Die Geschichte hinter der Musik

Schmuckstücke der Alten Musik: Diese Kompositionen sind eine Entdeckung wert

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Autor/in
Sebastian Kiefl
Sebastian Kiefl

Vom frühen Mittelalter über die Renaissance bis zum Spätbarock: Über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten entstand Musik, die heute unter dem Begriff „Alte Musik“ zusammengefasst wird. Grund genug, aus dieser Fülle ein paar Spezialitäten vorzustellen.

An dem reichen Schatz der Alten Musik bedienen sich zahlreiche Ensembles. Innerhalb der Noten verstecken sich Geheimnisse, die erst bei genauer Betrachtung zum Vorschein kommen. In der Reihe Hingehört! – Stars der Alte-Musik-Szene und ihre musikalischen Favoriten stellen die bekanntesten Interpretinnen und Interpreten der Alte-Musik-Szene ihre Lieblingsstücke vor.

„Per du“ mit den Rosenkranzsonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber

Die Geigerin Meret Lüthi kennt den Zyklus der Rosenkranzsonaten mittlerweile so gut, dass sie „per du“ mit der Musik ist. Die Sonaten sind vor 1687 entstanden, eine genaue Datierung gibt es nicht. In diesem Jahr starb der Salzburger Erzbischof Max Gandolf von Kuenburg, ihm ist Zyklus gewidmet.

Besondere Beachtung verdient die Ciacona, der erste Satz der vierten Sonate. Biber vergab selbst zwar keine Titel, in einem möglichen Autographen sind jedoch vor den jeweiligen Sonaten Kalligrafien gesetzt, bei der vierten Sonate ist die Darstellung Jesu im Tempel zu sehen, ein beliebtes Motiv, neben der Musik auch in der Darstellenden Kunst.

Die Darstellung Jesu im Tempel, Bleiglasfenster in der Sacre-Ceour in Moulins
Die Darstellung Jesu im Tempel ist die vierte Sonate von Bibers Rosenkranz-Sonaten, damit befindet sich die Sonate im „freudenreichen“ Rosenkranz. Das Motiv der Darstellung im Tempel ist ein beliebtes Motiv in der Kirchenkunst, wie z. B. in einem Fenster der Sacré-Cœur in Moulins zu sehen ist.

Der schreitende Charakter der Ciacona erinnert an eine Prozession, als könnte man der heiligen Familie beim Gang zum Tempel zuhören. Vier Takte stellen dabei ein Thema vor, das wiederholt wird, vier weitere Takte schließen das Motiv. Die Motive steigern sich stetig, der Gang intensiviert sich.

Lüthi zeigt in ihrer Interpretation, wie andächtig Instrumentalmusik sein kann, eine Funktion, die oft der Vokalmusik zugeschrieben wird. Teil der Darbringung im Tempel war das Reinigungsopfer.

Gemäß der Bibel sollen ein einjähriges Schaf und eine Felsentaube geopfert werden, bei fehlenden finanziellen Mitteln reichten zwei Turtel- oder Felstauben aus (Lev 12, 1–8). In der Musik ist jenes Opfer zu hören, ein rascher Bogen über die Saiten zeichnet die Tauben, wie sie wild durch den Tempel flattern.

Heinrich Ignaz Franz Bibers Ciacona in d-Moll, gespielt von Meret Lüthi

Ciacona in D Minor "The Presentation in the Temple"

Zittern vor dem jüngsten Gericht: Francesco Cavallis Requiem

Während Cavallis Requiem 1675 entstand, nutzte er eine Technik, die sich im vorherigen Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute: die Vokal-Polyphonie. Cavalli schrieb die Totenmesse für sich selbst, nach seinem Tod sollte sie zwei Mal pro Jahr aufgeführt werden.

