Die Hürden für die Zulassung von Medikamenten und Impfstoffen sind hoch. Jeder Wirkstoff muss einen Prozess aus klinischen Studien durchlaufen. Darin werden Sicherheit, Dosierung und Wirksamkeit der Arzneimittel untersucht. Behörden erteilen nur dann eine Zulassung, wenn die Nebenwirkungen vertretbar sind und das Medikament wirksam ist. Es ist auch nur für diejenigen Gruppen zugelassen, die in den Studien untersucht wurden.
Schutzbedürftige Patient:innen von Studien ausgeschlossen
Besonders schutzbedürftige Patientengruppen nehmen aber selten an solchen Studien teil. Diese sogenannten vulnerablen Patienten würde man in Studien ausschließen, sagt Andreas Grund. Er führt mit seiner Firma GCP Services in Bremen klinische Studien im Auftrag von Arzneimittelherstellern durch.
Bei dem Ausschluss vulnerabler Gruppen geht es nicht nur um die Sicherheit der Probandinnen und Probanden selbst, sondern auch um junges, ungeborenes oder sogar noch gar nicht existentes Leben. Deswegen sind viele dieser Schutzbedürftigen Frauen. “Nämlich alle Schwangeren, alle Stillenden und aber auch alle gebärfähigen Frauen. Insbesondere, wenn sie nicht in besonderem Maße verhüten möchten”, erklärt Grund.
Studien nur mit Frauen, die doppelt verhüten
Meistens werden Frauen sogar nur dann in klinische Studien eingeschlossen, wenn sie doppelt verhüten. Denn in dieser Phase der Medikamenten-Entwicklung liegen meist noch keine Daten dazu vor, ob das Medikament fruchtschädigend, also schädlich für das ungeborene Kind ist.
Doppelt verhüten bedeutet in der Regel: Pille und Kondom. Ungewollt führt das aber dazu, dass eine weitere Gruppe aus den Studien ausgeschlossen wird: Frauen, die einen natürlichen, von Verhütungshormonen unbeeinflussten Zyklus haben. In seiner Firma schätzt Grund den Anteil der männlichen Probanden auf 70 - 80 Prozent.
Das führt dazu, dass diese Medikamente dann eigentlich nicht für Frauen zugelassen sind. Aber oft haben Ärztinnen und Ärzte keine andere Wahl, als ihre Patientinnen trotzdem damit zu behandeln, weil es an Alternativen fehlt. Eine falsche Dosierung könne die Folge sein, meint Andreas Grund.
Paradoxerweise führt also der gute Wille, besonders gefährdete Personengruppen zu schützen, dazu, dass sie besonders wenig Schutz erfahren: Anstatt innerhalb einer streng reglementierten und überwachten Studie werden den Patientinnen Medikamente sozusagen auf gut Glück verabreicht – ohne dass klar ist, wie diese sich auf ihren Organismus auswirken oder wie sie dosiert werden müssen.
Pharmaindustrie nicht allein in der Verantwortung
Studien, bei denen vulnerable Patienten einem Risiko ausgesetzt werden könnten, würden zuständige Ethikkommissionen und Behörden jedoch nicht genehmigen oder befürworten, sagt Grund; mit ethischen, moralischen oder berufsrechtlichen Argumenten. "Selbst wenn eine Pharmafirma sagen würde, das wäre jetzt wichtig, das zu wissen, würde diese Studie wahrscheinlich gar nicht starten können." Wird keine Studie durchgeführt, kommt das Medikament nicht auf den Markt. Andreas Grund sieht darin ein Dilemma.
Und damit nicht genug: Würde es zur Pflicht, Medikamente zusätzlich auf den weiblichen Organismus zu testen, würde sich die Zulassung verzögern und so der Leidensdruck aller steigen, die das Medikament benötigen.
Vorschlag: Zusätzliche Studien speziell für Frauen
Andreas Grund fordert deshalb, dass zunächst bei den Behörden ein Umdenken stattfinden muss. Nach der eigentlichen Zulassung könnten sie zum Beispiel eine weitere Studie, speziell für Frauen, von den Pharmaunternehmen verlangen.
Bei anderen Gruppen ist das schon der Fall, so gibt es zum Beispiel spezielle Kinderstudien. Denn schon länger ist klar: Kinder haben ihren eigenen Organismus mit Besonderheiten, die es zu beachten gilt. Sie sind nicht einfach kleine Erwachsene. Aber Frauen seien auch keine weiblichen Männer, so Grund.
Würde es spezielle Studien für Frauen geben, dann könnten Patientinnen, die diese Medikamente dringend brauchen, sicher behandelt werden. Zunächst in einem geschützten Rahmen einer wissenschaftlichen Studie. In der Folgezeit gäbe es für behandelnde Ärztinnen und Ärzte genug Informationen, um Medikamente sicher zu verabreichen – auch an Frauen.