Diese Bilder werde ich wohl lange nicht vergessen: Nils Petersen steht vor der Freiburger Fankurve, schwenkt eine übergroße Fahne mit einer aufgedruckten "18", seiner Trikotnummer, in den Nachthimmel und feiert mit Tränen in den Augen sein letztes Heimspiel für den SC Freiburg. Ein Moment, bei dem ich immer noch Gänsehaut bekomme. Vor allem, wenn ich an die komplette Geschichte des Abends zurückdenke.
Emotionale Partie
Es ist der vorletzte Spieltag der Saison 2022/23. Der SC Freiburg steht nach 32. Spieltagen auf Platz fünf, hält Kontakt zu den Champions-League-Rängen. Zu Gast im Breisgau ist der VfL Wolfsburg, direkter Tabellennachbar des Sport-Clubs. Das Spiel ist sportlich wichtig. Und emotional aufgeladen, denn allen ist klar: Nils Petersen, Freiburgs Fußballgott, wird zum letzten Mal vor heimischen Fans spielen.
Ein letztes Mal der Joker
In der Startelf ist er zunächst nicht. Aber das war er noch nie in dieser Bundesligasaison. 90 Minuten durchspielen fällt nicht mehr so leicht. Petersen kennt das, schließlich ist er der beste Joker der Bundesligageschichte. Nur in dieser Saison hat es noch nicht geklappt. Freiburgs Rekordtorschütze ist noch ohne Treffer in der Liga, irgendwie war der Wurm drin. Sollte sich Petersen also ohne Saisontor aus der Bundesliga und von seinem Herzensverein verabschieden?
Treffer im letzten Spiel
Nein! In der 70. Minute wird er zusammen mit seinem Kapitän und langjährigen Teamkollegen Christian Günter eingewechselt. Ein letztes Mal schallt "Nils Petersen" durchs Stadion, ein letztes Mal hängen die Fans seinem Namen ein "Fußballgott" hinten an. Gänsehaut! Nur fünf Minuten später ist er im gegnerischen Strafraum. Da, wo er sich am liebsten aufhält. Da, wo er bis zu diesem Zeitpunkt bereits 104 Mal für die Freiburger getroffen hatte - und schiebt den Ball locker über die Linie. Treffer 105 ist perfekt.
Freudentaumel in Freiburg
Die Südtribüne hinter mir explodiert in diesem Moment. Ach was, das ganze Stadion ist in absoluter in Ekstase. Irre! Kann das wirklich wahr sein? Schreibt der Fußball etwa tatsächlich die schönsten Geschichten? An diesem Abend scheint es so. Nils Petersen jubelt inmitten einer Traube aus Mannschaftskollegen direkt vor der Kurve. Schaut selbst ein bisschen ungläubig und hält sich die Hände vors Gesicht. "Ich habe schon so lange nicht mehr getroffen, ich wusste gar nicht mehr, wie man jubelt", beschreibt er die Situation später im Interview, "dass ich sogar nochmal ein Tor schieße. Das ist Wahnsinn."
Petersen macht's nochmal
Und es wird noch wahnsinniger. Nur fünf Minuten später ist Petersen schon wieder im gegnerischen Strafraum unterwegs, wird von Roland Sallai mit einer Flanke bedient und köpft den Ball in mustergültiger Stürmer-Manier ins Netz. Sein zweites Tor, innerhalb von fünf Minuten, in seinem letzten Heimspiel - was für eine irre Partie! Das Europa-Park Stadion kocht über. Und er selbst? Läuft in Richtung Trainerbank, klatscht mit allen dort ab. Coach Christian Streich wird auf den TV-Bildern gezeigt mit einem übergroßen Grinsen im Gesicht und der ein oder anderen Träne in den Augen. Dieser Nils-Petersen-Abend lässt keinen kalt.
Partystimmung nach Spielende
Der wohl einzige Makel an diesem perfekten Abend: Das Tor wird aberkannt. Ärgerlich, aber am Ende allen egal. Der Sport-Club gewinnt gegen Wolfsburg und Nils Petersen hat das (höchstwahrscheinlich) letzte Bundesligator seiner Karriere geschossen. Ewig bleibt Nils nach dem Spiel bei den Fans und sie bleiben für ihn. Feiern ihn, nehmen ihn in ihre Mitte, drücken ihm ein Bier und ein Megafon in die Hand und wollen diesen magischen Abend mit ihm zusammen erleben.
Eine der schönsten Gesten: das Banner, das über die komplette Länge der Südkurve aufgehängt wird. Darauf steht: "Niemand ist größer als der Verein, aber du warst verdammt nah dran." Toll, schon wieder Gänsehaut!
Für immer Freiburg
An diesem Abend hat sich einer der großen Freiburger Publikumslieblinge verabschiedet. Er werde ihnen sehr fehlen, erzählten mir Fans schon vor dem Spiel. Er sei einfach so ein "symphatischer und bodenständiger" Typ, der sogar den Weg in die zweite Liga mitgemacht hat. Das alles werden sie ihm nie vergessen und auch wenn Nils Petersen nicht mehr auf dem Platz steht, ist er doch immer noch so ein bisschen dabei. Wie zum Beispiel zuletzt beim Freiburger Auswärtsspiel bei West Ham. Da steht er inmitten der angereisten Fans im SC-Auswärtsblock in London und hält stolz seinen Freiburg-Schal in den Nachthimmel. Und spätestens dann ist klar: Du kriegst vielleicht Nils Petersen aus dem SC Freiburg, aber niemals den SC Freiburg so ganz aus Nils Petersen raus.