Eine der Besonderheiten erklärt die Oboistin und Schalmei-Spielerin Katharina Bäuml: Hier gebe es keine Hierarchien, ob vier Sänger und ein Instrument beteiligt seien oder umgekehrt, die Musik und Dynamik sollte einfach funktionieren, die Stimmen waren untereinander austauschbar.

Das Jüngste Gericht, zentrales Tympanon über dem Portal der Kathedrale Notre Dame in Paris.
Das Jüngste Gericht, zentrales Tympanon über dem Portal der Kathedrale Notre Dame in Paris. Auf mehreren Ebenen wird das Geschehen wie bei Cavallis „Dies irae“ gezeichnet. Das Zittern der zu richtenden und die hoffnungsvolle Rufe nach Erlösung.

Das Herzstück des Requiems ist das „Dies irae“, hier wird ein Gemälde des Jüngsten Gerichts gezeichnet. Die ersten Takte beginnen langsam, doch der Sturz in die Tiefe geschieht rasant, nach nur wenigen Takten verdoppelt und vervierfacht sich die Geschwindigkeit. Ein Phänomen, das sich am besten in einer großen Kathedrale mit viel Echo bestaunen lässt.

Cavalli zeigt in diesem Stück, wie mit musikalischen Mitteln das jüngste Gericht eindrucksvoll gezeichnet werden kann: So betteln die zu richtenden mit zitternder Stimme, dargestellt durch einen Tremor. An späterer Stelle bricht der Chor auf in einzelne Stimmen. Jede einzelne bettelt um Erlösung.

„Dies irae“ aus Francesco Cavallis Requiem unter der Leitung von Katharina Bäuml

Missa pro defunctis, Introitus: Sequentia. Dies irae

Weltbekannt: Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-Moll

Sie ist das berühmteste Orgelstück der Welt: die Toccata und Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Auch unter Organistinnen und Organisten ist das Stück beliebt, eine Wiederentdeckung ist es also keinesfalls. Doch hinter der Prominenz des Stückes verbergen sich Herausforderungen, die viele gar nicht auf dem Schirm haben.

Denn an der Orgel gibt es keine Dynamik, mit den Tasten lässt sich die Lautstärke nicht wie am Klavier steuern. Ton Koopman ist einer der bekanntesten Organisten und erklärt, wie man dennoch die Toccata spannend gestaltet.

Ein Mordent – also ein Triller zur nächst tieferen Note – verschafft der berühmten ersten Note der Toccata den bekannten Klang. Das Timing spielt hierbei eine wichtige Rolle, nicht zu lang und nicht zu kurz darf der Triller sein.

Ton Koopman spielt J. S. Bachs Toccata und Fuge in d-Moll

J.S. Bach: Toccata and Fugue in D Minor, BWV 565

Das gesamte Stück ist gespickt mit Kontrasten, in keinem anderen Stück arbeitet Bach mit so vielen Tempoänderungen. „Diese Musik ist Theater“ sagt Ton Koopman, doch sie brauche Zeit – und den richtigen Raum. Eine kleine Kirche mit trockener Akustik bedarf einer anderen Interpretation als eine riesen Kathedrale mit viel Hall.

Der Theorie, das die Toccata ursprünglich ein Stück für Geige gewesen sei, erteilt Koopman eine klare Absage. Dafür sei vor allem die Fuge zu dicht und zu leise. Eine weitere Besonderheit des Stückes: Es endet in Moll. Das ist zwar ungewöhnlich – auch bei Bach – doch die ältesten Quellen belegen es.

Alle Folgen von „Hingehört“

Alte Musik In der Werkstatt von Jean-Philippe Rameau: Konzerte im Taschenformat "Pièces de clavecin en concerts"

"Die Schüchterne", "Pantomime" oder "Die Indiskrete" heißen die Satzüberschriften von Rameaus "Pièces de clavecin en concerts": diskrete Anspielungen auf Menschen und ihre Eigenschaften. Die "Piéces" sind die einzigen kammermusikalischen Stücke aus Rameaus Feder, Cembalokonzerte im Taschenformat, mit einer Geige und einer Gambe als Begleitinstrumente. 1741 hat er dieses Feuerwerk an musikalischen Ideen im Druck veröffentlicht, auf der Höhe seines künstlerischen Ruhmes.
Ein paar Jahre früher mischte Rameau mit seiner ersten Oper "Hippolyte et Aricie" die Musikwelt auf - die Geigerin Michi Gaigg gibt Einblicke.

