Was ist der Unterschied zwischen einem absoluten und einem relativen Gehör?
Absolutes Gehör bedeutet, dass ich zu jemandem sagen kann "Sing mal ein G!" – und die Person trifft dann genau den richtigen Ton. Das ist eine besondere musikalische Gabe.
Selbst die meisten Musikprofis verfügen nur über ein relatives Gehör. Das heißt: Wenn man ihnen die Note C vorspielt, können sie daraus andere Töne ableiten. Sie können dann zum Beispiel problemlos ein E singen, denn sie wissen, dass zwischen einem C und einem E eine Terz liegt.
Menschen mit einem absoluten Gehör brauchen diesen Bezugston nicht; sie können auf Anhieb ein A oder ein C anstimmen.
Was ist bei Menschen mit einem absoluten Gehör anders?
Es ist noch nicht hinreichend geklärt, was im Gehör und im Gehirn von Absoluthörern anders abläuft. Aber es ist belegt, dass es Unterschiede gibt.
Eine Studie der York University in Toronto von 2019 weist darauf hin, dass bei Absoluthörern Teile des Hörzentrums im Gehirn um die Hälfte größer sind als bei Personen ohne absolutes Gehör. Das Hörzentrum ist für die Verarbeitung von Tonhöhen und Lautstärken zuständig. In der Studie hat bei Menschen mit absolutem Gehör ein deutlich größerer Hirnbereich auf die Tonfolgen reagiert. Außerdem schalten sich bei ihnen auch Hirnzellen benachbarter Hirnareale ein, wenn sie einen Ton hören. Diesen Vorteil scheinen Absoluthörern zu nutzen, um gehörte Töne sehr schnell und präzise bestimmen zu können.
Ist ein absolutes Gehör angeboren oder ist es auch erlernbar?
Die meisten Forscher und Forscherinnen gehen davon aus, dass ein absolutes Gehör durch eine Kombination von Veranlagung und Training zustande kommt. Es gibt eine Langzeitstudie mit Kindern ab 6 Jahren. Über Jahre hinweg hat man immer wieder Hirnscans der Kinder gemacht. Dabei stellte sich heraus: Es gibt im Gehirn tatsächlich anatomische Marker für das absolute Gehör, und diese Marker sind genetisch veranlagt.
Eine andere, kalifornische Studie von 2006 kam zu dem Ergebnis, dass diejenigen Studienteilnehmenden, die schon mit vier bis fünf Jahren ihren ersten musikalischen Unterricht hatten, wenn sie älter sind auch zu denen gehören, die beim Absoluthören die Bestwerte erreichen.
Mit dem absoluten Gehör ist es also ein bisschen wie mit der Fähigkeit, eine neue Sprache ohne Akzent zu sprechen. Erwachsenen gelingt das meist nicht mehr. Und die meisten Forscher gehen davon aus, dass Erwachsene auch kein absolutes Gehör erlernen können.
Die andere Frage ist: Kann jedes Kind mit dem richtigen Training ein absolutes Gehör bekommen? Hier gehen die Meinungen auseinander. Die einen glauben, das geht. Andere vermuten, dass das nur Menschen mit einer bestimmten genetischen Veranlagung können. Und manche Forscher gehen noch weiter, sie sagen: Nur spezifisch veranlagte Menschen sind in einer begrenzten frühkindlichen Phase in der Lage, ein absolutes Gehör zu entwickeln.
Wie viele Menschen besitzen ein absolutes Gehör?
Experten schätzen die Zahl der Absoluthörer in Europa und Nordamerika auf 1 von 10.000 Menschen. In Asien dagegen gibt es Regionen, in denen fast jeder Zweite ein absolutes Gehör hat. Und da sieht man wieder den Einfluss der Kindheit, denn das wird auf die jeweilige Muttersprache zurückgeführt. Mandarin ist eine sogenannte Tonsprache. Bei ihr hängt die Bedeutung der Wörter von der Tonhöhe ab. Wer also mit dieser Sprache aufwächst, schult sein Ohr darin, Klänge genau zu unterscheiden. So kann das Wort "ma", je nach Tonverlauf, "Mutter", "Hanf", "schimpfen" oder "Pferd" heißen.
Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass wir ein absolutes Gehör nicht ohne Hörtraining entwickeln können.
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