Buchkritik

Jon Fosse – Ein neuer Name. Heptalogie VI-VII

Stand
Autor/in
Cornelia Zetzsche

In diesem Jahr wird der Norweger Jon Fosse mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Bei Rowohlt erscheint jetzt der letzte Teil seiner siebenbändigen Heptalogie. Wieder begegnen wir dem einsamen Maler Asle an der Küste Norwegens: Ein großer Roman über die Fragen der Existenz, dunkel, melancholisch, aber auch voll metaphysischer Kraft.

Und da ist er wieder: Asle, der einsame Maler mit der schwarzen Cordjacke, dem schwarzen Mantel, der braunen Schultertasche, dem grauen Pferdeschwanz. Wortkarg, fast verstummt, schwermütig, ganz in sich gewendet, lebt er in einem Küstendorf bei Bergen zwischen den Fjorden Norwegens.

Nur der Bauer Asleik besucht ihn und lädt ihn zu Weihnachten ein. Seit seine Frau Ales vor Jahren starb, wohnt Asle allein, nur mit Brage, dem Hund eines anderen Asle, einem Jugendfreund, den er im Delirium im Schnee fand, und der nun im Sterben liegt.

Ein Alter Ego, eine Variante des eigenen Lebens. Auch er selbst hätte so enden können, zerstört vom Alkohol, denkt Asle. Immer wollte er Bilder, die er sah, „wegmalen“, aber manche Erinnerungen, wie die erste Begegnung mit Ales, seiner großen Liebe, sind eingebrannt. Fast unmerklich verschwimmen das Ich der Jugend und des Alters, er und ich, damals und heute in diesem Vexierspiel.

und ( ) sie lassen den Kuss länger und länger dauern und es ist, als ob es keine Zeit gäbe, denkt Asle und dann denkt er, sie können doch nicht am helllichten Tag auf Dem Busbahnhof stehen und sich küssen, denkt er und ich liege da und jetzt ist sicher bald Morgen, denke ich und heute ist Heiligabend und ich muss wohl bald aufstehen, aber es ist so dunkel, und es ist so kalt in der Stube, denke ich und ich schließe die Augen und ich sehe Ales und Asle vor dem Haus Universitetsgata 7 …

Ein Roman wie eine Meditation

Mit jedem Buch seines siebenbändigen Künstlerzyklus fängt Jon Fosse von vorne an, wie beim Rosenkranzgebet. Immer wieder endet er mit einem Gebet wie in Trance. Auch diesmal steht Asle zu Beginn vor seinem zentralen Bild: zwei Striche nur, lila und braun, die sich diagonal kreuzen zum X, einem Andreaskreuz, früher ein Zeichen für Christus, heute für einen Bahnübergang.

Asle sucht die Wahrheit hinter dem Bild. Das Malen hat er aufgegeben, versunken in sein Inneres. Die Wiederholungen auf- und abtauchender Wörter und Motive, der Schnee, die Stille, Mantel, Jacke und Tasche, verlangsamen den Rhythmus, machen das erzählende Kammerspiel zu einer Meditation, einer Litanei. Kein Plot, kaum Handlung, eher eine Kreisbewegung mit suggestivem, melancholietrunkenem Sog.

Ich erfand ein Wort für meine Prosa „langsame Prosa“, (lacht) ich wollte langsame Prosa schreiben, aber wie und wann das wußte ich nicht, und es war schwierig anzufangen.

und ich liege da auf der Bank und es ist dunkel in der Stube, aber ich bin sicher, es ist Morgen und heute ist Samstag und Heiligabend, denke ich und jetzt muss ich aufstehen …

„Der neue Name“, das sind zwei Tage auf gut 300 Seiten, in Auflehnung gegen die Zeit. Asle sitzt da, apathisch, verfolgt von der Erinnerung, allein in seiner Stube, seinem Atelier, immer wieder mit dem Blick durchs Fenster aufs Wasser, auf einen Peilpunkt in den Wellen des Fjords.

Das ist das Betörende dieses Romans: seine Sprache in der Sprachlosigkeit, das äußere Schweigen und der innere Bewusstseinsstrom, aufs Wesentliche reduziert, ohne Punkt, nur Kommas und diese Melodie der Wiederholung wie die Wellen des Fjords.

