Der slowenische Philosoph und Schriftsteller Mirt Komel nähert sich auf literarischen Pfaden der vielschichtigen Person Glenn Gould. Dorothee Riemer hat den gerade auf Deutsch erschienenen Roman von 2015 „Goldman oder Der Klang der Welt“ gelesen.
Gabriel Goldman erwacht im Krankenhaus. Er ist auf der Straße gestürzt, hat sich verletzt und ist ins Koma gefallen. Eine Woche lang werden ihn die Ärzte von Kopf bis Fuß untersuchen und nach Ursachen suchen, um ihn dann ohne konkrete Ergebnisse wieder nach Hause zu entlassen. Das ist die Rahmenhandlung des Romans „Goldman oder Der Klang der Welt“. Jedes der zwölf Kapitel beginnt mit einer Szene im Krankenhaus. Das sind aber jeweils nur die Ausgangspunkte für das, was eigentlich erzählt wird: Gabriel Goldmans Leben.
Angefangen von der Geburt, über seine Kindheits- und Jugenderlebnisse und die Jahre als erwachsener Mann bis zu dem Tag des Sturzes. Wie das mit Erinnerungen so ist, sind manche Erlebnisse in aller Klarheit und mit den kleinsten Details noch gegenwärtig, während die Gleichförmigkeit mancher Jahre in einem Halbsatz unterkommen.
Goldmans Erinnerungen kreisen vor allem um das Klavierspielen, denn er ist Pianist. Wir erlauschen mit ihm den Nachhall der allerersten Töne, die er am Klavier spielt. Wir erleben seinen ersten öffentlichen Auftritt und zunehmenden Ruhm, aber auch die vielen einsamen Stunden an seinem Instrument. Und wir erleben immer wieder Goldmans Zwang, Klavierspielen zu müssen, sich vor der Welt ans Klavier retten zu müssen.
Es ist kein Geheimnis, dass der kanadische Pianist Glenn Gould Pate stand für Mirt Komels Roman-Figur Gabriel Goldman. Weniger die biografischen Fakten als die Befindlichkeit Goldman-Goulds spielten dabei offenbar für Komel eine Rolle. So verlegt er die Handlung von Kanada nach New York, und Goldmans erster Klavier-Lehrer ist der russische Großvater und nicht etwa, wie in Goulds Fall, die Mutter. Es geht Komel um die Weltwahrnehmung eines Menschen, der anders ist als andere, der hauptsächlich in Musik existiert, der für manche ein Genie und für manche ein Spinner ist. Eine interessante, gelungene Annäherung an einen komplizierten Menschen in einer überbordenden Sprache.
Der an kleinste Beobachtungen gebundene Weltzugang Goldmans spiegelt sich in Komels Sprache, die voller Adjektive und Beschreibungen ist. Jeder Szene fügt Komel noch ein und noch ein Detail an. Goldmans Überwältigung durch tausende Eindrücke, die Suche nach Distanz zu einer Welt, die zu kompliziert, zu voll, zu unübersichtlich ist, wird so für den Leser, die Leserin direkt erfahrbar. Zuweilen bewegt sich diese Lust Komels an bildhafter Sprache allerdings auch hart an der Grenze zum Kitsch.
Gegen Ende des Romans nehmen die Gould-ähnlichen Szenen immer mehr zu: Goldman, der nun immer Handschuhe trägt, der lieber per Telefon oder Brief statt persönlich kommuniziert, der einen Dämonen in seiner Wohnung halluziniert und zusammenbricht, weil ihn jemand berührt hat. Die Rettung kommt wie immer in Form von Musik: Goldman entdeckt das Komponieren. „Ich vertone, also bin ich“ notiert Goldman. Ein Roman-Ende, das Glenn Gould sicherlich zugesagt hätte.