Debatte um den Körper der Frau

Meine Nippel, meine Entscheidung: Warum die weibliche Brust noch immer provoziert

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Autor/in
Giordana Marsilio
Giordana Marsilio

Sexy, obszön oder unangemessen: Das sind Adjektive, die häufig fallen, wenn Frauen ihre Brustwarzen in der Öffentlichkeit zeigen wollen. Denn wenn es um die Nippel geht, sind Mann und Frau noch lange nicht gleich. Dass sich Männer ungeniert oben ohne zeigen dürfen, heißt noch lange nicht, dass Frauen das auch können, ohne dabei sexualisiert zu werden.

„Das Private ist politisch“

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es!“, schrieb 1949 Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“. Das Frau-Sein, so die Schriftstellerin, sei kein rein biologisches Merkmal. Weiblichkeit – und demnach auch Männlichkeit, die in patriarchalen Systemen ebenfalls einer bestimmten Vorstellung entsprechen müsse – sei immer auch gesellschaftlich konstruiert.

Frauenbrüsten mit Brustwarzenkappen in Form von Herzen an der Fassade eines Gebäudes in Paris.
Das Symbol der weiblichen Brust hat auch einen politischen Charakter: Die Emanzipation und Befreiung der Frau, die frei über ihren Körper entscheiden kann.

Nicht nur die Rolle der Frau in der Gesellschaft bildet bis heute die Grundlage für endlose Debatten, auch über den weiblichen Körper wird viel diskutiert. Die Feministinnen der 1970er-Jahre prägten den Slogan „Das Private ist politisch“. Und was gibt es Privateres als die weibliche Brustwarze?

Ganz im Gegensatz zu den Männern: Sie dürfen seit jeher oberkörperfrei herumlaufen, egal ob auf Konzertbühnen, in Schwimmbädern, im Fitnessstudio oder im Park. Anstoß an der Männerbrust nimmt aber niemand.

Weibliche Brust als soziales Konstrukt

Dass es einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Brust gibt, habe erstmal überhaupt keine Wertigkeit, erklärt Esto Mader im Gespräch mit Deutschlandfunk Nova. Mader forscht im Bereich der Soziologie und Gender Studies.

Wie wir Brüste wahrnehmen und welche Werte und Vorstellungen wir ihr zuschreiben, sei durch die Kultur und die Gesellschaft „sozial konstruiert“, so Mader. Die weibliche Brust auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, sei eigentlich „eine Forderung nach Gleichheit und Gleichberechtigung“ sowie eine Infragestellung der weiblichen Brust als Sexualobjekt.

Gemälde von Meta als „Pornografie“ eingestuft

Ein absurder Fall aus dem Jahr 2021 illustriert die unterschiedliche Wahrnehmung von männlichen und weiblichen Brustwarzen anschaulich: Nachdem Facebook und Instagram wiederholt Bilder aus den Wiener Kunstsammlungen blockierten, eröffneten die Wiener Museen, darunter die Albertina und das Leopold Museum, medienwirksam einen Account auf der Erotik-Plattform „OnlyFans“.

Meta, der Konzern hinter den beiden Social-Media-Giganten, hatte Kunstwerke wie die „Venus von Willendorf“ oder das „Liebespaar“ von Koloman Moser als „unangemessene Inhalte“ eingestuft, die gegen die Community-Richtlinien verstießen.

Gemälde von Moser, Koloman 1868-1918. 'Liebespaar', um 1913. Öl auf Leinwand,
Das Gemälde „Liebespaar“ von Koloman Moser, das sich im Wiener Leopold Museum befindet, wurde in einem Post auf Facebook blockiert, da es weibliche Brustwarzen zeigt.

#FreeTheNipple: Kampagne für die Befreiung der Brustwarzen

Bis heute ist es auch nach deutscher Gesetzgebung ein Straftatbestand, die weibliche Brustwarzen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Exhibitionistische Handlungen, zu denen die Zurschaustellung einer weiblichen Brust gehört, werden als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ geahndet. International ist die Kritik an der veralteten Gesetzgebung groß: So startete 2012 die amerikanische Schauspielerin und Aktivistin Lina Esco (u.a. „S.W.A.T.“) die Kampagne #FreetheNipple, auf Deutsch: „Befreit die Nippel“.

Der Hashtag verbreitete sich schnell in den sozialen Medien, die Kampagne wurde zur Bewegung. Prominente Frauen wie Miley Cyrus, Rihanna, Naomi Campbell und Lena Dunham unterstützten die Aktion auf ihren Social-Media-Kanälen.

