Geschichte

Wo und wann gab es die ersten Kalender?

Stand

Von Autor/in Gábor Paál

Kein Hinweisschild "Kalender" auf Monumenten oder Felszeichnungen

Wie es bei solchen Fragen nach dem "ältesten" Irgendwas ist, muss man sie alle paar Jahre neu beantworten, weil die Forschung etwas findet, was noch älter ist. Und so ist das auch bei den Kalendern. Wenn es um frühe Kalender geht, denken viele Menschen an steinerne Monumente wie Stonehenge und England. Stonehenge ist ungefähr 5.000 Jahre alt. Dass die Menschen, die Stonehenge errichtet haben, sich an Sonne und Mond orientierten, gilt heute als unstrittig. Doch es gibst längst noch viel ältere Kandidaten – andere Monumente oder auch Felszeichnungen in Steinzeithöhlen. Allerdings ist das immer Interpretationssache: Nirgendwo steht dick und fett "Kalender" drauf. 

Archäologen legten 12 ungewöhnliche Gruben in Schottland frei

Als ich diese Frage vor ein paar Jahren schon mal beantwortet habe, bin ich bei der Recherche auf eine steinerne Anlage in Schottland gestoßen, in Warren am River Dee. Dort hatten Archäologen ab 2004 etwas Ungewöhnliches freigelegt, nämlich 12 tiefe runde Gruben. Sie verteilen sich über eine Länge von etwa 50 Metern und bilden zusammen einen leichten Bogen. Die größten Gruben befinden sich in der Mitte des Bogens und haben einen Durchmesser von 2 Metern. Wenn man den Bogen entlangläuft, werden die Löcher also erst größer, dann wieder kleiner. Datierungen ergaben, dass die Gruben 10.000 Jahre alt sind. 

10.000 Jahre alter Mond-Kalender in Warren Field, Schottland
10.000 Jahre alter Mond-Kalender in Warren Field, Schottland

12 Gruben – 12 Mondzyklen?

2013 ging der britische Landschaftsarchäologe Vincent Gaffney mit der These an die Öffentlichkeit: Bei dieser Struktur handele es sich um den ältesten bisher bekannten Kalender der Welt.  Wenn man den Bogen entlanggeht, werden die Löcher erst immer größer, dann wieder kleiner – das steht für die verschiedenen Mondphasen, also den zunehmenden und abnehmenden Mond. Da es 12 Gruben sind, legt nahe, dass es etwas mit den 12 Mondzyklen eines Jahres zu tun hat.  Und es gab noch eine Reihe weiterer Hinweise.

Der Mond nimmt im Laufe eines Monats zu und wieder ab. Das ist bekannt und das haben auch schon die Steinzeitmenschen beobachtet. Im Alltag hat sie wohl aber nicht so sehr die Frage interessiert, ob nun gerade Halb- oder Vollmond ist. Relevanter zum Beispiel für die Jagd waren die Jahreszeiten. Auch da kann der Mond helfen. Denn der Mond geht übers Jahr an verschiedenen Stellen am Horizont auf. Der Halbkreis, in dem die Gruben angeordnet sind, könnte das zum Ausdruck bringen. 

Vincent Gaffney ist auch deshalb von seiner Interpretation überzeugt, weil die Erbauer der Gruben anscheinend auch gleich ein Problem berücksichtigt haben. Denn die Rechnung 12 Mondzyklen = 1 Jahr geht nicht ganz auf. Das Kalenderjahr ist in Wahrheit 11 Tage länger. Also mussten sie in ihren Mond-Kalender einen Korrekturfaktor einbauen. Hier weist die Struktur der Gruben eine interessante Linie auf, die genau auf den Sonnenaufgang zur Wintersonnenwende zeigt. Vermutlich haben die Menschen also immer im Winter ihren Mondkalender quasi auf Null gestellt, damit er mit dem Sonnenjahr wieder im Einklang ist.

Altsteinzeitliche Kalender in den Höhlen von Lascaux und Altamira?

Wie gesagt, diese schottische Anlage ist etwa 10.000 Jahre alt. Möglicherweise gab es die ersten Kalender aber schon viel früher. Die neuesten heißen Kandidaten sind nämlich mehr als dreimal so alt – und zwar handelt es sich um Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien. Die Malereien zum Beispiel in den berühmten Höhlen von Lascaux oder Altamira kennt man schon lange, aber sie enthalten einige Elemente, die man früher nicht recht deuten konnte und die einige Forscher jetzt als Kalender interpretieren.

Die Steinzeitmenschen haben in den Höhlen bekanntlich viele Tiere gemalt: Auerochsen, Pferde, Rotwild, Fische. Wenn man aber genau hinguckt, sind diese Tiere zusätzlich oft mit einer Reihe von Punkten oder kurzen Strichen markiert oder auch mal mit einer Figur, die an ein Y erinnert. Darauf konnte sich die Forschung früher keinen Reim machen. bzw. man hat gedacht, die Punkte zeigen z.B. die Zahl der erlegten Tiere an – aber das konnte nicht recht stimmen.

