Es war ein lauer Sommerabend am 01. Juni in Bad Cannstatt. Die Bundesliga-Saison war schon zu Ende, aber der VfB musste, mal wieder, zum Nachsitzen: Relegation gegen den HSV. "Auf jeden Fall besser als Heidenheim" war mein erster Gedanke als der Drittplatzierte aus Liga zwei feststand. Die Gefahr, das Team von der Ostalb zu unterschätzen, war mir definitiv zu groß. "Dann lieber gegen Tim Walter, der nur eine Art von Fußball kann", erinnerte ich mich an Walters Zeit in Stuttgart, als der VfB ein offensives Spielsystem besaß, mit viel Ballbesitz und extrem aufrückenden Abwehrspielern, aber die Verteidigung das eine oder andere Mal komplett vergessen wurde. Das führte nach einem halben Jahr zur Trennung von Trainer Tim Walter.
Zwischen Zuversicht und Nervosität
Entsprechend zuversichtlich begab ich mich ins Neckarstadion. Ausverkaufte Arena, Fluchtlicht und ein attraktiver Gegner mit großer Anhängerschaft: Alles, was ein toller Fußballabend braucht. Aber trotzdem war ich natürlich auch unendlich nervös. Zu tief sitzt immer noch der Union-Stachel der Relegation 2019. "Relegation kann auch Spaß machen", sagte einst der VfB-Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle. Das mag zwar so sein, ist aber aus meiner Sicht genauso wie beim Zelten: Spaß macht es nur, so lange es die Anderen machen und man selbst unbeteiligt ist.
Das Neckarstadion explodiert
Die Tribünen waren schon weit vor Anpfiff prall gefüllt. Alle Anhängerinnen und Anhänger des VfB waren in weiß gekleidet, viele davon standen auch in den Sitzplatzbereichen und aus beiden Fan-Kurven erklangen laute Schlachtrufe. Gänsehaut-Atmosphäre, die ich schon lange nicht mehr so gespürt habe! Und die kurz nach Spielbeginn in absoluter Ekstase aufging: Dinos Mavropanos verwandelte nach 46 Sekunden die erste Ecke für den VfB per Kopf zur 1:0-Führung. Das Stadion außer Rand und Band und meine Nervosität schlagartig besser. Aber ich kenne ja "meinen" VfB und war mir sicher: "Da wird schon noch was kommen".
Der VfB macht VfB-Sachen
Zunächst war das Team von Sebastian Hoeneß aber sehr dominant. Jeder Angriff wurde zur Torchance. Der HSV schien, vor allem mit der linken Angriffsseite der Schwaben, die Borna Sosa und Chris Führich besetzten, komplett überfordert. Die Hamburger pressten trotzdem extrem hoch und konnten bei Ballverlusten nur noch hinterherschauen. So auch in der 23. Spielminute, als Serhou Guirassy frei vor HSV-Keeper Heuer Fernandes auftauchte, aber den Ball nur lässig in dessen Arme spielte. "Kann passieren", dachte ich mir da nur, "wir werden schon noch einen reinmachen." Als jener Guirassy dann vier Minuten später einen Strafstoß verschoss, Fernandes einen, dann doch nur fast unhaltbaren, Ball von Führich parierte und anschließend sein Gegenüber im VfB-Tor, Florian Müller, fast den Ausgleich verschuldete, waren meine Nerven wieder maximal strapaziert.
Auch Dinos Mavropanos wollte mir nicht helfen und setzte einen weiteren Kopfball, nach Sosa-Freistoß, aus kurzer Distanz knapp neben das Tor. So konnten mal wieder nur die mitgebrachten Halbzeit-Pistazien für ein wenig Entspannung und geistige Ablenkung (Ja, das Öffnen mit großen Fingern ist in Stresssituationen noch schwieriger als sonst!) sorgen, denn eigentlich hätte die Partie, wenn nicht sogar die ganze Relegation, hier schon entschieden sein müssen.
Doppelpack und Platzverweis nach der Pause
Vielleicht gab es in der Kabine auch Pistazien. Das wäre wohl genauso überraschend gewesen, wie der Auftritt des VfB in Durchgang zwei. Denn die Schwaben schienen nicht über die vergebenen Chancen nachzudenken, sondern machten einfach da weiter, wo sie in Durchgang eins aufgehört hatten. Auch, weil es den Hamburgern zu keiner Zeit gelang, den eigenen Ballbesitzfußball umzusetzen oder das schnelle Umschaltspiel der Hausherren zu stoppen. Ein schneller Doppelschlag vom Ex-Hamburger Josha Vagnoman und Guirassy in den Spielminuten 51 und 54 sorgte dafür, dass ich meine Nerven bis zum Ende der Partie einigermaßen unter Kontrolle halten konnten. Die rote Karte gegen Hamburgs Anssi Suhonen und die drückende Überlegenheit des VfB trugen ihren Teil dazu bei.
Am Ende bleibt die Gewissheit, dass es bei Tim Walter keine Alternative zum Angriffsfußball gibt und dass die (individuelle) Qualität des Bundesliga-Sechzehnten im "Normalfall" immer ausreichend sein sollte, um auch in der Relegation die Klasse zu halten.