Stadt Mannheim ehrt Korrespondentin

Schillerpreisträgerin Golineh Atai: "Ohne innere Arbeit verzweifelt man an der Welt"

Stand
Das Interview führte
Frank Jenschar
Interview mit
Golineh Atai
Onlinefassung
SWR1

Die Korrespondentin Golineh Atai erhält in diesem Jahr den Schillerpreis der Stadt Mannheim. Im Interview spricht sie über das Thema Freiheit und darüber, wie sie selbst mit Krisen umgeht.

Der Schillerpreis der Stadt Mannheim wird alle zwei Jahre an Menschen verliehen, die sich durch ihre Arbeit für das friedliche Zusammenleben starkmachen. Dieses Mal hat sich die Jury für die Korrespondentin Golineh Atai entschieden, die seit vielen Jahren für das ZDF aus den Krisengebieten dieser Welt berichtet. Ob aus der Ukraine, Syrien oder dem Libanon.

Schillerpreis für ZDF-Korrespondentin Golineh Atai

SWR1: Die Jury lobt neben Ihrer journalistischen Qualität zwei Eigenschaften: Mut und Empathie. Gehen Sie da mit?

Golineh Atai: Ich denke, ich mache einfach meinen Job. Das heißt für mich, ich versuche so hintergründig wie möglich zu sein. Mein aktuelles Berichtsgebiet, die arabische Welt, ist nicht schwarz-weiß. Sie ist grau. Mein Ziel ist es, die Nuancen sichtbar zu machen.

Ich denke, wenn ich es schaffe, mit meiner Berichterstattung die Opfer von Gewalt, von Repression – und davon gibt es ja unzählige – deutlich und sie als Menschen erfahrbar und nahbar zu machen, dann wäre schon sehr viel erreicht.

Atai: "Freiheit ist für mich ein Lbensthema"

SWR1: Sie bekommen den Schillerpreis verliehen. Wie viel Schiller steckt in Ihnen, wie viel Kampf für die Freiheit?

Atai: Ich glaube, das Thema Freiheit ist für mich ein Lebensthema, allein aufgrund meiner Vergangenheit. Ich war fünf Jahre alt, als meine Eltern die Errichtung einer religiösen Diktatur im Iran erleben mussten. Und wie ihnen jede Hoffnung genommen wurde auf ein Leben in Sicherheit und Würde, auf der Grundlage eines rationalen Weltbildes, das eine einigermaßen freie Entwicklung der Gesellschaft zugelassen hätte.

Journalistin Golineh Atai Golineh Atai zum Krieg in Europa

"Ich bin erschüttert“ – sagt die Journalistin Golineh Atai über den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Von 2013 bis 2018 war sie für die ARD als Korrespondentin in Moskau. In die Zeit fällt auch die Maidan Revolution in Kiew und die Besetzung der Krim durch russische Einheiten.

Meine Eltern suchten Zuflucht in Deutschland. Ich glaube, die Frage, wie es zu dieser Katastrophe, zu dieser Verdunkelung in ihrem Land kommen konnte, ließ sie nicht los und begleitete natürlich auch mich.

Das ist vielleicht mit ein Grund, warum ich immer wieder selbst nach Antworten suche, wie Menschen in einer Diktatur leben, wie Menschen sich selbst befreien, sich entwickeln können oder aber wie sie gefangen bleiben.

Golineh Atais Blick auf die Zukunft von Syrien und der Ukraine

SWR1: Sie sind in den Krisenherden dieser Welt unterwegs, wie beispielsweise in der Ukraine und in Syrien. Wie optimistisch schauen Sie auf diese Entwicklungen?

Atai: Bei beiden Ländern, Ukraine und Syrien, halte ich immer wieder den Atem an. In Syrien, würde ich sagen, ist die Lage für mich schizophren. Der Machtübergang vor drei Monaten verlief relativ unblutig.

Aber die Kämpfe in den vergangenen Tagen zwischen Assadisten und Truppen der Interimsregierung waren von Massakern an Zivilisten begleitet. Wir sprechen von fast 1.000 Getöteten auf beiden Seiten. Das Ganze wurde angefeuert durch eine massive Desinformationskampagne des iranischen Regimes zugunsten der Assadisten, die die Kämpfe angefangen hatten.

Andererseits gibt es auch positive Fortschritte bei der Annäherung zwischen der Kurdenmiliz und Machthaber Al-Scharaa in Damaskus. [...]

Ich denke, das Hauptproblem in Syrien bleibt die wirtschaftliche Lage. Die ist katastrophal. Die Interimsregierung ist bankrott. Ohne die völlige Aufhebung oder zumindest die zeitweilige völlige Aufhebung der westlichen Sanktionen wird das Land in den Extremismus getrieben.

Was die Ukraine angeht, falls der Waffenstillstand wirklich denn so kommt, haben wir eine Weder-Krieg-noch-Frieden-Situation, von der hauptsächlich derjenige profitiert, der die ukrainische Nation zerstören will: Russlands Präsident Putin.

Wenn es den USA gelingt, Russland so unter Druck zu setzen, dass sozusagen der "Appetit des Kreml" gezügelt wird und der Kreml den Waffenstillstand wirklich als Beginn einer echten Einigung ansehen muss, dann gibt es, denke ich, eine Chance auf Frieden. Wenn das den USA nicht gelingt, dann bedeutet das nichts Gutes – weder für die Ukraine noch für den Rest Europas.

Umgang mit Krisen

SWR1: Was nimmt man von all dem mit nach Hause, wenn man so oft über Krisen berichtet?

Atai: Es ist schon eine Herausforderung für mich und mein Team. Nach vier Wochen Syrien in den vergangenen Wochen waren wir alle ziemlich geschafft. Ich glaube, es ist auch dieser Druck, ich muss das alles mit ansehen, ich habe das alles vor Augen.

Und ich glaube, ohne innere Arbeit verzweifelt man an der Welt. Insofern ist es sehr schwierig, sehr herausfordernd. Aber es kann auch eine unglaublich gewinnbringende Erfahrung sein; eine Erfahrung, die viele andere Menschen so nicht machen.

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