europa verwendet es doppelt so viele Dreieck-Segmente wie das normale ICON-Modell, für Deutschland sogar sechsmal so viele. Die Prognosepunkte sind dann nur noch gute zwei Kilometer voneinander entfernt. So kann das Modell sogar kleine Gewitterzellen berücksichtigen. Das Ergebnis ist eine Sieben-Tage-Vorhersage. Sie ist die Grundlage aller Wetterberichte – egal ob sie im Fernsehen und Hörfunk gesendet, in Zeitungen gedruckt oder über Websites und Smartphone-Apps online veröffentlicht werden.

Monats- und Langfristprognosen erfordern andere Modelle

Wettervorhersagen, die über sieben Tage hinaus reichen, beruhen auf einem anderen Modell. Es stammt entweder vom US-amerikanischen Wetterdienst oder vom europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage im englischen Reading. Beide bieten eine grobe Vorausschau auf die kommenden zwei Wochen. Dann enden alle tagesgenauen Vorhersagen und es beginnt das Feld der Monats- und Langfristprognosen. Das europäische Zentrum erstellt sie für die kommenden sechs Wochen. Der DWD veröffentlicht seit 2016 zusätzlich eine saisonale und seit 2020 auch eine Klimavorhersage für das nächste Jahrzehnt. Angegeben werden dabei nur grobe Durchschnittswerte für Temperatur und Niederschlagsmenge im Vergleich zum langjährigen Mittel. Andreas Paxian ist in der Offenbacher Behörde dafür zuständig:

"Wenn wir mal einen Blick in den Sommer wagen, sehen wir für Juni bis August, dass wir eher im wärmeren Bereich liegen im Vergleich zum Zeitraum 1991 bis 2020. Wir sehen, dass es im Norden und Westdeutschland eher eine leichte Tendenz ist von 33 bis 45 Prozent für die wärmere Kategorie. Aber im Süden und in Ostdeutschland sehen wir eine Wahrscheinlichkeit von 55 bis 70 Prozent."

Saisonvorhersagen noch unzuverlässig, trotzdem besteht viel Interesse

Von einer zuverlässigen Prognose sind die Saisonvorhersagen noch weit entfernt. Trotzdem gibt es zahlreiche Interessenten für die Daten des Wetterdienstes.

"Wir arbeiten schon seit mehreren Jahren mit Nutzern zusammen, vor allem Nutzer aus der Wasserwirtschaft, aus der Energiewirtschaft und im Bereich der Forstwirtschaft haben wir auch Kontakt mit Kollegen, die wissen wollen, wie stürmisch ist ein Winter, um zu wissen, wie viel Aktivitäten müssen sie für Aufräumarbeiten einplanen und eben die Dürre, um zu wissen, wann sie neue Bäume setzen können.

Exakte Sommerurlaubswetterprogrnose schon im Winter: leider nicht möglich

Für die Urlaubsplanung hätte man gerne schon im Februar eine Antwort auf die Frage, ob der August an der Ostsee verregnet oder sonnig wird. Doch das wird die Klimawissenschaft wohl auch in Zukunft nicht bieten können, meint Johanna Bähr, die das ICON-Modell mitentwickelt hat.

Wenn ich bei sechs Monaten im Voraus bin, dann werde ich nicht eine Aussage über eine Woche machen können, sondern dann werde ich sagen können: In acht Wochen [...] ist die Wahrscheinlichkeit für eine Hitzeperiode oder die Wahrscheinlichkeit für insgesamt vergleichsweise kalte Wochen; da werde ich eine Wahrscheinlichkeit angeben können. Nun buchen aber die meisten Leute nicht acht Wochen Urlaub.

Hindcasting hilft bei Prognosen zum Klima

Ob ein Wetterbericht gestimmt hat oder nicht, lässt sich mit einem Blick in den Himmel schnell beurteilen. Auch Saisonvorhersagen können nach Monaten an der Wirklichkeit gemessen werden. Das Vertrauen in Klimaszenarien, die für die nächsten Jahrzehnte höhere Temperaturen, eine Zunahme von Extremwetterereignissen, Überflutungen und Dürren vorhersagen, muss anders hergestellt werden. Zwar rechnet die Klimawissenschaft ebenfalls mit Modellen der Atmosphäre, zum Beispiel mit dem ICON-Modell. Aber kann das auch unter ganz anderen klimatischen Bedingungen zu richtigen Ergebnissen führen?

"Um das sicherzustellen, haben wir eigentlich nur eine Möglichkeit, nämlich in die Erdgeschichte zu blicken und mit den gleichen Modellen, die wir für Zukunftsprojektionen verwenden, eben auch andere Klimazustände zu modellieren. Kühlere Zustände wie den Höhepunkt der letzten Eiszeit zum Beispiel vor rund 20.000 Jahren, aber eben auch wärmere Klimazustände. Und dann eben mit Rekonstruktionen des Klimazustands zu vergleichen, um zu sehen, ob unsere Modelle das gut abbilden können."

Hindcasting nennen die Fachleute das. Aber es hat Grenzen:

"Wir können nicht alle meteorologischen Variablen rekonstruieren. Aber wir haben schon eine relativ gute Vorstellung, sagen wir über die letzten 500 Millionen Jahre, wie sich das Klima entwickelt hat. Und in diesem Zeitraum sehen wir zum Beispiel auch einen guten Zusammenhang zwischen den CO2-Konzentrationen in der Erdatmosphäre und den Temperaturen auf der Erde."

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