Peter Wohlleben und das Sozialverhalten der Bäume
Haben Pflanzen ein Bewusstsein, können sie Schmerzen empfinden? Sind Bäume intelligent und verhalten sich sozial untereinander? Der Autor Peter Wohlleben beantwortet alle diese Fragen mit: ja. Sein Buch "Das geheime Leben der Bäume", das am 25. Mai 2015 veröffentlicht wurde, hat sich allein im deutschsprachigen Raum 1,6 Millionen Mal verkauft und wurde in 46 Sprachen übersetzt.
Als der gleichnamige Film zum Buch zum Kinostart in der ARD-Fernsehsendung "Titel, Thesen, Temperamente" am 19. Januar 2020 vorgestellt wurde, bekräftigte Peter Wohlleben darin die These vom Sozialverhalten der Bäume. Wohlleben behauptet, dass Bäume keine Egoisten sind, sondern miteinander kommunizieren und kooperieren.
Der Literaturwissenschaftler und Journalist Christoph Schröder hat analysiert, warum das "Geheime Leben der Bäume" solch ein Bestseller wurde. Er denkt, dass gerade in der heutigen Zeit eine Sehnsucht in uns geweckt werden kann nach einem guten System, in dem sich alle gegenseitig helfen und stützen.
"Lassen Sie uns alle ein bisschen Buche werden." Buchkritik: Peter Wohllebens Buch "Unser wildes Erbe"
In seinem neuen Buch ""Unser wildes Erbe" will Bestsellerautor Peter Wohlleben erstmals "Einblicke in die wahre Natur des Menschen" gewähren. Eine Buchkritik von Elena Weidt.
Sind Bäume dem Menschen ähnlich?
Doch spätestens zum Kinostart von "Das geheime Leben der Bäume" hagelte es verstärkt Kritik von Seiten der Presse: "unwissenschaftlich, kitschig, selbstverliebt und geschäftstüchtig" – so lauten die Vorwürfe gegenüber dem Autor. Denn Wohlleben überrascht und provoziert mit Statements wie diesem:
Peter Wohlleben übt Kritik an der konventionellen Forstwirtschaft
Genau darin sehen Wohllebens Kritiker ein Problem, denn dies würde implizieren, dass Bäume dem Menschen ähnlich wären und man die Holzwirtschaft stilllegen müsste. Das beträfe eine Million Menschen, die in Holz- und Forstwirtschaft beschäftigt sind. Sie erzielten im Jahr 2018 einen Jahresumsatz von über 180 Milliarden Euro.
Als Kritiker der konventionellen Forstwirtschaft hat Wohlleben schon vor Jahren sein Beamtenverhältnis als Förster gekündigt. Heute kümmert er sich um den Wald seiner Gemeinde Hümmel in der Eifel. Zwar wird auch dort – mit Bedacht – Holz geerntet, aber es wird mit Pferden herausgeholt statt mit Harvestern: Diese riesigen Erntemaschinen beschädigen laut Wohlleben den Boden. In Hümmel gründete Peter Wohlleben auch seine eigene "Waldakademie".
Christian Ammer initiiert Petition gegen Wohllebens Thesen
Christian Ammer, Professor für Waldbau und Waldökologie an der Universität Göttingen, ist einer der schärfsten Kritiker Peter Wohllebens. Als das Buch "Das geheime Leben der Bäume" nach seinem Erscheinen 2015 von der Presse fast ausnahmslos positiv besprochen wurde, initiierte Ammer eine Petition, gerichtet an die Medien mit der Aufforderung, man möge die Wohlleben-Thesen hinterfragen und auch die Meinung von kritischen Wissenschaftlern einholen.
Rund 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Wissenschaft und Forstwesen haben die Petition unterschrieben. Stein des Anstoßes war unter anderem die Sprache des Buches, die Bäumen menschliche Eigenschaften zuordnet und sie zu moralisch guten Wesen stilisiert: Sie unterstützen Nachbarn und Verwandte, heißt es da etwa, stillen ihre Kinder und kümmern sich aufopfernd um sie, während die sich munter im "Baum-Kindergarten" vergnügen. Wird ein naher "Verwandter" gefällt, bleiben die Kleinen als "Waisen" zurück.
Torben Halbe schreibt Gegenbuch: "Das wahre Leben der Bäume"
Der Biologe Torben Halbe vom Deutschen Forstwirtschaftsrat ist der Meinung, dass viele Behauptungen Wohllebens nicht den neusten Erkenntnissen der Neurowissenschaft entsprechen. Um dies zu belegen, hat er ein Gegenbuch geschrieben unter dem Titel: "Das wahre Leben der Bäume". Darin widerlegt Torben Halbe Wohllebens Behauptung, dass Bäume schmecken, denken und fühlen können. Denn dafür bräuchten sie ein Bewusstsein und somit ein Gehirn, was sie jedoch nicht hätten.
Pierre Ibisch unterstützt Peter Wohllebens Aussagen
Ganz anders argumentiert Pierre Ibisch, Biologe und Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Ibisch verweist darauf, dass viele von Wohllebens Aussagen sich auf Ergebnisse der "Pflanzen-Neurobiologie" bezögen, ein kleines, relativ neues Forschungsgebiet. Ibisch wirft den Wohlleben-Kritikern Ammer und Halbe vor, die neuesten Studien nicht zu kennen. Es gebe sehr wohl auch solche, die eine ausgeklügelte Kommunikation zwischen Bäumen bewiesen.
Pflanzen haben kein Gehirn, aber ein Bewusstsein ist vorstellbar
Die Wohlleben-Kritiker Ammer und Halbe wiederum verweisen auf Studien, die eindeutig belegten, dass Bäume kein Gehirn hätten. Pierre Ibisch bleibt trotzdem bei seinem Standpunkt, dass ein Bewusstsein bei Pflanzen vorstellbar sei, räumt aber ein, dass Wohllebens Sprache eventuell irreführend ist, wenn dieser das Bewusstsein von Pflanzen mit dem von Menschen vereinfachend vergleicht.
Wald der Zukunft: hitzeresistente Bäume mit hoher CO2-Speicherleistung
Anders als Peter Wohllebens Vorstellung vom Wald, der sich weitgehend selbst reguliert, ohne dass der Mensch eingreift, ist währenddessen der Konsens des Nationalen Waldgipfels 2021: Man will mehr Mischwald mit Baumarten anlegen, die besser mit Hitze zurechtkommen. Waldbesitzer, die besonders klimafeste Wälder anpflanzen oder erhalten, werden künftig mit einem zusätzlichen Förderprogramm belohnt. Zusätzlich gefördert werden diejenigen, die die CO2-Speicherleistung ihrer Forste weiter ausbauen oder sicherstellen, dass ihr geerntetes Holz in langlebigen Holzprodukten verwendet wird.
Seit Juli 2021 kann man Wohllebens neuestes Buch kaufen, der Titel: "Der lange Atem der Bäume". Die Diskussion um den Wald wird weiterhin kontrovers geführt, für jede Behauptung scheint es wissenschaftliche Studien zu geben, die diese belegen oder ihr widersprechen. Dass die Öffentlichkeit daran so großen Anteil nimmt, gerade in Angesicht des rasanten Klimawandels, kann man als großen Gewinn sehen.
SWR 2020 / 2021