JetztMusik - Glossar

Fluxus

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„Stehen – sitzen – gehen“. Das hat der Interpret der Drei Klavierstücke von George Brecht zu tun. Für Dick Higgins‘ Danger Music No. 15 lautet die Anweisung: „Arbeite eine Zeit lang mit Butter und Eiern.“ Beide Stücke sind 1962 entstanden, als „Fluxus“ erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: mit den „Internationalen Festspielen Neuester Musik“ in Wiesbaden. Hier bündelte Festivalorganisator George Maciunas, zugleich Wort(er)finder von Fluxus, die Gehversuche einer noch jungen, vielseitigen, neodadaistischen Aktionskunst, deren Spielformen sich gerade anfangs aus dem Geist der Musik speisten.

Viele Fluxus-Aspekte entsprechen denen des Ernsten Musikbetriebs. Etliche Fluxus-Leute, die zeitweise wie eine Gruppe agierten, darunter Yoko Ono, Nam June Paik, Al Hansen, Ben Patterson, Joe Jones, studierten ursprünglich Musik bzw. Musikwissenschaft oder besuchten die Kurse von John Cage an der New Yorker „New School of Social Research“. Fluxus-Stücken liegen Partituren zugrunde (so sind sie jederzeit wiederholbar); Aufführungen heißen Konzerte. Im Unterschied zum Happening behält Fluxus die Trennung von Akteuren und Publikum weitestgehend bei. Fluxus-Kompositionen (auch manche Fluxus-Objekte) verkehren die Nebensächlichkeiten des Musiklebens zu Hauptsachen, etwa das Händeschütteln der Interpreten, das Verbeugen des Pianisten oder des Dirigenten, die Blumenvase auf dem Klavier.

Fluxus-Stücke spielen mit den Bedeutungen der Gattungsbezeichnungen Sinfonie oder Sonate. Sie schockieren das Publikum durch entstellte Musikzitate des gängigen Repertoires (gerne aus dem Oeuvre Beethovens), durch das Zerstören von Instrumenten, durch Nacktheit auf der Bühne. Sie stellen die Frage, ob Musik überhaupt klingen muss, um Musik zu sein. Sie erklären Alltagsgegenstände oder Situationen aus dem ganz normalen Leben zur Kunst. „Kunst ist Leben = Musik“, sagte Wolf Vostell, der wie auch Joseph Beuys ein Fluxist war. In beider Werk nimmt die Musik selbst bzw. der Verweis auf musikalische Kontexte eine exponierte Stellung ein.

Das lateinische Adjektiv fluxus bedeutet „fließend, unsicher, wandelbar“. So fließend und vage wie der Begriff selbst sind auch die Definitionen von dem, was Fluxus war und ist. Historische Bezüge hat Fluxus u. a. zu Futurismus und Dada, zu Marcel Duchamps objet-trouvé-Kunst, zu Spike Jones‘ kritisch-humoreskem Musikentertainment. Fluxus-Einflüsse finden sich in der Performance und in der Klangkunst.

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Autor/in
SWR