Jung, schön, schlank: Die It-Girls
Als im vergangenen Jahr der Y2K-Trend die Modewelt wieder in die frühen Jahre des Jahrtausends zurückversetzt, läuft es vielen Millennials eiskalt den Rücken herunter. Mit plötzlich wieder modernen hautengen Oberteilen und knappen Hosen fühlen sich viele Frauen schlagartig an eine Zeit zurückerinnert, die bis heute als Synonym für toxischen Körperkult gilt: Die Nullerjahre.
Perfektes Haar, strahlender Teint, Zahnpastalächeln – in den frühen 2000ern war der Look der Stunde klar vorgegeben. Die Urheberinnen des Looks sind It-Girls wie Paris Hilton und ihre Busenfreundin Nicole Richie, Lindsay Lohan oder Jessica Simpson. Alle sind sie jung, auffallend schön und vor allem: schlank. Varianz in der Optik der angesagten Stars? Fehlanzeige.
Damals stehen die It-Girls sinnbildlich für Konsum, Exzess, Glanz und Glamour. Sie werden zu Schlüsselfiguren eines toxischen Frauenbildes, das eine ganze Generation von Mädchen beschäftigen sollte. Gleichzeitig entwickeln sie sich zu problematischen Vorbildern.
Sehnsüchte der westlichen Welt
Das Talent der It-Girls? Sie haben das gewisse Etwas, wie der Begriff bereits suggeriert. Damit ist der Grund für den Erfolg der Frauen fast auserzählt, denn ihr Ruhm ist vor allem mediengemacht. Paparazzi folgen ihnen auf Schritt und Tritt, in Boulevard und Fernsehen lassen sie das Volk an ihrem Luxus-Lifestyle teilhaben.
Dabei waren die It-Girls der Nullerjahre vor allem ein Konzentrat der Sehnsüchte der westlichen Welt: Ein schier unerreichbares Schönheitsbild, nahezu unbegrenzter Reichtum, ohne dafür schuften zu müssen und ein Leben voller Glanz, Gloria und Gelage. Denn die It-Girls verband vor allem eins: Sie waren weiß und extrem schlank, ob im Fernseher oder auf den Covern von Magazinen.
Reality-TV wird zum Brandbeschleuniger der Toxizität
Die It-Girls werden zu Stars, erhalten vermeintlich realistische TV-Formate und prägen so eine Generation heranwachsender Frauen. Scripted Reality Formate wie „The Hills“ oder „Laguna Beach“ befeuern das.
Die vorgegakukelte Realität der auf Hochglanz polierten kalifornischen Elite weckt den Wunsch in vielen Teenies, genauso sein zu wollen: Vom sorgenfreien Leben bis hin zum makellosen Erscheinungsbild.
Heidi Klum bringt den Magerwahn nach Deutschland
Mit der Popularität der It-Girls wächst auch der Frust bei jungen Frauen: Kein flacher Bauch, unreine Haut, die Jeans sitzt nicht wie bei den Stars – Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und das Abweichen vom vermeintlichen Ideal schafft Traumata am Fließband. Die Mode-Industrie hat an diesen Selbstzweifeln entscheidenden Anteil.
Denn im Zentrum der Bewunderung für It-Girls steht oftmals nur das Äußere. Als 2006 die erste Staffel von Heidi Klums „Germany's Next Topmodel“ anläuft, wird dieses problematische Körperbild noch weiter forciert und die Sendung wird zu einer Quelle für Body Issues.
„Dafür bist du zu dick“ – Aussagen wie diese hätten heute unweigerlich Shitstorms zufolge, damals blieben sie aus. Ein Zeugnis dessen, wie kaputt die Vorstellung über Frauenkörper war, die in den Medien en vogue war.
Das toxische Körperbild beschränkt sich nicht nur auf die Klatschpresse
Auch erfolgreiche TV-Serien wie „O.C., California“ tragen zum Körperkult bei: Als knöchrige Marissa Cooper wird Schauspielerin Mischa Barton zum Motiv Millionen jugendlicher Posterwände. Die Schauspielerin ist damals fleischgewordenes Abbild einer Zeit, in der im Mittelpunkt für jede Frau zu stehen hatte, besonders schlank zu sein.
Dass Mischa Barton offensichtlich mit Magersucht kämpft, findet kaum Erwähnung. Eine Kritik am möglicherweise problematischen Frauenbild der Gegenwart findet nicht statt. Selbst als immer mehr Stars über ihre Essstörungen sprechen, ändert das nichts an der Unbarmherzigkeit, mit der medial auf weibliche Körper eingedroschen wird.
Problematische Begriffe wie „Thigh Gap“ oder „Thinspiration“ wurden alle in den Nullerjahren geprägt und verankerten sich fest in den Köpfen der Millennials – teils bis heute. Die frühen 2000er wurden zum Höhepunkt des Fatshamings – fast ohne Widerstände.
