Toxizität: Mehr als nur ein Trendwort
Personen, Beziehungen, Arbeitsverhältnisse, Männlichkeit und auch Weiblichkeit können toxisch, also gefährlich und vernichtend sein.
Der Schriftstellerin Sophia Fritz zufolge sind „Beziehungen, die sich eben nicht auf Augenhöhe abspielen, sondern wo sich jemand tendenziell über einer anderen Person oder unter einer anderen Person verortet“ toxisch. Letzteres treffe tendenziell eher auf Frauen zu.
In ihrem Buch „Toxische Weiblichkeit“ schreibt sie über verschiedene Ausprägungen toxischer Weiblichkeit: Das gute Mädchen, das allen gefallen möchte und nie Nein sagt. Die Powerfrau, die alles kontrollieren, und bei der alles perfekt sein muss. Die Mutti, die sich immer um alle anderen kümmert und sich selbst dabei vergisst. Die Bitch, die über andere lästert, weil sie nie das direkte Gespräch sucht.
Alles seien Verhaltensmuster, die manipulative Absichten haben und die eine berechnende Unterordnung mit sich bringen, um so die eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Eine Art indirekter Weg, Macht und Kontrolle zu bekommen, so Fritz. Wie gefährlich ist die toxische Weiblichkeit und wie kommen wir von ihr weg?
„Toxische Weiblichkeit“ –die Autorin Sophia Fritz im Gespräch
Girl Hate: Warum wir in anderen Frauen eine Gefahr sehen
Dass toxische Weiblichkeit kein Modewort ist, zeigt die US-amerikanische Bloggerin Tavi Gevinson, die bereits 2011 den Begriff „Girl Hate“ einführte. Dabei geht es um einen ständigen Wettbewerb und Vergleich, in denen sich Frauen befinden.
Erfüllt eine andere Frau die Erwartungen besser als wir, werten wir uns ab, empfinden Missgunst und Neid – am liebsten würden wir die andere Person stoppen wollen, damit wir uns nicht so schlecht fühlen.
Das liege daran, dass es für uns nur eine einzige „coole Frau“, eine einzige „erfolgreiche Frau“ oder eine einzige „attraktive Frau“ in einer Gruppe von Menschen geben dürfe, so die US-amerikanische Bloggerin. Und das hat einen Namen …
Das Schlumpfine-Prinzip
Harry Potter, Emil und die Detektive, die Schlümpfe, The Big Bang Theory, New Girl, Star Wars – sie alle haben eins gemeinsam. Kommen Sie drauf, was es ist?
Eine „Schlumpfine“ und viele ausdifferenzierte männliche Kompagnons.
Wir werden also von klein auf mit Serien, Filmen und Büchern konfrontiert, in denen es nur eine Frau in einer männerdominierten Welt gibt. Das führt dazu, dass sich erfolgreiche Frauen bekämpfen, anstatt sich gemeinsam für ein neues System, das mehrere aufstrebende Frauen zulässt, einzusetzen, schreibt Gevinson weiter.
„Girl Hate“ und toxische Weiblichkeit dienten dazu, das Patriarchat aufrecht zu erhalten. Wir kämpfen nicht für Gleichberechtigung, sondern stattdessen lieber gegeneinander, schreibt Gevinson – ein wesentlicher Unterschied zwischen toxischer Weiblichkeit und toxischer Männlichkeit. Letztere schade allen Geschlechtern, toxische Weiblichkeit dagegen nur sich selbst.
It-Girls und ihre Schatten Das toxische Frauenbild der Nullerjahre und wie es uns heute noch prägt
Gefährliche Schönheitsideale, mediengemachter Ruhm und Oberflächlichkeit: Die It-Girls prägten in den Nullerjahren die Jugend. Das Frauenbild zu Beginn der 2000er war toxisch, bis ausgerechnet Social Media die gefährliche Ära beendete.
Die Superwoman-Nummer
Die beste Mama, die tollste Freundin, die erfolgreichste Kollegin, die schönste Ehefrau, die fleißigste Hausfrau, die beste Sportlerin – unsere Ansprüche sind hoch. Muss die Frau von heute wirklich eine eierlegende Wollmilchsau sein?
Ja und nein.
