Parasozialität

Wie digitale Medien unsere Beziehungen prägen

Stand

Von Autor/in Anja Braun

Das Internet ist nicht nur ein Ersatz für Beziehungen im realen Leben, sondern kann auch die Bildung digitaler Beziehungen fördern. Die Rede ist von parasozialen Beziehungen.

Auf Social Media, Internet-Plattformen und in der Interaktion mit Chatbots entstehen zahlreiche parasoziale Beziehungen. Sie haben Einfluss auf unsere Beziehungen im realen Leben. Die sozialen Medien, ihre Plattformen und Chatbots sind nicht nur ein Ersatz für Beziehungen im realen Leben, sagt die Sozial-Psychologin Johanna Lisa Degen von der Uni Flensburg.

Es sind vor allem: "soziale Mechanismen, die dieses starke Nutzungsverhalten antreiben und ein starker Motivator sind. Es ist also digitale Beziehungsbildung und schon ein ziemlich neuer Ansatz." Die psychologische Forschung nennt das Parasozialität.

Parasoziale Beziehungen gibt es immer häufiger

Früher nannte man so einseitige Beziehungen zwischen Fans und deren umschwärmten Stars. Heute gibt es ein breites Spektrum an Parasozialität. Darunter zählen zum Beispiel Beziehungen, die über Messenger-Dienste oder Dating-Apps vermittelt werden. "Nutzerinnen können über Dating-Plattformen Beziehungen finden - fast die Hälfte aller Beziehungen, die sich formieren in den letzten fünf Jahren zumindest – die haben sich online gefunden.", erklärt Degen dazu.

Neues Phänomen: Internet-Eifersucht


Ziemlich rasch schließt hier das Thema Internet-Eifersucht an. Da geht es zum Beispiel darum, wieviel Zugriff man auf die Daten des anderen hat. Wann ist "Zugriff haben" in einer Beziehung Kontrolle? Und wo fängt emotionale Untreue eigentlich an? Ist es bereits das Liken von Bildern von anderen im Internet oder wem man zum Beispiel auf Social Media folgt? Und ist es möglicherweise schon micro-Cheating, wenn ich ein aktives Online-Dating Profil habe?

Performanceorientierung im Netz wirkt auf reales Leben

Sozialpsychologin Degen hat herausgefunden, dass unsere Vorstellungen von Sexualität zunehmend technisiert werden und performanceorientiert. "Das sieht man auch in der Dating-Kultur, dass man dann vielleicht intim wird, bevor man sich nah geworden ist. Und dass sich dann Performanceorientierung überlagert. Bis hin zu Personen, die versuchen keinen Orgasmus zu bekommen, damit man nicht ihr verzerrtes Gesicht dabei sieht."

Mädchen liegt im Bett und schaut auf ihr Handy. Parasoziale Beziehungen im Internet können auch einseitig sein – zum Beispiel mit Influencern.

Immer mehr Beziehungen werden digital organisiert

Nicht nur intime Beziehungen, sondern auch Familien und Freundschaften werden mittlerweile vermehrt über Messenger-Dienste oder andere Social-Media- Plattformen organisiert und gepflegt werden. Dabei werden auch wichtige Teile der Beziehungen ins Digitale verlagert:

 "Also ganz klassisch ist zum Beispiel, dass man Konflikte ungerne Face to Face austrägt, sondern dass dann lieber jeder im eigenen Zimmer und mit geschlossener Tür über WhatsApp erledigt. Da hat man auch ein bisschen mehr Zeit, um sich kurz zu beruhigen und kann auch immer aussprechen. Und interessanterweise gewöhnen wir uns an diese Art und finden es dann vermehrt schwierig, wenn es dann in der Face to Face Situation dazu kommt, dass wir zum Beispiel einen Konflikt haben."

Parasoziale Beziehungen können auch einseitig sein

Doch nicht nur zur Kommunikation mit anderen – auch schlicht zur Entspannung werden die sozialen Medien immer stärker genutzt: "Dabei spielt zum Beispiel auch die Vorhersagbarkeit der Inhalte eine starke Rolle. Also ich gehe an einen quasi sicheren Ort, der ist immer verfügbar und liefert stetig die Beruhigung, die ich da suche."

Das hat Auswirkungen auf unser Verhalten und unsere Möglichkeit uns selbst zu regulieren, erklärt Sozialpsychologin Degen auf einer Pressekonferenz der Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Beziehungen können heute durchaus einseitig sein – wenn man zum Beispiel Influencerinnen und Influencern folgt und so an deren Leben teilnimmt. Und selbst, dass hinter solchen Beziehungen ein wirtschaftliches Interesse steht, wird zunehmend als normal betrachtet.

Influencer vor der Kamera Parasoziale Beziehungen im Internet können auch einseitig sein – zum Beispiel mit Influencern.
Parasoziale Beziehungen im Internet können auch einseitig sein – zum Beispiel mit Influencern.

Parasoziale Beziehungen konkurrieren um unsere Zeit im echten Leben

"Da sehen wir solche Loyalitäts-Commitments zu Beziehungen, wo dann gesagt wird, natürlich, ich kaufe auch die Produkte, weil ich möchte diese Person unterstützen. Und da gewöhnt man sich sozusagen daran, dass da ein Business Case in sozialen Beziehungen mitschwingen kann und soll. Und dann beeinflusst das auch Beziehungskompetenz. Also man gewöhnt sich daran, an die immer verfügbare Beruhigung, an die Vorhersagbarkeit."

Problematisch ist dabei, dass diese digitalen Beziehungen um unsere Zeit und unsere Emotionen konkurrieren mit den echten Face-to Face Interaktionen. Und dass wir zunehmend an reale Beziehungen die gleichen Erwartungen haben wie an digitale: nämlich, dass sie ständig verfügbar sind, dass sie sich nicht verändern und uns nicht hinterfragen oder mit gegensätzlicher Meinung konfrontieren.

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