Social Media macht den It-Girls schließlich den Garaus
Als um 2010 die Sozialen Medien ihren Eroberungszug feiern, läuten Facebook und Co. das Ende der von Klatschpresse und Boulevard-Journalisten gemachten It-Girls ein. Es brauchte nun niemanden mehr, der nur seiner selbst wegen in den Mittelpunkt gerückt werden musste – denn im Netz kann von nun an jeder selbst auf sich aufmerksam machen.
Das Ende der It-Girl-Ära markiert gleichzeitig die Geburtsstunde eines diverseren Körperbilds. Langsam aber sicher fördert Social Media die Sichtbarkeit von Typen, die nicht dem vermeintlichen Ideal entsprechen. In den verschiedensten Blasen tummeln sich nun neue Vorbilder, eigene Stars für jeden Mikrokosmos: An die Stelle der einstigen It-Girls sind Influencer gerückt.
Denn auch wenn heute angesagte Plattformen wie Instagram oder TikTok unstreitbar problematische Seiten aufweisen, so schaffen sie in erster Linie Sichtbarkeit für vielerlei Körperformen, Looks und Stile, die in den Nullerjahren medial keine Daseinsberechtigung hatten.
Die Schattenseiten des vermeintlich glamourösen Lebensstils
Doch was ist aus den einstigen It-Girls eigentlich geworden? Sie hatten ein sorgenfreies Leben, wurde einem damals glauben gemacht. Doch der Preis, den die Frauen dafür zahlen mussten, war hoch; das vermeintlich unbekümmerte Leben nur eine Illusion.
Der Ausbruch aus der Schublade „talentfrei“ gestaltet sich für die heutigen Mitvierzigerinnen schwierig. Bis heute sind sie abgestempelt und werden auf einstige Oberflächlichkeiten reduziert, obwohl sie sich alle Mühe geben, das unliebsame Image abzuschütteln.
Viele haben die Kontrolle über das Bild, das von ihnen gezeichnet wird, selbst in die Hand genommen und äußern sich offen über die Schattenseiten ihres einstigen It-Girl-Lebens. Sexismus, Belästigung und Missbrauch thematisieren sie unter anderem in Büchern, wie zuletzt Britney Spears mit „The Woman in me“ (2023) oder Paris Hilton in „This is Paris“ (2020). Sie zeichnen hier ihren Genesungsweg vom It-Girl nach, der weit über Rehab-Zentren hinausgeht und brechen mit jahrelangem Schweigen.
Mittlerweile führen sie millionenschwere Unternehmen und nutzen ihre Reichweite, um auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen. Die einstigen Partybiester und Glamour-Sternchen haben sich rehabilitiert, werden jedoch noch immer nicht wirklich ernst genommen. Zu groß und zu toxisch war der Einfluss, den sie in den Nullerjahren ausübten – viele Millennials und vor allem die Gen-Z verzeihen das bis heute nicht.
Frauen unter sich Toxische Weiblichkeit – Eine unbewusste Gefahr für Frauen im Patriarchat
Frauen können das gut: sich permanent vergleichen mit anderen Frauen. Das Resultat: Missgunst und Neid. Diese toxische Weiblichkeit kommt immer mehr ins Rampenlicht – und das ist gut.
Die Suche nach authentischen Vorbildern in den 2020ern
Das gewisse Etwas haben, genügt in der heutigen Zeit nicht mehr, um in den Fokus zu rücken: Die jungen Frauen in den 2020ern sehnen sich nach Vorbildern, die etwas zu sagen haben und für etwas einstehen, die Werte vertreten und eine Haltung haben – der wohl größte Kontrast zu den Oberflächlichkeiten, die in den Nullerjahren reüssierten.
Im Jahr 2024 scheint kein Platz mehr für das klassische It-Girl der Nullerjahre. Bodyshaming wird aktiv bekämpft statt forciert. Aber spielt Körperlichkeit heute also gar keine Rolle mehr? Keineswegs.
Die neuen Idole: Authentizität über Glanz und Glamour
Sie ist diverser geworden, positiver konnotiert und spielt sich in vielschichtigen Bubbles ab. Es gibt nicht mehr nur „diese eine“ Schönheit wie in den Nullerjahren und auch wenn die Mode der 2000er in Form des Y2K-Trends zurückgekehrt ist, so wird sie heute nicht mehr so unkritisch aufgenommen, wie das noch vor 20 Jahren der Fall war.
Bloße Berühmtheit allein ist heutzutage kein Konzept mehr, das die jungen Leute anspricht. Ferner gibt es nicht mehr nur „die eine Öffentlichkeit“, in der sich Popularität abspielt – die Welt ist insgesamt vielschichtiger geworden.
Auch die It-Girls von damals haben das mittlerweile verstanden und nutzen ihre Publicity, um zu wahren Idolen zu werden, ganz ohne Glanz, Glamour und Gelage.