Forscherinnen und Forscher aus Deutschland untersuchten erstmalig in einer Meta-Analyse, wie häufig Absetzsymptome bei verschiedenen Antidepressiva tatsächlich auftreten. Die Ergebnisse haben sie im Fachjournal „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht.
Einsatz von Antidepressiva
Antidepressiva werden vor allem zur Behandlung von Depressionen verschrieben. Sie werden aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen wie Angst- und Zwangsstörungen eingesetzt. Da diese Medikamente in den Hirnstoffwechsel eingreifen, sollten sie möglichst nicht ein Leben lang eingenommen werden. Sobald sich die Symptomatik verbessert, wird empfohlen, Antidepressiva wieder abzusetzen.
Serotonin-Entwöhnung beim Absetzen von Antidepressiva
Das Absetzen von Antidepressiva ist tückisch. Es ist bekannt, dass die Dosis der Wirkstoffe nur langsam reduziert werden sollte. Trotzdem kann es zu unangenehmen Folgewirkungen kommen. Denn die Antidepressiva erhöhen das verfügbare Serotonin in den Synapsen. Das ist ein Hormon, das unter anderem Einfluss auf unsere Stimmung und unseren Schlaf nimmt.
An die erhöhte Zufuhr passt sich das Gehirn an, indem es die Anzahl der Serotoninrezeptoren herunterregelt, erklärt Studienautor Christopher Baethge. Das Absetzen kann dann zu Problemen führen:
Übelkeit und Schwindel nach Absetzen von Antidepressiva
Psychiater Christopher Bathge hat mit seinem Team die Absetzsymptome der gängigen Antidepressiva wie auch von Placebopräparaten analysiert. In einer Metastudie hat das Team Daten von über 20.000 Personen aus insgesamt 79 Einzelstudien untersucht. Die Symptome können Stunden, aber auch Tage oder sogar Wochen nach dem Absetzen von Antidepressiva auftreten:
Symptome bei Absetzen von Antidepressiva nicht selten
Bisher war nicht klar, wie viele Menschen diese Abbruch-Symptome haben und welche gängigen Antidepressiva dabei besonders auffällig sind. In der Metastudie berichteten 31 Prozent der Teilnehmenden über Absetzsymptome. In der Placebogruppe waren es immerhin noch 17 Prozent.
Die Autorinnen und Autoren schlussfolgern daraus, dass etwa 15 Prozent – also circa jede sechste bis siebte Person – tatsächlich unter Absetzsymptomen von Antidepressiva leidet. Deshalb sollten Ärztinnen und Ärzte ihre Patienten bei dem Absetzen von Antidepressiva engmaschiger betreuen, das zieht der zweite Studienautor Jonathan Henssler von der Charité Berlin als ein Fazit der Metastudie:
Manche Antidepressiva zeigen stärkere Absetzprobleme
Die Studie zeigt auch, dass es durchaus Unterschiede beim Risiko für Absetzprobleme zwischen den einzelnen Antidepressiva gibt: Die geringsten Probleme verursachten die Medikamente Fluoxetin und Sertralin.
Das höchste Risiko, Absetzsymptome zu verursachen, zeigten die Medikamente Imipramin, Paroxetin und Venlafaxin. Ein Grund, diese Medikamente dennoch zu verordnen, könnte aber sein, dass sie von manchen Patienten besser vertragen werden als andere. Grundsätzlich betonen die Forschenden, sei es enorm wichtig, genügend Zeit zum langsamen Herunterdosieren von Antidepressiva einzuplanen.
Längerer Absetz-Zeitraum bei Antidepressiva empfohlen
Die Daten stützen die allgemeine Empfehlung, dass das Absetzen von Antidepressiva über mehrere Monate erfolgen sollte, so Baethge. In der deutschen Leitlinie werden drei Monate dafür empfohlen.
Erst wenn ein Antidepressivum zwischen fünf bis acht Wochen lang eingenommen wird, besteht ein Risiko, Absetzsymptome zu entwickeln. Der Befürchtung, dass das Risiko weiter steigt, je länger das Antidepressivum eingenommen wird, widerspricht Psychiater Jonathan Henssler:
Kritisch hat sich Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) zu der Metastudie geäußert. Hier ihre Stellungnahme.