Forscher vermuten Paarungszeit von Tieren als Orientierung

2023 aber haben Forschende aus Cambridge einen Artikel veröffentlicht, in der sie diese Punkte und Y glauben erklären zu können. Die Punkte, sagen sie, stehen für den Monat, in dem sich die entsprechenden Tiere paaren. Das Y wiederum ist das häufigste Zeichen in diesen altsteinzeitlichen Bildern überhaupt. Und manchmal taucht es in solchen Punkt- oder Strichreihen auf. Die Vermutung ist nun, dass das Y den Monat anzeigt, an dem die jeweiligen Tiere ihren Nachwuchs bekommen.

Mit "Monat" sind dabei immer Mond-Monate gemeint, also 28 Tage. Die Forschenden haben geschaut, ob das stimmen kann. Wann paaren sich die Bisons? Im September/Oktober. Wann bekommen sie Nachwuchs? Im Juli – das haben sie Tier für Tier ermittelt. Das passte gut mit der Zahl der Punkte bzw. der Platzierung des entsprechenden Y zusammen, unter der Voraussetzung, dass die Steinzeitmenschen mit der Zählung im späten Frühjahr beginnen – also um den heutigen Mai herum. Das macht durchaus Sinn, denn aus der Sicht eines Steinzeitmenschen fängt im Frühjahr gefühlt alles an – es sprießt und blüht.

Wenn diese Interpretation stimmt, waren also die ersten Kalender bereits in den berühmten Höhlenmalereien von Frankreich und Spanien enthalten. Eins wird die Archäologie vermutlich aber nie endgültig klären können: Hatten die frühen Kalender eine praktische Funktion – also benutzte man in dem Fall das Wissen über die Paarungszeiten, weil es bei der Jagd geholfen hat? Oder hatten das Ganze in erster Linie eine spirituelle Funktion? Brachten die Menschen dadurch ihre Verbundenheit mit der natürlichen Umwelt zum Ausdruck?

Dieselbe Frage stellt sich auch bei den späteren Kalendern, den Anlagen, die nach bestimmten Sonnen- und Mondständen ausgerichtet sind. Diente das nur der zeitlichen Orientierung oder brachten die Menschen ihre Verbundenheit mit dem Gang der Gestirne zum Ausdruck?

Da sie ihre Motive nicht aufgeschrieben haben, wird man das nie endgültig sagen können. 

Zeitrechnung Wann wurde "Christi Geburt" zum Nullpunkt des Kalenders?

Im Jahr 525 nach Christi Geburt wurde eben diese Geburt zum Nullpunkt gemacht bzw. erstmals für die Kalender verwendet. Genauer muss man sagen: Das Jahr 0 gibt es nicht. Mit der mutmaßlichen Geburt Jesu Christi begann gleich das Jahr 1. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Zeitmessung Warum hat der Tag zwei mal zwölf Stunden?

Bevor es künstliches Licht gab, waren Tag und Nacht für die Menschen getrennte Welten. Aber wie konnte man nachts die Zeit überhaupt einteilen? Von Britta Wagner und Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Astronomie Werden die Tage zwischen Sommer und Winter gleichmäßig kürzer?

Nein: Die Tage werden am Anfang langsam kürzer, dann schneller, dann wieder langsamer. Am längsten hell ist es zur Sommersonnenwende – also am 21. Juni. Da vergehen von Sonnenaufgang bis Untergang 16 Stunden und 12 Minuten. Das andere Extrem ist die Wintersonnenwende am 21. Dezember,  da dauert der Tag 8 Stunden und 13 Minuten. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Zeitrechnung Warum ist der Februar so kurz?

Das liegt am römischen Kalender. Das Jahr begann damals nicht mit dem Januar, sondern mit dem März. Aber warum "fehlen" dem Februar Tage? Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Religion Warum feiert die orthodoxe Kirche Ostern später?

Die Ursache liegt in der Kalendergeschichte. Es gibt den julianischen und den gregorianischen Kalender. Den hat Papst Gregor XIII. nachgeschärft, um Kalenderungenauigkeiten zu beseitigen. Von Werner Mezger

Rituale Die 12 Raunächte – Magische Zeit zwischen den Jahren

Schlechte Energien wegräuchern, 13 konkrete Wünsche formulieren, die Kraft des dunklen Waldes spüren: Reinigende Rituale für die langen Nächte zwischen den Jahren gehen auf alte Bräuche zurück. 

Kultur Wie entstand die Kunst?

In den archäologischen Spuren lassen sich drei Phasen erkennen, wie sich die Kunst in der Evolution entwickelt hat. In der ersten Phase begannen unsere Vorfahren damit, Dinge zu verzieren. Wie ging es dann weiter? Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Raumfahrt Warum werden Missionen zum Mars geplant und nicht zur Venus – die liegt doch näher?

Der Mars ist zwar weiter weg, aber viel attraktiver für die Raumfahrt. Denn mit Kälte kommen Raumsonden besser zurecht als mit der Hitze und dem Druck auf der Venus. Von Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Zeitmessung Warum hat der Tag zwei mal zwölf Stunden?

Bevor es künstliches Licht gab, waren Tag und Nacht für die Menschen getrennte Welten. Aber wie konnte man nachts die Zeit überhaupt einteilen? Von Britta Wagner und Gábor Paál | Text und Audio dieses Beitrags stehen unter der Creative-Commons-Lizenz CC BY-NC-ND 4.0.

Brauchtum Wo hat der Aprilscherz seinen Ursprung?

Wir schicken Leute in den April, weil das Aprilwetter so unbeständig ist. Oder hat der Brauch mit Judas zu tun? Woher stammt der Aprilscherz? Von Werner Mezger.