Das Leben im Kloster ist eine Urform der Isolation
Klöster sind das Paradebeispiel für die freiwillige Isolation intentionaler Gemeinschaften. Das Claustrum, also der "abgeschlossene Raum", ist eine Lebensform, bei der sich Mönche oder Nonnen bewusst von ihrer Umgebung abgrenzen und dabei nach eigenen Regeln leben, um eine selbst gewählte Existenzweise in die Praxis umzusetzen. Die Mauern um Klöster sowie die Pforte markieren die Isolationsbedingungen nach außen, die Klosterregeln machen sie nach innen möglich.
Trotz unterschiedlicher persönlicher Motivgeschichten für monastisches Leben bietet die Isolation eines Klosters eine klar strukturierte und sinnhafte Lebensform, wozu auch Strategien der Konfliktvermeidung gehören.
In einem Kloster erklärte mir einmal ein Mönch, warum der Kreuzgang so breit ist: damit sich emotional verstimmte Brüder leichter aus dem Weg gehen können.
Der europäische Astronaut Reinhold Ewald argumentiert übrigens ähnlich, wenn er fordert, dass man Raumstationen doch auch einmal „um die Ecke“ bauen sollte, damit man sich nicht immer zwangsläufig begegnen muss.
Isolation verstärkt negative Charaktereigenschaften
Eines der aufwändigen Isolationsexperimente ist HI-SEAS, ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Hawaii und der NASA – der amerikanischen Weltraumbehörde.
Das künstliche Habitat befindet sich inmitten einer rötlichen Geröllwüste am Fuße des Vulkans Mauna Loa. Die isolierte Wohngemeinschaft der vierten Mission bestand aus vier Amerikanern, einem Franzosen sowie der deutschen Geophysikerin Christiane Heinicke, die ein Jahr in diesem Habitat lebten.
Eine Crew aus einigermaßen rational denkenden Menschen kann erstaunlich viel aushalten, auch über mehrere Monate hinweg. Doch wenn nach einem halben Jahr kein Ende in Sicht ist, beginnt die Fassade zu bröckeln. Und auch die kleinsten Risse, die bei der Auswahl der Crew übersehen wurden, treten zutage.
Für Heinicke stand am Ende des Jahres ein eindeutiges Fazit fest: „Offensichtlich kehrte die Langzeitisolation die schlechtesten Eigenschaften in uns hervor, und zwar in uns allen.“
Die Biosphärensimulation liefert wertvolle Erkenntnisse
Nahe der Stadt Oracle in Arizona befindet sich die Biosphere 2, ein riesiges Terrarium aus Stahl und Glas. Biosphere 2 heißt: eine Art zweite Erde in Miniaturformat, komplett mit Mini-Ozean, Mini-Regenwald und Mini-Ackerland.
Am 26. September 1991 fiel der Startschuss für den ersten Einschluss. Acht Bionauten machten sich bereit, um auf dem Raumschiff Erde in Miniaturformat einzuchecken.
Probleme ließen nicht lange auf sich warten. Im Habitat herrschte hohes Artensterben, blütenbestäubende Tiere wie Bienen und Kolibris starben. Die Bionauten mussten ihre überlebensnotwendigen Pflanzen von Hand bestäuben. Noch dazu verbreiteten sich Fadenwürmer, Kakerlaken und Ameisen. Ungeziefer wurde zum Feind des Menschen.
Trotz oder gerade wegen dieser Probleme liefert das Biosphere-2-Experiment wertvolle Hinweise. Eine positive Gruppendynamik physisch isolierter Gruppen wird inzwischen als zentraler nicht-technischer Erfolgsfaktor für zukünftige Weltraumexplorationen angesehen. Zentral hierbei ist die Anpassungszeit an die künstliche Umwelt.
Im Experiment entwickelte die Crew der Biosphere-2 einen angepassten Lebensstil, der half, mit den Entbehrungen der Isolation umzugehen.
Die Corona-Krise hat die Gesellschaft in ein Labor verwandelt
Quarantäne, Lockdown, Social Distancing – wir leben plötzlich in einem Labor, erfahren Grenzsituationen. In der temporären Versuchsanordnung des Lebens dürfen und können wir wahrscheinliche und wünschenswerte Existenzformen erproben.
Hierbei könnte eigentlich alles auf den Prüfstand gestellt werden: Wie viele Regeln tun Menschen gut? Wie funktioniert Kooperation statt Konkurrenz? Was außer Geld brauchen wir wirklich zum Leben?
Auf dieser Basis ließe sich eine Blaupause für den Masterplan einer neuen Zivilisation erarbeiten.