Kommunikationswissenschaft

Zuhören in Zeiten von Social Media

Stand

Der Informationsfluss ist hoch – die Aufmerksamkeit knapp. In Zeiten von Social Media scheint Zuhören schwieriger denn je und eine Lösung kaum in Sicht.

Wer nimmt sich die Zeit nachzulesen und anderen zuzuhören? Gerade Menschen die anderer Meinung sind? Eine spannende Frage, mit der sich der Medienwissenschaftler Professor Bernhard Pörksen in seinem aktuellen Buch "Zuhören" auseinandersetzt. In der 3sat-Sendung "NANO" sprach er darüber.

Social Media: Informationsaustausch im Zeitraffer

Yve Fehring, NANO: Über Social Media wird dauergesendet. Gleichzeitig lässt der Empfang nach. Wir hören kaum noch zu. Was macht das mit uns, mit unserer Gesellschaft?

Bernhard Pörksen: Nun, wir sehen gerade im Prozess dieser laufenden Medienrevolution, die vergleichbar ist mit der Erfindung der Schrift, mit der Erfindung des Buchdrucks. Die Vernetzung der Welt verändert die Zuhörverhältnisse in der Tiefe. Früher war Information knapp, heute ist Aufmerksamkeit knapp. Früher war es schwer, öffentlich auf Sendung zu gehen – das war das Privileg von wenigen. Heute ist es schwer, im allgemeinen Rauschen noch durchzudringen, und einige der intelligentesten Menschen sitzen im Silicon Valley hinter dem Bildschirm und versuchen, unsere Aufmerksamkeit zu halten, Datenprofile auszuforschen. Und das, so die These meines Buches, verändert die Zuhörverhältnisse radikal.

NANO: Die Aufmerksamkeit schwindet. Gleichzeitig hören wir nicht nur weniger, sondern wir hören auch nur noch das, was wir hören wollen. Im Wahlkampf wird das sozusagen auf die Spitze getrieben. Wie nehmen Sie das wahr?

Pörksen: Nun, ich glaube, man muss zunächst sagen: Wir Menschen sind – und das ist vielleicht keine besonders gute Nachricht – bestätigungssüchtige Wesen. Wir wollen Bestätigung, sind eingehüllt in den Kokon unserer Urteile und Vorurteile. Und wir erleben jetzt natürlich, dass sich in diesem Wahlkampf, der ein Wahlkampf der taktischen Themenvermeidung ist, noch einmal die Temperatur verändert. Gerade auf den letzten Metern: Angst vor einem Sieg populistischer Parteien, eine zunehmend persönliche Auseinandersetzung, aggressive Attacken. Aber das ist im Grunde genommen der Normalfall unter diesen überhitzten Bedingungen, die wir im Moment erleben.

Bernhard Pörksen in der Sendung NANO zu seinem Buch Zuhören in Zeiten von Social Media
Bernhard Pörksen in der Sendung NANO zu seinem Buch Zuhören in Zeiten von Social Media.

Pörksen: "Zuhören – eine Metapher für geistige Offenheit"

NANO: Wir haben gerade schon gesagt: Alarmistische Headlines haben Konjunktur, gerade bei Populisten. Hintergrundinfos fallen hinten runter. Wie sehr beeinflusst das unsere Kommunikation untereinander?

Pörksen: Es beeinflusst diese Kommunikation massiv. Wir erleben etwas, was ich in diesem Buch die Programmierung der Ungeduld nenne – also eine Orientierung in Richtung des Hypes, in Richtung des immer Neuen, in Richtung des Superlativs und des Grellen. Und das lässt sich auch empirisch zeigen, also es ist keine kulturpessimistische These.

Wir brauchen, wenn wir das Zuhören mit einer gewissen Ernsthaftigkeit zurückerobern wollen, neue Räume, definierte Räume – die Entscheidung, uns überhaupt einzulassen auf den anderen. Sehen Sie, ich verstehe das Zuhören als eine Metapher, als eine Metapher für Offenheit, für geistige Offenheit, für ein Durchlässigwerden gegenüber der Welt. Innere Gastfreundschaft – so hat es einmal die Musikerin Christina Thürmer-Rohr in einer wunderbaren Sprache ausgedrückt.

Frau Zuhören am Telefon. Social Media
Bernhard Pörksen findet: "Zuhören ist eine Metapher für geistige Offenheit." Gerade in Zeiten von Social Media müssen lernen, uns immer wieder auf unsere Mitmenschen einzulassen.

Populismus wie Donald Trump nutzen simuliertes Zuhören als strategisches Mittel

NANO: Aber interessanterweise geben gerade die Populisten vor, ein Ohr für die Ungehörten zu haben, und geben ihnen dann mit einfachen Antworten eine Stimme. Wie kann man denn Falschbehauptungen, Beleidigungen etc. überhaupt begegnen?

Pörksen: Nun, ich glaube, dazu braucht es sicher Medienbildung. Dazu braucht es eine Diskursanstrengung eigener Art. Dazu braucht es auch behutsame Regulierung. Und Sie haben es erwähnt: Das ist ja ein merkwürdiges Paradox. Ich würde sagen, der Populismus simuliert die Zuhörbereitschaft. "Wir hören euch", so heißt es. "Wir hören Volkes Stimme."

Aber was Populisten faktisch tun: Sie errichten permanent Zuhörerblockaden – mit ihrer Verfeindung, mit der Verzerrungsbereitschaft, mit dem Ausmaß an Desinformation, das sie streuen. Also wir können nachher schlechter zuhören. Aber Populisten gewinnen mit einem simulierten Zuhörerversprechen Sympathie.

Social Media kann besonders bei jungen Menschen anfängliche Symptome psychischer Erkrankungen verstärken. Zuhören wird da manchmal schwer.
In Zeiten von Social Media ist der Informationsfluss hoch, doch die Aufmerksamkeit begrenzt. Der Populismus nutzt simuliertes Zuhören als strategisches Mittel.

NANO: US-Präsident Trump treibt das Ganze noch auf eine beängstigende Spitze mit populistischen Ansprachen. Er verdreht bewusst Tatsachen – Wahrheit wird zur Lüge, Lüge zur Wahrheit. Wo wird das hinführen? Und wie sollten wir damit umgehen?

Pörksen: Nun, aus meiner Sicht wird das, was Olaf Scholz einmal eine Zeitenwende genannt hat, noch einmal in besonderer Deutlichkeit offenbar. Wir hatten auf der einen Seite den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, und wir erleben jetzt, dass der amerikanische Präsident im Grunde genommen eine populistische Internationale, eine Allianz der Populisten auch in Europa aufzubauen trachtet. Und dass er aus dieser Motivation heraus seinen Vizepräsidenten vorschickt und entsprechend auch versucht, in den Wahlkampf durch seine Stellungnahmen, durch seine Sympathiekundgabe zu intervenieren. Und das ist – man muss es so sagen – keine gute Nachricht.

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Stand
Das Interview führte
Yve Fehringer
Interview mit
Bernhard Pörksen
Onlinefassung
Richard Kraft
Richard Kraft, Reporter für SWR Wissen Aktuell.