Jean-Philippe Rameau:
Bruit de tonnerre aus: Hippolyte et Aricie. Suite für Orchester
L'Orfeo Barockorchester
Leitung: Michi Gaigg
Jean-Philippe Rameau:
aus: Pièces de clavecin en concerts:
La Forqueray
La timide - Rondeau I und II
Tambourin I - Tambourin en rondeau
Rachel Podger (Barockvioline)
Jonathan Manson (Viola da gamba)
Trevor Pinnock (Cembalo)
Jean-Philippe Rameau:
Hippolyte et Aricie. Suite für Orchester
L'Orfeo Barockorchester
Leitung: Michi Gaigg

SWR2 Alte Musik SWR2

Hingehört - Stars der Alte-Musik-Szene und ihre musikalischen Favoriten Ohne geht’s nicht: Ton Koopman und Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-Moll

Ton Koopman wollte schon als kleiner Steppke Orgel spielen, musste aber noch warten bis seine Beine auch lang genug waren, damit er an die Pedale kommt. Mit 6 hat er dann angefangen, mit 12, 13 Jahren spielt er die Toccata und Fuge von Johann Sebastian Bach, BWV 565. Ein Werk, das er immer wieder spielt, weil es einfach ohne nicht geht.

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A cappella auf YouTube Voces8: Alte Musik, Pop und die Vielseitigkeit der menschlichen Stimme

Millionen YouTube-Clicks und eine Grammy-Nominierung 2023: In Sachen Repertoire haben die Sängerinnen und Sänger von Voces8 kaum Berührungsängste.

Das Musikporträt SWR Kultur

Alte Musik Wild, stark, mutig: Die Komponistin Barbara Strozzi

Vielleicht ist Barbara Strozzi die bedeutendste Komponistin der Barockzeit. 1619 wurde sie in Venedig geboren und machte singend und komponierend eine ungewöhnliche Karriere. Sie hat ihre Musik in 8 großen Sammlungen im Druck herausgebracht; immer geht es darin um die menschlichen Leidenschaften: um Liebe und Schmerz, Demut und Überschwang. Doris Blaich spricht über diese faszinierende Frau mit der amerikanischen Musikwissenschaftlerin Beth Glixon und mit der Sopranistin Dorothee Mields. (SWR 2019)
Musikliste:
Barbara Strozzi:
"Mi fa rider la speranza", Aria op. 7 Nr. 10
Emöke Baráth (Sopran)
Il pomo d'oro
Leitung: Francesco Corti
"L'Eraclito amoroso", Kantate op. 2 Nr. 14
Dorothee Mields (Sopran)
Hille Perl (Viola da gamba)
Lee Santana (Laute)
(Live-Mitschnitt von den Ettlinger Schlosskonzerten des SWR)
"L'astratto", Kantate op. 8 Nr. 4
Emöke Baráth (Sopran)
Il pomo d'oro
Leitung: Francesco Corti
"Lagrime mie", Lamento op. 7 Nr. 4
Dorothee Mields (Sopran)
Hille Perl (Viola da gamba)
Lee Santana (Laute)
(Live-Mitschnitt von den Ettlinger Schlosskonzerten des SWR)
"O Maria quam pulchra es", Motette op. 5 Nr. 7
Maria Cristina Kiehr (Sopran)
Concerto Soave
"Priego ad amore", Madrigal op. 1 Nr. 15
Cappella Mediterranea
Leitung: Leonardo García Alarcón

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