Ja, weil wir mithalten wollen und weil wir in Konkurrenzen zueinander leben (wollen). So sind wir sozialisiert und konditioniert. Es gibt täglich genug Möglichkeiten, sich zu vergleichen und zu hinterfragen – im realen Leben wie in den sozialen Medien. Die Bedürfnisse von anderen über die eigenen stellen, in allem gut sein müssen und dabei noch lächeln: Solche überzogenen Rollenerwartungen führen zu permanentem Stress und sind auf Dauer ungesund.
Und Nein, weil jede Frau andere Voraussetzung hat, jede andere Stärken und Talente hat. Nicht jede kann und muss in allem gut sein – das wäre unmenschlich und würde zu weniger Miteinander und mehr Gegeneinander führen. Genau das, was unsere Gesellschaft nicht braucht.
Momfluencer: Echte Alleskönnerinnen!?
Manchmal glaubt man, es gibt sie doch: die übermenschlichen Frauen, deren Leben das reinste Paradies auf Erden ist. Alles läuft im Fluss, keine Schwierigkeiten, keine schlechten Zeiten, kein zerzaustes Haar, kein Zombiegefühl nach schlaflosen Nächten, weil das Kind krank ist.
Sogenannte Momfluencer präsentieren einen perfekten Familienalltag in den sozialen Medien. Künstlerisch gestaltete Brotboxen, Babykleidung zum Verlieben, sicheres Spielzeug, das man haben sollte und „Lifehacks“, die das Leben mit Kindern einfacher machen sollen und schon sind alle Probleme in Luft aufgelöst.
Mit über zwei Millionen Followern auf Instagram ist Anna Maria Damm eine der erfolgreichsten Momfluencerinnen in Deutschland:
Man wird fast neidisch, wie perfekt und schön ihr Familienleben aussieht und fängt an, sich zu vergleichen. Tut man selbst genug? Was könnte man noch optimieren? Wie noch schneller und besser werden und am Ende genauso gut oder noch besser dabei aussehen? Und wehe, wenn nicht!
Natürlich gibt es auch Momfluencer, die die nicht so schönen Seiten abbilden, die Probleme offen thematisieren, die authentisch sein wollen und zeigen, wie das Leben ist – mit all seinen Höhen und Tiefen. Ein bisschen gut tut das schon. Und sind wir mal ehrlich: Niemand ist perfekt.
Marlies Johanna ist eine deutsche Momfluencerin und Mutter von zwei Kindern, die den Alltag mit Kindern ungeschönt zeigt:
Mom Shaming nervt!
Das Muttersein ist eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Aufgaben im Leben einer Frau. Alles ändert sich schlagartig mit dem ersten Kind. Die Herausforderungen des Alltags sind manchmal überwältigend.
Da braucht es nicht noch zusätzlichen Stress durch sogenanntes „Mom Shaming“: Mütter, die in ihrer Rolle kritisiert werden, von Freunden, Familienmitgliedern oder Bekannten.
„Ach was, du stillst immer noch!? Oh ihr habt euer Kind schon mit neun Monaten in die Kita gegeben? Sie schläft immer noch in eurem Bett?! Er trägt immer noch Windeln!?“, lauten Fragen, die mehr kritisieren als weiterhelfen.
Auch unter Müttern ist das Mom Shaming hoch im Kurs. Und hier schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei der Vergleichskultur und dem Wunsch, besser zu sein.
Ein bekanntes Phänomen: Indem du andere schlecht machst, fühlst du dich selbst besser und überlegen. Manche Mütter kritisieren also, um ihre eigene Leistung zu verbessern.
Und dabei sitzen doch alle Mütter im gleichen Boot und wissen, welche Herausforderungen sie jeden Tag bewältigen müssen. Ein bisschen mehr Empathie von allen Seiten hilft da gewiss.
Was wir brauchen, ist mehr „Sisterhood“
Wie gehen wir also mit der toxischen Weiblichkeit um? In dem wir uns zum Beispiel das Konzept „Sisterhood“ von der US-amerikanischen Autorin Bell Hooks aus dem Jahr 1984 zu Herzen nehmen.
Darin geht es um Solidarität unter Frauen. Egal welche soziale Klasse, Herkunft oder Hautfarbe: Es kommt darauf an, die unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründe gemeinsam zu nutzen, zusammen zu wachsen und gegen unterdrückende Strukturen zu kämpfen.
Diese Verbundenheit mit anderen Frauen kann sich sowohl auf den beruflichen, gesellschaftlichen oder auch privaten Kontext beziehen und einen Kulturwandel fördern, so Hooks.