Peter Wohlleben ist der wahrscheinlich bekannteste Förster Deutschlands. Ein echter Baumflüsterer. Seine Bücher sind Bestseller. Die Wissenschaft sieht seine Thesen dagegen eher skeptisch. Etwa wenn Wohlleben von Mutterbäumen spricht, die ihren Nachwuchs „stillen“ und Schmerz empfinden können. Vermenschlichung sei das, haben erst jüngst wieder Forschende kritisiert. Nun – diese Kritik ist schon mal ausgeschlossen, wenn es um Wohllebens neustes Buch geht. Da steht nämlich der Mensch im Fokus. Und seine „wahre Natur“, wie Wohlleben schreibt. Elena Weidt hat „Unser wildes Erbe“ zum Erscheinungstag gelesen.
Der Verstand allein bietet keine Lösung für einen besseren Umgang mit der Natur
Peter Wohlleben möchte in seinem neuen Sachbuch mit dem Titel "Unser wildes Erbe - Wie Instinkte uns steuern und was das für unsere Zukunft bedeutet – faszinierende Einsichten für ein Leben im Einklang mit der Natur" keine geringere Frage beantworten als die: Wie sehr sind wir Menschen noch immer instinktgesteuert? Und wie sehr ist das ein Problem, wenn es darum geht, unseren Planeten zu schützen?
Besserer Umweltschutz funktioniert nur über Gefühle
Doch diese Erfolge gibt es nicht oder nur im Kleinen. Deshalb stellt Wohlleben die These auf: Umweltschutz funktioniert nicht, weil er zu viel auf gefühlsleere Fakten setzt:
Diesen Instinkten und wie sie sich im Sinne des Klimaschutzes nutzen lassen, widmet Wohlleben deshalb sein Buch. Doch bis wir zu seinen Lösungsansätzen kommen, wandern wir mit ihm erstmal gedanklich durch die Menschheitsgeschichte. Er schreibt von Cyanobakterien, die die Fotosynthese erfanden bis hin zu den heute aktuellen Coronaviren, die uns zeigen, wie sehr wir noch immer Teil der Natur sind. Wohlleben zeigt dabei ausführlich, wie wir mehrfach fast ausgestorben wären und warum wir es doch nicht sind:
In der Klimakrise geht es um Verzicht
Übersetzt: Die Gier nach mehr - also mehr Nahrung, Besitz, Informationen - ist ein instinktives Survivalprogramm. Es hat uns geholfen zu überleben. Blöd nur, so Wohlleben, dass genau diese Strategie zum Problem wird, wenn es darum geht, Verzicht zu üben. Und genau darum geht es ja in der Klimakrise.
Wohlleben stellt geschickt unsere Instinkte, die es verhindern, dass wir unsere Umwelt besser schützen, in den Vordergrund. Denn wir alle merken täglich: rein vernünftig ist der Mensch nun wirklich nicht. Eine mögliche Lösung wäre, argumentiert Wohlleben, diesen heimlichen Mitregenten aktiv einzusetzen, unsere Gefühle bewusst zu beeinflussen. Das geht, indem man sich zum Beispiel positive Szenarien vor Augen führt. Wir müssen lernen anders zu leben und das gelingt nur, wenn es Spaß macht und - das setzt Wohlleben gleich - unsere Instinkte anspricht.
Vor diesem Hintergrund erscheinen einem auch die durchaus kreativen Vorschläge, die Wohlleben am Ende präsentiert, weniger abwegig wie vielleicht zu Beginn des Buches: da wären die gut riechenden Infobroschüren, weil Düfte Botschaften fester im Gehirn verankern oder der Altglas-Container, der wie ein Glückspielautomat funktionierte:
Fakten sollen also mit positiven Gefühlen besetzt werden, um so die Instinkte anzusprechen, um endlich die Menschen zum Umdenken zu bewegen. Aber reicht das? Nein, meint Wohlleben, und kommt schließlich noch mit einer viel stärkeren Forderung ums Eck: Wir müssen weniger werden:
Wir sollen werden wie Buchen
Wohlleben stellt in seinem neuen Buch sehr viele große, vielleicht auch zu große Fragen bis hin zu der Frage, ob wir überhaupt frei entscheiden können und kehrt am Ende doch wieder zu seinem Leib- und Magenthema zurück: zu den Bäumen. Von ihnen sollen wir lernen. Sie seien hilfsbereit, nicht egoistisch und verbesserten ihre Umwelt. Sie vermehrten sich auch nicht so rücksichtslos, dass ihr Lebensraum darunter leide. Und so endet das Buch ganz folgerichtig mit der Empfehlung:
Das allein reicht natürlich nicht im Kampf gegen die Klimakrise. Vieles ist nicht neu, was Wohlleben in seinem neuen Buch schreibt, vieles ist ein „könnte“ und „sollte“ und manches verliert sich zu sehr im Detail. Aber eine Lösung zeigt es immerhin deutlich auf: Menschen brauchen einen anderen, emotionaleren Ansatz und mit weniger erhobenem Zeigefinger, um sie endlich für mehr Umweltschutz zu gewinnen.