„Das Private ist politisch“
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es!“, schrieb 1949 Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“. Das Frau-Sein, so die Schriftstellerin, sei kein rein biologisches Merkmal. Weiblichkeit – und demnach auch Männlichkeit, die in patriarchalen Systemen ebenfalls einer bestimmten Vorstellung entsprechen müsse – sei immer auch gesellschaftlich konstruiert.
Nicht nur die Rolle der Frau in der Gesellschaft bildet bis heute die Grundlage für endlose Debatten, auch über den weiblichen Körper wird viel diskutiert. Die Feministinnen der 1970er-Jahre prägten den Slogan „Das Private ist politisch“. Und was gibt es Privateres als die weibliche Brustwarze?
Ganz im Gegensatz zu den Männern: Sie dürfen seit jeher oberkörperfrei herumlaufen, egal ob auf Konzertbühnen, in Schwimmbädern, im Fitnessstudio oder im Park. Anstoß an der Männerbrust nimmt aber niemand.
Weibliche Brust als soziales Konstrukt
Dass es einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Brust gibt, habe erstmal überhaupt keine Wertigkeit, erklärt Esto Mader im Gespräch mit Deutschlandfunk Nova. Mader forscht im Bereich der Soziologie und Gender Studies.
Wie wir Brüste wahrnehmen und welche Werte und Vorstellungen wir ihr zuschreiben, sei durch die Kultur und die Gesellschaft „sozial konstruiert“, so Mader. Die weibliche Brust auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, sei eigentlich „eine Forderung nach Gleichheit und Gleichberechtigung“ sowie eine Infragestellung der weiblichen Brust als Sexualobjekt.
Gemälde von Meta als „Pornografie“ eingestuft
Ein absurder Fall aus dem Jahr 2021 illustriert die unterschiedliche Wahrnehmung von männlichen und weiblichen Brustwarzen anschaulich: Nachdem Facebook und Instagram wiederholt Bilder aus den Wiener Kunstsammlungen blockierten, eröffneten die Wiener Museen, darunter die Albertina und das Leopold Museum, medienwirksam einen Account auf der Erotik-Plattform „OnlyFans“.
Meta, der Konzern hinter den beiden Social-Media-Giganten, hatte Kunstwerke wie die „Venus von Willendorf“ oder das „Liebespaar“ von Koloman Moser als „unangemessene Inhalte“ eingestuft, die gegen die Community-Richtlinien verstießen.
#FreeTheNipple: Kampagne für die Befreiung der Brustwarzen
Bis heute ist es auch nach deutscher Gesetzgebung ein Straftatbestand, die weibliche Brustwarzen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Exhibitionistische Handlungen, zu denen die Zurschaustellung einer weiblichen Brust gehört, werden als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ geahndet. International ist die Kritik an der veralteten Gesetzgebung groß: So startete 2012 die amerikanische Schauspielerin und Aktivistin Lina Esco (u.a. „S.W.A.T.“) die Kampagne #FreetheNipple, auf Deutsch: „Befreit die Nippel“.
Der Hashtag verbreitete sich schnell in den sozialen Medien, die Kampagne wurde zur Bewegung. Prominente Frauen wie Miley Cyrus, Rihanna, Naomi Campbell und Lena Dunham unterstützten die Aktion auf ihren Social-Media-Kanälen.
Auch in Deutschland setzt sich das Dresdner Kollektiv „Gleiche Brust für alle“ mit Aktionen und Workshops dafür ein, dass Frauen ihre Brustwarzen zeigen dürfen – frei von allen Vorurteilen. Sie organisieren verschiedene Angebote, darunter eine Oben-Ohne-Bouldergruppe:
Oben-ohne in Schwimmbädern
Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau in Sachen Oberkörper wird jeden Sommer augenscheinlich, nicht zuletzt, wenn es ins Freibad geht. Man fragt sich immer wieder: Wieso dürfen Frauen sich nicht oben ohne sonnen, Männer aber schon?
2023 wurde in einem Berliner Bad eine Frau mit freiem Oberkörper aufgefordert, sich zu bedecken oder die Anlage zu verlassen. Daraufhin legte sie Beschwerde ein – mit Erfolg. In Berliner Schwimmbädern dürfen seither alle Besucherinnen und Besucher ungeachtet ihres Geschlechts oberkörperfrei baden. Immer mehr deutsche Städte folgen diesem Beispiel und erlauben es Frauen, im Schwimmbad oben ohne zu sein. In Freiburg gilt das schon seit 2022. Die Journalistin und Autorin Julia Fritzsche fordert in ihrem Buch „Oben ohne“, es müsse „gleiche Regeln für unsere Oberkörper für alle Geschlechter“ geben.
Freie Entscheidung um den eigenen Körper
Es geht nicht allein um Brustwarzen. Die Nippel-Diskussion ist eine Diskussion über den Körper der Frau, der kontinuierlicher Einmischung und Sexualisierung ausgesetzt ist. Die Forderung der Aktivist*innen ist klar und simpel. Egal ob im Schwimmbad oder beim Sonnenbad: meine Nippel, meine Entscheidung.