Auch in Deutschland setzt sich das Dresdner Kollektiv „Gleiche Brust für alle“ mit Aktionen und Workshops dafür ein, dass Frauen ihre Brustwarzen zeigen dürfen – frei von allen Vorurteilen. Sie organisieren verschiedene Angebote, darunter eine Oben-Ohne-Bouldergruppe:

Oben-ohne in Schwimmbädern

Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau in Sachen Oberkörper wird jeden Sommer augenscheinlich, nicht zuletzt, wenn es ins Freibad geht. Man fragt sich immer wieder: Wieso dürfen Frauen sich nicht oben ohne sonnen, Männer aber schon?

schwimmbad schwimmbahn schwimmleine
Immer mehr Schwimmbäder erlauben Frauen deutschlandweit, oben ohne zu sein. Die Regel ist jedoch noch nicht überall gängig.

2023 wurde in einem Berliner Bad eine Frau mit freiem Oberkörper aufgefordert, sich zu bedecken oder die Anlage zu verlassen. Daraufhin legte sie Beschwerde ein – mit Erfolg. In Berliner Schwimmbädern dürfen seither alle Besucherinnen und Besucher ungeachtet ihres Geschlechts oberkörperfrei baden. Immer mehr deutsche Städte folgen diesem Beispiel und erlauben es Frauen, im Schwimmbad oben ohne zu sein. In Freiburg gilt das schon seit 2022. Die Journalistin und Autorin Julia Fritzsche fordert in ihrem Buch „Oben ohne“, es müsse „gleiche Regeln für unsere Oberkörper für alle Geschlechter“ geben.

Freie Entscheidung um den eigenen Körper

Es geht nicht allein um Brustwarzen. Die Nippel-Diskussion ist eine Diskussion über den Körper der Frau, der kontinuierlicher Einmischung und Sexualisierung ausgesetzt ist. Die Forderung der Aktivist*innen ist klar und simpel. Egal ob im Schwimmbad oder beim Sonnenbad: meine Nippel, meine Entscheidung.

Gespräch Neue Sichtweisen auf ein präsentes Körperteil – Anthologie „Brüste“ von Linus Giese und Miku Sophie Kühmel

Brüste werden angeschaut, kommentiert, in der Werbung und im Film oft sexualisiert. Neue Sichtweisen möchte die Anthologie „Brüste“ geben.

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Gespräch Julia Fritzsche, Journalistin: Gleiche Rechte für männliche und weibliche Oberkörper

Männer und Frauenbrüste sollten gleichbehandelt werden. Das fordert die Journalistin Julia Fritzsche. Anknüpfend an ihr neues Buch „Oben ohne. Warum die nackte Brust immer politisch ist“, sagte Fritzsche in SWR Kultur am Morgen: „Wir brauchen gleiche Regeln für alle Geschlechter für unsere Oberkörper“. Jede Kleiderregel, die nicht für alle gelte, bedeute nämlich Hierarchie. Zudem schließe die Regel: „Männerbrüste ja, Frauenbrüste nein“ queere Menschen komplett aus, kritisierte die Journalistin. In vielen indigenen Völkern sei Nackheit die Norm gewesen, betonte Fritzsche. Dass der weibliche Körper mittlerweile derart tabuisiert sei, liege an der Ausbreitung der monotheistischen Religionen. Außerdem hätten wir mit der Urbanisierung angefangen, uns für unsere Körper zu schämen. Wann und wo das Brüste-Bedecken begonnen habe, sei nicht ganz klar. „Wir können uns daran gewöhnen, dass alle Geschlechter oben ohne gehen“, so die Vision Fritzsches. Eine Normalisierung der weiblichen Brust sei möglich, „indem wir sie ignorieren, indem wir nicht gaffen und nicht belästigen und die Frau einfach oben ohne am Wasser ihre Romane lesen lassen.“

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Buchkritik Anja Zimmermann – Brust. Geschichte eines politischen Körperteils

Ob die Venus von Botticelli, die Karikatur der sogenannten Hottentottenvenus oder Angela Merkels Dekolleté bei einem Opernbesuch – der Busen ist seit Jahrhunderten ein beliebtes Streitobjekt. Die Kunsthistorikerin Anja Zimmermann hat der Geschichte des Politikums Brust nachgespürt.
Rezension von Eva Karnofsky.
Wagenbach Verlag, 272 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-8031-3732-6

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Gesellschaft Nackt sein – Zwischen Freizügigkeit und Schamgefühl

Oben ohne im Schwimmbad, nackt in der Familie, bedeckt in der Sauna: Womit wir uns wohlfühlen, hängt von Erziehung, Alter, Geschlecht, Kultur und von persönlichen Vorlieben ab.

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