Schamlippen, Schamhügel – schon die Begriffe zeigen, wie tabu die Vulva ist. „Viele Menschen kennen das weibliche Genital nicht so in seiner Komplexität, und das ist ein Skandal, ein medizinischer Skandal und auch ein gesellschaftlicher Skandal“, sagt Gynäkologin Prof. Mandy Mangler.
Und auch die Brust wird aus dem öffentlichen Leben verbannt: Auf Social Media werden weibliche Nippel zensiert, männliche nicht. Mandy Mangler im Gespräch mit dem SWR-Wissensmagazin „Impuls“ über den weiblichen Körper.
"Sexualität ist männlich geprägt"
Jochen Steiner, SWR Impuls: Wir sind ja umgeben von Sexualität, von Pornografie. Und doch läuft bei dem Thema viel schief, zum Beispiel in der Partnerschaft, wenn es mit der erfüllten Sexualität nicht so recht klappen will. Teilen Sie diese Ansicht? Oder sind Sie da ein bisschen optimistischer?
Gynäkologin Prof. Mandy Mangler: Das stimmt schon. Aber man kann einen optimistischen Blick darauf werfen: Es stimmt, wir haben in den Gesellschaft sehr viel mit Sexualität zu tun und stellen diese dar, aber eben sehr stark aus der männlichen Perspektive. Und diese männliche Perspektive führt dazu, dass es auch ein bisschen ein Ungleichgewicht gibt zwischen den Geschlechtern, in dem Gefallen von Sexualität und so dass diese landläufige Meinung besteht, Frauen möchten weniger Sexualität haben.
Das entspricht aber nicht den Studien und auch nicht meine Erfahrungen. Sondern die Form des Sexualität, die wir leben und darstellen, ist eben so männlich geprägt, dass sie vielleicht für einige Frauen nicht ganz passend ist.
Führungspositionen in der Gynäkologie überwiegend männlich besetzt
SWR Impuls: Jetzt sind Sie ja eine Frau und in der Gynäkologie tätig. Sind sie da eindeutig in der Minderheit? Oder warum kommen Sie zu der Aussage, dass die Gynäkologie patriarchal geprägt ist?
Mandy Mangler: Wir sind 77 Prozent Gynäkologinnen. Das bildet sich aber leider nicht in den Führungspositionen ab. Da gibt es starke Befragungen des Deutschen Ärztinnenbundes. Die hat an den Universitäten nachgefragt und Statistiken erhoben und festgestellt, dass nur 13 Prozent der universitären Führungspositionen von Frauen besetzt sind. Das bedeutet 87 Prozent sind männlich.
Das sind die Impulsgeber, die Menschen, die dann auch die Forschung bestimmen und die Richtung angeben und die Fragen stellen.
Erkrankungen von Frauen sind weniger erforscht
SWR Impuls: Haben Sie da konkretere Beispiele, was das für Folgen hat, wenn die Führungspositionen großteils männlich besetzt sind in diesem Fachbereich?
Mandy Mangler: Das führt dazu, dass wir zum Beispiel Erkrankungen bei Frauen haben, die nicht grundlegend erforscht sind und bei denen man zum Beispiel die Ursachen gar nicht weiß.
Nehmen wir zum Beispiel Endometriose. Wir können diese Erkrankung nicht richtig diagnostizieren, außer durch eine Operation. Das ist eigentlich relativ rückschrittlich. Es muss dringend in Forschung investiert werden, damit wir da eine Diagnostik finden, die dann wiederum dazu führt, dass man nicht so lange braucht, bis diese Erkrankung diagnostiziert wird.
Mein Körper - Meine Brüste: Was soll der Hype?
SWR Impuls: Sie sind prominent vertreten in einer SWR Wissen Doku-Reihe über die Sexualorgane. Da geht es im ersten Teil um die Brüste. Was wissen wir da noch nicht?
Mandy Mangler: Wir sind umgeben von Brüsten. Also die Brüste, die sollen da sein. Aber sie werden auch stark reglementiert. Einen weiblichen Nippel darf man öffentlich nicht zeigen. In den sozialen Medien wird das sofort zensiert, männliche Nippel hingegen nicht.
Und wir wissen Dinge über die Brüste nicht - zum Beispiel: Sind BHs medizinisch überhaupt notwendig? Welchen Vorteil haben sie? Oder warum wird die Brust eigentlich so gesellschaftlich belegt als Sexualorgan? Warum darf sie nicht einfach frei sein? Also warum wird sie dann immer verhüllt und bedeckt?
Stillen ist öffentlich nicht in Ordnung. In der Werbung dürfen aber Brüste gezeigt werden. Da gibt es ein großes Spannungsfeld. Da sollten wir noch mal genauer hinschauen, ob die Brüste nicht auch einfach nur ein Organ sind.
Forschung uneinig: Wieso haben Frauen Brüste?
Vagina, Vulva, Klitoris - was ist jetzt eigentlich was?
SWR Impuls: Der zweite Teil der Doku-Reihe heißt "Meine Vulva". Warum müssen wir Ihrer Meinung nach über die auch reden?
Mandy Mangler: Über die Vulva sollten wir reden, weil die auch sehr selten beim Namen genannt wird. Wenn wir von irgendetwas sprechen, dann vielleicht von Vagina oder Scheide. Und die Vulva ist aber das eigentliche Organ, was für Frauen relevant ist.
In der Vulva, der äußerliche Teil, liegt die Klitoris. Sie ist das Orgasmus Organ. Für uns Frauen ist die Vagina ein denkbar sagen wir mal langweiliges anatomisches Areal, weil da auch ganz wenig Nerven drin sind. Das hat die Evolution extra so gemacht, damit Geburt eben weniger schmerzhaft ist. Und deswegen ist es auch die Frage, welche Bedeutung hat diese Vagina wirklich funktionell? Da kann man sagen, wahrscheinlich nicht eine große, weil die Funktionalität, in der Vulva liegt.
Schwangerschaftsabbrüche: Mein Körper - Meine Entscheidung?
SWR Impuls: In ihrem Buch geht es auch um die politische Seite der Sexualität - Selbstbestimmtheit der Frauen, sexuelle Übergriffe, Schwangerschaftsabbruch. Letzteres ist ja auch in den USA in letzter Zeit großes Thema gewesen. Wie haben Sie die Debatte da verfolgt?
Mandy Mangler: Was in den USA passiert im Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche, das ist natürlich schmerzhaft zu sehen, weil es sehr stark genutzt wird, um Frauen auch den qualitativ hochwertigen Zugang zu Gesundheitsversorgung vorzuenthalten. Es gibt dort Staaten, in denen Frauen nicht versorgt werden, wenn sie zum Beispiel eine Eileiterschwangerschaft haben oder einen Abort und eine dringende medizinische Versorgung bräuchten, die Ärzte aber sich nicht trauen, diese vorzuhalten, weil sie sich strafbar machen würden im Zweifelsfall.
Das beobachten wir auch in anderen Ländern oder auch in Deutschland, wenn die Debatte um die Selbstbestimmung der Frau darin mündet, Frauen fremd zu bestimmen, und zu bestimmen, dass sie ungeplante Schwangerschaften austragen. Und mit so einer ungeplanten Schwangerschaft ist es ja nicht getan, weil dann kommt die ungerecht verteilte Care-Arbeit. Dann ist es schon auch wirklich schwierig, aus der Perspektive einer Frau zu ertragen.