Kommentar

Schluss mit Jammern und rein in die Konzerthäuser!

Stand
Autor/in
Albrecht Selge
Albrecht Selge

Vor allem in den letzten fünf Jahre hat sich gezeigt, dass man genügend Gründe zum Jammern findet. Doch trotz – oder gerade deshalb – sollte auch mal ein Loblied gesungen werden. Zum Beispiel auf die einzigartige Kulturlandschaft, die wir in Deutschland besitzen.

Deutschlandweit 130 professionelle Orchester

Missmut ist Volkssport in Deutschland, nicht nur derzeit und nicht nur politisch. Auf Instagram gibt es einige ziemlich lustige Accounts von Zuwanderern, die satirisch aufzeigen, wie man ein echter Deutscher wird: indem man an allem was zu mäkeln findet. 

Dabei leben wir in Deutschland im Paradies! Nicht nur in Sachen Wohlstand, sondern auch in punkto Fülle des Wohllauts. Unsere Menge an professionellen Orchestern, etwa 130 gibt es, und an Opernhäusern und Theatern ist weltweit einzigartig.

Deutschland ist ein Kulturland

Das darf man ruhig mal so großtönig herausposaunen, ganz ohne Chauvinist zu sein. Na gut, pro Kopf haben die Finnen noch mehr: 30 Orchester auf gut 5 Millionen Einwohner. Aber auch das ist ist kein Grund zum Mäkelä, Verzeihung: zum Mäkeln.

In Finnland ist bekanntlich immer alles noch großartiger. Dann sind wir halt am zweit-einzigartigsten. Unser Kulturland Deutschland ist toll!

Kulturparadiese in der tiefsten Provinz

Zugegeben, ich habe leicht posaunen, ich lebe in Berlin, wo wir sowieso die meiste Hauptstadt der Welt finden, nicht nur kulturell. Neben unseren knallberühmten Philharmonikern sind da diverse Opernorchester, Rundfunk-Ensembles und wunderbare freie Gruppen. 

Aber auch wenn es mich in die sogenannte tiefe Provinz verschlägt, also von Berlin aus gesehen zum Beispiel nach Hamburg oder München, Köln oder Stuttgart, finde ich mich im Kulturparadies wieder. 

Seltene Kammermusik in Bad Godesberg

Aber jetzt mal im Ernst: In den letzten Jahren habe ich ein absolut solides Sinfoniekonzert mit Grieg und Sibelius im kleinen Quedlinburg im Harz gehört oder eine vorzügliche Wagneroper in Cottbus.

Seltene Kammermusik gab es in Bonn-Bad Godesberg, einen exquisiten Vampyr von Heinrich Marschner im sächsischen Radebeul. Da waren übrigens auch Freunde aus Frankreich und den Niederlanden dabei, und die meinten: Euer Kulturangebot in Deutschland ist der Wahnsinn. 

Man muss auch hingehen!

Aber wir müssen ihn eben auch schätzen, diesen Schatz. Denn ohne Publikum verliert er seinen Wert. Also, hingehen! Und ruhig auch mal frohgemut was wagen, wohin es einen nicht direkt zieht – vielleicht sogar zu gefürchteter „moderner Musik“?

Zum Mendelssohn-Violinkonzert kann man ja trotzdem weiter gehen, das mache ich auch, gerade habe ich eine phänomenale Aufführung mit der Geigerin Alina Ibragimova erlebt – als würde ich es zum ersten Mal hören.

Auch mal Unbekanntes wagen

Aber wer weiß, was noch zu holen ist, wenn man sich auch zum ganz Unbekannten wagt? Der Einsatz ist gering, man riskiert nicht mehr als zwei, drei Stunden Lebenszeit. Vielleicht jedoch macht man eine richtige Entdeckung. 

Und falls nicht: können wir immer noch mäkeln. Win-win! Aber mäkeln wir im Bewusstsein unseres kulturellen Reichtums.

Mehr zur Entwicklung unserer Kulturlandschaft

Die Oper ist nicht tot! Zahlen aus den Opernhäusern in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Die neue Saison 2024/25 ist dieser Tage angebrochen. Wissen unsere Häuser im Südwesten, wie alt ihr Publikum ist? Erstellen Orchester, Konzert- und Opernhäuser bei uns denn auch solche Besucherstatistiken? Und vor allem: Wenn die Häuser was über ihr Publikum rauskriegen, ändern sie dann die künstlerischen Pläne, ihre Programme und Spielpläne? Sven Scherz-Schade ist den Fragen zur Altersstruktur des Publikums nachgegangen.

Treffpunkt Klassik SWR Kultur

Kommentar Instagram und ein günstiger Preis: Das Opernhaus Amsterdam holt die junge Generation ins Haus

Die nationale Oper Amsterdam ist besonders erfolgreich darin junges Publikum für ihre Vorstellungen anzuziehen: Die Rede ist von 20 bis etwas mehr als 25 Prozent Opern- und Ballett-Besucherinnen und -Besuchern, die laut Angaben des Amsterdamer Opernhauses jünger sein sollen als 34 oder 44 Jahre – und das bei einer Auslastung von 96 Prozent. . Wie macht das Opernhaus das – und warum kann das vorbildlich sein auch für Opernhäuser andernorts? Hannah Schmidt hat sich dazu Gedanken gemacht.

Treffpunkt Klassik SWR Kultur

Kommentar Zukunft der Konzerthäuser: Braucht es innovative Konzertformate oder nerven die nur?

Der Klassikbetrieb soll sich neu erfinden, um ein junges Publikum anzusprechen. Muss die klassische Konzertform weg oder nerven innovative Konzerte nur?

SWR2 Treffpunkt Klassik SWR2