Die Misere bei der PISA-Studie liegt laut Experten der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd nicht nur an Corona und schlechten Deutschkenntnissen. Derzeit stünden vor allem diese beiden Faktoren als Begründung für das schwache Ergebnis deutscher Schülerinnen und Schüler im Vordergrund.
Gmünder Dozenten: Rückstand liegt nicht nur an Corona
Die beiden Dozenten an der Gmünder Hochschule, Silke Ladel und Uwe Maier, raten aber dringend zur Vorsicht: Die wirklichen Gründe für das bestürzend schlechte Abschneiden der 15-Jährigen in Lesen, Naturwissenschaften und vor allem in Mathematik liegen ihrer Beobachtung nach woanders.
Der Unterricht müsse wieder im Vordergrund stehen, fordern sie. Lehrkräfte seien viel zu sehr mit organisatorischen und erzieherischen Maßnahmen belastet, hat die Mathematikprofessorin Silke Ladel festgestellt. "Die Beschäftigung mit Gendern, Digitalisierung und Gewalt an Schulen ist zwar wichtig. Aber Inhalte fallen daneben oft komplett weg".
Auch der Schulpädagoge und empirische Schulforscher Uwe Maier fragt sich: Lenken die vielen Zusatzaufgaben die Lehrenden nicht vom konzentrierten Unterrichten ab? Seine zentrale Frage: Was haben 15-jährige Schülerinnen und Schüler in zehn Jahren Schulunterricht tatsächlich gemacht? Ging es tatsächlich ums Lernen?
Social Media verhindern Erholung des jugendlichen Gehirns
Das fragt sich der Gmünder Schulforscher auch im Zusammenhang mit der Freizeitgestaltung heutiger Schülerinnen und Schüler: Seit rund zehn Jahren spielen Social Media eine wichtige Rolle. Die Zeit, die sie vor dem Bildschirm verbringen, hat dadurch nochmal deutlich zugenommen. "Zeit, die mit Hausaufgaben konkurriert, die nicht fürs Lernen zur Verfügung steht", stellt Uwe Maier fest. Zeit, die aber auch für die Ruhephase des jugendlichen Gehirns nicht zur Verfügung steht, die es braucht, um das Gelernte zu verarbeiten.
Mathematik endlich wertschätzen
Silke Ladel weist auf ein weiteres Defizit hin: das schlechte Image der Mathematik hierzulande. "Zu sagen, dass man Mathe weder mag noch kann, ist gesellschaftlich anerkannt", stellt die Mathematikprofessorin immer wieder fest. Ihre Forderung: Eine andere Einstellung muss her! "Man muss stolz sein dürfen, dass man in Mathe gut ist." Dazu gehöre selbstverständlich auch zu erklären, warum Mathematikkenntnisse wichtig sind.
Sie selbst bemüht sich darum, angehenden Grundschullehrerinnen und -lehrern ein positives Mathe-Bild zu vermitteln. Die müssen oft Matheunterricht geben, und die Dozentin fordert eine verpflichtende Mathe-Grundbildung für Grundschullehrkräfte. "Wenn sie Mathe nicht studiert haben, ist die Qualität des Unterrichts in der Regel enorm schlecht."
Wenn die zukünftigen Lehrer und Lehrerinnen merken, dass sie sich zwar anstrengen müssen, aber ein Erfolgserlebnis haben, steigert es ihr Selbstbewusstsein, so Silke Ladels Erfahrung. Und in der Folge auch das der Kinder, denen sie Mathe beibringen.
Auch Studierende denken über Lösungen nach PISA-Studie nach
Nicht nur Lehrende suchen an der PH Schwäbisch Gmünd nach Auswegen aus der PISA-Misere - auch Studierende, die in ein paar Jahren selbst vor Schulklassen stehen werden. Eine Studentin, die namentlich nicht genannt werden will, macht sich über das schlechte Abschneiden beim Erfassen von Texten Gedanken. Kindern Spaß am Lesen zu machen, ist für sie ganz entscheidend. Es gibt zwar schon viele Leseprojekte, sagt sie. Aber es müsste mehr geben.
Für Sofie ist der Lehrermangel Teil des Problems. Im Grunde hat jeder Schüler einen eigenen Lernweg und braucht individuelle Unterstützung, erklärt die Lehramtsstudentin. "Differenzierter Unterricht" hat aber immense Mehrarbeit für Lehrerinnen und Lehrer zur Folge und bedeutet beispielsweise, statt einem Arbeitsblatt drei unterschiedliche zu erstellen - für schwächere und stärkere Kinder.
Ein Beispiel an Singapur und Japan nehmen
Dem Schulpädagogen Uwe Maier ist ein weiterer Aspekt wichtig: Das Schielen auf Länder, die bei den PISA-Ergebnissen vorne liegen, hilft seiner Erkenntnis nach nur bedingt, weil jedes Land seinen eigenen Weg finden muss. In einem Punkt schadet ein Blick auf Staaten wie Singapur oder Süd-Korea in diesem Fall nichts, findet Maier. Und zwar, was die Wertschätzung von Lehrkräften und von Wissen angeht.
In den ostasiatischen Ländern haben Lehrkräfte einen anderen Stellenwert als hierzulande. Die Menschen schätzen die Lehrerinnen und Lehrer wegen ihres Wissens und Könnens. In Deutschland geht es eher um Zeugnisse und Abschlüsse, in Asien stehen Wissen und Wissensvermittlung an sich im Vordergrund. "Da können wir noch eine Schippe drauflegen", findet Maier.