Gerne sucht man die Ursache für eine Depression bei den Hormonen oder Genen oder man sagt "Frauen sind eben Sensibelchen". Das ist zu einfach gedacht, sagt Ursula Nuber – Frauen haben ein doppelt so großes Depressionsrisiko wie Männer und dafür gibt es handfeste Gründe.
Beziehung und Partnerschaft
Laut Nuber sind die Hauptverursacher von Depressionen bei Frauen ihre besonderen Lebensumstände, ihre besonderen Belastungen, aber auch die Art und Qualität ihrer Beziehungen. Wenn man depressive Frauen befragt, dann erzählen sie mehrheitlich von Problemen in der Partnerschaft, vom Unglücklichsein, von sich nicht Aufgehoben-, nicht Geborgenfühlen.
Frauen leiden sehr viel deutlicher als Männer unter schlechten Beziehungsverhältnissen. Und das sieht man z.B. auch daran – wie Studien zeigen – dass verheiratete Frauen ein höheres Depressionsrisiko haben als verheiratete Männer. Männer sind in ihren Beziehungen oft deutlich zufriedener, als es Frauen sind.
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Frauen haben anderen Stress
Ursula Nubers zwei große Thesen sind, dass Frauen in ihrem Leben anders gestresst werden als Männer und dass Frauen sich immer selbst die Schuld geben, wenn zwischenmenschlich etwas schief läuft. Diese beiden Hauptstränge zeigen sich auch immer wieder in der Praxis.
Der Stress von Frauen ist, im Gegensatz zu dem von Männern, meistens ein Beziehungsstress. Frauen sind sehr beziehungsorientiert, sie brauchen sehr viel Kontakt und Beziehungsnähe. Das ist auch bedingt durch die Sozialisation - Mädchen werden anders erzogen, wachsen anders auf als Jungs.
Und durch diese Beziehungsorientierung sind Frauen auch in einem besonderen Stress. Frauen wollen, dass Beziehungen funktionieren und glauben, dass sie für dieses Funktionieren verantwortlich sind. Dadurch tun Frauen oft sehr viel für die Beziehung.
Stressfaktoren
Weitere Stressfaktoren, die überwiegend Frauen betreffen, sind: chronischer Zeitmangel und der Druck, dass sie alles perfekt machen müssen.
Hinzu kommt Mutterschaft, alleinerziehend zu sein und die Pflege für alte Angehörige. Vieles lastet auf den Schultern von Frauen, weniger auf den Schultern von Männern. Das aber allein führt noch nicht in die Depression.
Depression tritt dann auf, wenn eine Frau das Gefühl hat, dass sie nichts zurückbekommt, sie gibt und gibt, aber nur wenig nehmen kann. Wenn sie das Gefühl hat, dass sie nicht wertgeschätzt wird und immer gegen eine Wand redet, sich alleine fühlt in ihren Beziehungen und unglücklich ist. Wenn dies der Fall ist, kann die besondere Stressbelastung von Frauen tatsächlich in eine Depression führen.
Gene, Persönlichkeit und Hormone
Die Gene, Persönlichkeit und Hormone können auch Auslöser für eine Depression sein. Für Nuber ist allerdings diese Absolutheit, in der viele Experten auf diese Faktoren schauen, nicht richtig. Zudem gibt es auch keine Beweise dafür.
Viele Frauen haben Hormonprobleme oder – störungen in der Pubertät, in den Wechseljahren, nach der Geburt eines Kindes, aber das alleine macht nicht depressiv. Natürlich gibt es auch den genetischen Faktor, der eine Rolle spielt, aber der spielt auch bei männlichen Depressiven eine Rolle. Damit lässt sich also das doppelte Depressionsrisiko für Frauen nicht erklären.
Stress und Beziehungsgeflechte als Auslöser für eine Depression wurde noch sehr wenig erforscht. Daher lässt sich der Anteil der Frauen, bei denen dies eine Rolle spielt, nicht beziffern. Die Erfahrung der Psychologin Nuber zeigt allerdings, dass sich immer diese Stressfaktoren im Leben einer Frau, die depressiv erkrankt oder in Gefahr ist depressiv zu erkranken, feststellen lassen.
Mehr Mut zur Wut
Nuber sieht als Vorzeichen für eine Depression vor allem einen Faktor. Frauen die Gefahr laufen depressiv zu erkranken, tappen meist in die "Nettigkeitsfalle". Sie versuchen alles richtig zu machen, und sich um des lieben Friedens willen zurückzustellen.
Sie sagen "ja", wo sie "nein" meinen, sie zeigen ihren Ärger und ihre Enttäuschung nicht, sie wollen nichts riskieren. Und das genau führt eigentlich in die Depression.
Aus Sicht von Ursula Nuber ist die Depression so etwas wie eine Aggressionserkrankung. Aggressionen, die sich eigentlich gegen jemanden anderen wenden, werden gegen sich selbst gerichtet. Das ist dann die Depression. Insofern rät die Psychologin den Frauen in dieser Situation zu lernen, die Stimme zu erheben, den Ton etwas lauter zu stellen und in ihren Beziehungen deutlicher "Ich" zu sagen und vielleicht ein bisschen weniger "Wir".
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Der Weg aus der Depression
Am besten ist es, dass Frauen sich professionelle Hilfe suchen, um aus der Depression herauszufinden. Für Nuber ist das Wichtigste eigentlich immer, ob alleine oder mit Unterstützung, dass das eigene Selbstwertgefühl gestärkt wird.
Die Frau soll lernen, in Beziehungen zu sich selbst zu gehen. Beziehungen sind wichtig, aber Beziehungen sind auch nicht alles. Und vor allem ist ihre Beziehung zu sich selbst erst einmal wichtig, dass sie mit sich selbst fürsorglich umgeht, mit sich selbst Mitgefühl hat, dass sie mit sich selbst gut befreundet sein kann. Dann kann sie das im nächsten Schritt auch anderen geben. Aber Frauen verlieren sich oft in den Beziehungen zu anderen und vernachlässigen sich selbst dann völlig.
Behandlung von Depression bei Männern
Nuber sieht auch die Behandlung von Depression bei Frauen anders als die Behandlung bei Männern. Bei depressiven Frauen geht es meist um die Stärkung des Ichs, des Selbstwertgefühls. Bei Männern geht es eher darum, dass sie Zugang finden zu ihren Gefühlen.
Männer erkranken eher an Depressionen, wenn sie Leistungsprobleme haben, es in der Arbeit nicht so klappt, wenn sie sozusagen das Gefühl haben, sie "stehen ihren Mann nicht mehr so". Dann kommen sie oft an ihre Gefühle nicht heran und wissen oft selbst nicht so genau, was mit ihnen los ist. Viele greifen dann auch zum Alkohol. Bei der Behandlung von depressiven Männern versucht die Psychologin eher, sie mit ihren Gefühlen in Kontakt zu bekommen, dass sie diese benennen und auch zulassen können.
Burnout oder Depression?
Dass heutzutage immer mehr zwischen Burnout und Depression unterschieden wird, sieht Nuber als keine gute Entwicklung. Burnout – die Krankheit der Leistungsträger - wird eher Männern zugesprochen, da die alltägliche Leistung von Frauen als selbstverständlich wahrgenommen und nicht so beachtet wird.
Für Nuber sind Frauen die Leistungsträger und wenn jemand unter Burnout leidet, dann sind es eher die Frauen, weil sie mit ihren besonderen Stressoren im Leben zu Recht kommen müssen.
Petra Haubner im Gespräch mit Ursula Nuber