Ich wuchs in einer kleinen Gemeinde auf, in Strandebarm, am Hardangerfjord, mit dem Blick auf den Fjord. Wenn wir zur Schule mußten, gingen wir am Ufer des Fjords entlang und hörten dem Klang der Wellen zu. Als ich dort aufwuchs, gab es keine Straßenbeleuchtung, nur ab und zu ein Haus mit Licht, ich spreche von der Winterzeit, wenn es sehr dunkel in Norwegen ist. Diese Atmosphäre, diese Dunkelheit, da und dort ein Haus mit Licht und immer diese Wellenbewegung, das ist schon eine grundlegende Atmosphäre in meinem Werk.

Tiefe religiöse Erfahrung des Autors Fosse und seiner Figur

Geht es in den vorigen Büchern des Romanzyklus um Asles Ehe, um Liebe und Verlust, Herkunft, Identität und das Erwachsenwerden in einer pietistischen Welt, so handeln Band VI und VII nun von der Berufung zum Künstler, von ersten Erfolgen, existentiellen Fragen der Kunst und der Liebe, von Leben, Tod, Vergänglichkeit und der tiefen religiösen Erfahrung Asles, der, wie Jon Fosse, zum Katholizismus konvertierte, den Mystiker Meister Eckhart liest und über das Wesen Gottes philosophiert:

Gott ist so fern, dass man nichts über ihn sagen kann und darum sind alle Vorstellungen, die man sich von Gott macht, falsch und zugleich ist er so nah, dass wir ihn auch fast gar nicht merken können, denn er ist der eigentliche Grund im Menschen, oder auch Abgrund, ( ) denke ich und ich denke oft daran wie an mein innerstes Bild, und es ist immer ebenso richtig oder falsch, egal wie man es nennt, oder ich denke daran als an Gottes leuchtendes Dunkel in mir, ein Dunkel, das auch Licht ist und das auch ein Nichts ist, …

Melancholie, Dunkelheit, aber auch: ein Licht

Der Roman „Ein neuer Name“, ja, die ganze kunstvoll gewobene Partitur der Heptalogie zeigen Jon Fosse als überaus würdigen Nobelpreisträger, der sein dramatisches Werk als meisterhafter Erzähler fortschreibt, brillant übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel.

Nun, in Band 7 stirbt der Maler vor dem Weihnachtsessen bei Freunden. Die zeitgleich erscheinende Erzählung „Ein Leuchten“ liest sich wie eine Variante von Asles Tod. Darin verliert sich der namenlose Erzähler in einem tief verschneiten Wald und erfriert. Aber beides, „Ein Leuchten“ und „Ein neuer Name“ wären keine Fosse-Bücher, würden Melancholie und Dunkelheit, Trauer und Tod nicht erhellt durch eine lichte Gotteserfahrung.

„Ich bin als Licht gekommen, um in dieser dunklen Welt zu leuchten, damit alle, die an mich glauben, nicht im Dunkel bleiben“, sagt Jesus im Johannes-Evangelium. Gott ist in allem, der Glaube ein Korrektiv unserer materialistischen Welt. Der Glaube kann Heilung sein und innerer Halt, davon ist der Katholik Jon Fosse überzeugt. Und so folgt Asle, am Ende der Erzählung, dem Tod ins Licht.

und ja da steht ja, lieber Himmel, die leuchtende Gestalt vor uns, ja die Gestalt, die weiß schimmert in ihrem Leuchten, und sie sagt: komm mit, und dann gehen wir ihr nach, langsam, Schritt um Schritt, Atemzug um Atemzug, der Mann im schwarzen Anzug ohne Gesicht, meine Mutter, mein Vater und ich, wir gehen barfuß hinaus ins Nichts, Atemzug um Atemzug, und plötzlich gibt es keinen einzigen Atemzug mehr, nur noch die glänzende, schimmernde Gestalt, die in einem atmenden Nichts leuchtet, das jetzt wir atmen, von ihrem Leuchten.

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Cornelia Zetzsche