Wir leben in einem Gesundheitssystem, um das uns die Welt beneidet – vor allem vom Zugang her. Es gibt kaum ein Gesundheitssystem – das mag viele überraschen – wo Sie so wenig Wartezeit haben. Dass wir innerhalb von zwei Wochen eine Ultraschall-Untersuchung kriegen, das ist nicht ganz normal.
Diese Aussage von Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner mag zunächst überraschen, denn das deutsche Gesundheitssystem steht in der Kritik: Zu teuer, zu ineffizient und vor allem zu wenig an den Patient:innen orientiert.
So, wie es heute ist, werden wir unser Gesundheitssystem in 20 Jahren nicht mehr finanzieren können.
In den letzten Jahren gibt es aus den Reihen der Politik in Bund und Ländern nicht zuletzt deshalb immer mehr Bestrebungen, das Gesundheitssystem in Teilen zu reformieren. Das größte und bekannteste Reformprojekt: Die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Lauterbach.
Es krankt bei uns sehr daran, dass die Krankenhäuser machen, was sie wollen, der ambulante Bereich, der Reha-Bereich. Jeder optimiert für sich und es ist wenig Austausch da. Das ist das Grundproblem, und daran machen sich die anderen Dinge fest.
Die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Lauterbach
Wir müssen im Grundsatz dahin, dass wir mit weniger Krankenhäusern bessere Medizin machen. Da hat er [Gesundheitsminister Karl Lauterbach] recht.
Lauterbachs Krankenhausreform betrifft vor allem den stationären Bereich. Aber auch im ambulanten Versorgungsbereich wird viel diskutiert: Änderungen im Budgetierungssystem, Digitalisierung von Rezepten und Gesundheitsakten und ganz aktuell die Forderung nach strengeren Regeln bei den sogenannten IGeL-Leistungen in den Arztpraxen sind die Ergebnisse.
Wir sind schlecht darin, Dinge, die anderswo längst ambulant gemacht werden, dort auch zu machen. Wir machen ganz viel stationär, was viel Geld kostet und viele Ressourcen bindet, auch personell.
Wo in Europa ist die Versorgung im Gesundheitssystem besser?
Es sei nicht überall alles perfekt bei unseren europäischen Nachbarn, sagt Wolfgang Greiner, aber es gebe gute Ansätze - auch in England, dessen einst vorbildliches Gesundheitssystem mittlerweile als marode in der Kritik steht.
- Schweiz: "Sehr gute integrierte Systeme, in denen ambulant und stationär zusammen kommen."
- Skandinavien: "Dort haben sie es sehr gut geschafft, die Krankenhauslandschaft zu ändern. Allerdings immer noch mit langen Wartezeiten."
- England: "Dort sind sie sehr gut digitalisiert."
Ein großer Kritikpunkt von Greiner: Deutschland sei schlecht in der Digitalisierung in der Medizin und Krankenhäusern. Keiner sehe so richtig ein "Warum soll ich die Daten vom Anderen wissen und warum soll ich sie freigeben". Deshalb gehe auch heute noch viel zu viel wertvolle Zeit von Ärzt:innen und Pflegepersonal bei der Dokumentation verloren und komme nicht den Patient:innen zu gute.
Medikamentenversorgung und Abrechnungsstrukturen
Wolfgang Greiner ist Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld. Der ausgebildete Bankkaufmann und studierte Wirtschaftswissenschaftler hat seine Forschungsarbeit der Gesundheitsökonomie gewidmet. Bis 2023 war er Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Eines seiner Kernthemen: Wie wir nach den jüngsten Lieferengpässen die Medikamentenversorgung in Deutschland langfristig sicherstellen können.
Welche Auswirkungen werden geplante Reformen auf die Qualität unserer Gesundheitsversorgungen haben? Lösen mehr Digitalisierung und Neuordnungen von Abrechnungsstrukturen wirklich die Versorgung derjenigen, die sie am dringendsten benötigen? Diese und weitere gesundheitsökonomische Fragen besprechen wir mit Prof. Wolfgang Greiner in SWR1 Leute.
Die wohnortnahe Versorgung wird häufig überschätzt, wenn man an die Qualität der Behandlung denkt. Dass man – wenn man eine schwerwiegende Erkrankung hat – optimal behandelt wird: Das geht in kleineren Kliniken weniger gut als in größeren. Man muss dann aber auch den Rettungsdienst so aufstellen, dass er auch bei etwas längeren Distanzen schnell handlungsfähig ist.