Erste PISA-Auswertung zu kreativer Denkfähigkeit
Zum ersten Mal gibt ein PISA-Report Auskunft über die kreative Denkfähigkeit von 15-jährigen Schülern und Schülerinnen am Ende der Pflichtschulzeit. Für die PISA-Studie 2022 sind Daten in 64 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) erhoben worden. Die Ergebnisse zum kreativen Denken haben die PiSA-Macherinnen und -Macher jetzt veröffentlicht.
PISA-Koordinator Andreas Schleicher ist der Meinung, mit dem Aufkommen allgemein verfügbarer künstlicher Intelligenz wie ChatGPT werde es immer wichtiger, kreativ denken zu können. Denn zahlreiche andere Aufgaben könnten in Zukunft technisch gelöst werden. Die Schulen sollten deshalb verstärkt Wert darauf legen, die Entwicklung des kreativen Denkens zu fördern.
Kreatives Denken: Deutschland im Mittelfeld bei PISA-Studie
Laut der Studie erzielten Deutschlands Heranwachsende einen Wert von 33 Punkten; das ist ein Platz im Mittelfeld. Die Spitzenposition belegt Singapur mit 41 Punkten, gefolgt von Korea und Kanada. Die niedrigsten Werte haben Schülerinnen und Schüler aus Albanien und den Philippinen und Usbekistan mit weniger als 15 Punkten.
Im OECD-Durchschnitt kann jeder zweite Jugendliche bei einfachen Aufgaben oder Alltagsproblemen eine originelle und vielfältige Lösung entwickeln. Dabei ging es in der PISA-Studie um neue und vielseitige Ideen, aber auch um das Verbessern von bestehenden Konzepten.
In Deutschland ist jeder Vierte besonders kreativ
Die Auswertung der Technischen Universität München für Deutschland zeigt, dass immerhin 27 Prozent der 15 -Jährigen in kreativem Denken so gut abschneiden, dass sie besonders gute Voraussetzungen für die Berufswelt haben. Allerdings sind auch 22 Prozent der Jugendlichen kaum in der Lage, Ideen für einfache visuelle Designs und Darstellungen zu entwickeln oder Lösungen für Probleme zu finden.
Womit die Fähigkeit zum kreativen Denken zusammenhängt
Das PISA-Forschungsteam erklärt: Wer gut in Mathe, beim Lesen und in Naturwissenschaften ist, dem fällt das kreative Denken offenbar leichter. Denn Bildungssysteme, die beim kreativen Denken gut abgeschnitten haben, konnten fast immer auch mit guten Leistungen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften punkten.
Aber der Zusammenhang ist nicht eindeutig. Etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die besonders gut waren im kreativen Denken, zeigten keine besonderen Leistungen in den drei Kernkompetenzen. Das bedeutet, dass hervorragende schulische Leistungen keine notwendige Voraussetzung sind für besonders kreatives Denken.
Mädchen denken kreativer als Jungen
Mädchen schneiden im kreativen Denken deutlich besser ab als Jungen. Das liegt nicht nur an den besseren Leseleistungen von Mädchen. Sie haben insgesamt eine positivere Einstellung zur Kreativität und sind phantasievoller und offener für neue Perspektiven.
Schule soll stärker kreatives Denken fördern
Eine klare Aufforderung geht vom PISA-Forschungsteam an die Schulen: Schülerinnen und Schüler sollten in jedem Unterrrichtsfach Anregungen zum kreativen Denken erhalten.
Gerade in Deutschland sagen Heranwachsende mit am seltensten, dass der Unterricht auch auf kreative Lösungen eingeht. Außerdem finden sie weniger häufig als ihre Altersgenossen in der OECD, dass ihre Schulen und Lehrkräfte offen sind gegenüber kreativen Ansätzen und kreativem Denken.
Die Leiterin des deutschen Teils der PISA-Studie, Doris Lewalter von der TU München erklärt, dass kreatives Denken in jedem Fach gefördert werden könne. Dazu gehöre, dass Lehrkräfte offen seien für unterschiedliche Ideen, Antworten nicht sofort als richtig oder falsch abstempeln würden und auch vermeintlich schiefe Lösungsansätze mit den Heranwachsenden weiterentwickeln würden.
Studie zum kreativen Denken erfasst verschiedene Bereiche
Wie das kreative Denken der Schülerinnen und Schüler erfasst wurde, erklärt die stellvertretende Leiterin des PISA National Center in München, Dr. Jennifer Diedrich. Dazu habe es Aufgaben aus verschiedenen Feldern gegeben. Erfasst wurde "zunächst einmal das naturwissenschaftliche Problemlösen, das soziale Problemlösen und dann im Bereich Ausdruck sowohl der visuelle Ausdruck als auch der schriftlichen Ausdruck."
Die Schüler und Schülerinnen sollten Ideen liefern und verbessern
Dabei gab es unterschiedliche Herangehensweisen an Aufgaben. Es kam darauf an, entweder mehrere Ideen zu einem Thema zu liefern oder eine besonders weitreichende Idee.
In einer anderen Aufgabe ging es um das Verbessern einer vorgegebenen Idee. So ging es zum Beispiel in einer Aufgabe um das Thema "Rettet die Bienen" und die 15-Jährigen sollten überlegen, wie man auf das Artensterben der Bienen aufmerksam machen kann.
"In der ersten Aufgabe sollten sie drei verschiedene Ideen für Kampagnen auflisten", erklärt Jennifer Diedrich vom deutschen PISA National Center. Dann sei geprüft worden, ob die Ideen Sinn machten und wie sie sich voneinander unterschieden. "Im nächsten Schritt wurde den Jugendlichen dann eine Kampagnenidee vorgegeben und sie sollten diese weiterentwickeln. Sie also noch attraktiver machen für andere Jugendliche."
Dafür hatten die 15-Jährigen 30 Minuten Zeit. Allerdings bearbeiteten sie nicht alle Bereiche, sondern bekamen drei Aufgaben zugelost.
Wie bewertet die PISA-Erhebung kreatives Denken?
Das Auswerten der Aufgaben zum kreativen Denken war - anders als beispielsweise im Bereich Mathematik - nicht ganz einfach. Deshalb wurden die Antworten nicht digital ausgewertet, sondern von Menschen gelesen,. Sie konnten anhand eines Schemas bewerten, ob eine Lösung ein oder zwei Punkte verdient hat.
Dabei ging es darum, ob die Antwort international häufig oder selten genannt wurde. Eine häufige Idee war zum Beispiel, "dass man Plakate gestaltet und eine seltenere, dass man für eine Influencer-Kampagne noch diesen oder jenen Star gewinnt", so Psychologin Diedrich.
Die Bewertung, ob die Antworten eher naheliegend oder originell sind, basieren auf internationalen Vorstudien. So wurde geprüft, welche Ideen die Jugendlichen in den unterschiedlichen OECD-Mitgliedsländern zum Thema "Rettet die Bienen" liefern. Zudem wurde mit Fragebögen erfasst, wie kreativ oder offen gegenüber kreativen Ideen sich die Jugendlichen selbst einschätzen. Das wurden auch Eltern und Schulleitungen gefragt.
In Alternativen denken zu können wird immer wichtiger
Psychologin Diedrich hält es für sinnvoll, die Fähigkeit zum kreativen Denken bei Jugendlichen durch die internationale Schulleistungsstudie PISA zu erfassen. Denn "es ist für alle wichtig, dass man sich nicht nur auf eine richtige Lösung fokussiert, sondern auch bereit ist, Alternativen zu sehen. Das ist eine Kompetenz, die man fürs lebenslange Leben einfach braucht."