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Das Quatuor Modigliani spielt Grieg und Smetana: „Große Quartettkunst“

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Autor/in
Susanne Stähr
Susanne Stähr

Vor 200 Jahren, am 2. März 1824, wurde Bedřich Smetana geboren. Das Quatuor Modigliani hat aus diesem Anlass sein erstes Streichquartett aufgenommen, in dem der Komponist in Tönen aus seinem Leben erzählt. Gekoppelt wird das Smetana-Quartett mit einem anderen bekenntnishaften Werk, dem g-Moll-Quartett des Norwegers Edvard Grieg.

Hier geht es um ernste Dinge, um das unerbittliche Schicksal. Edvard Grieg war in einer Lebenskrise, als er sein g-Moll-Quartett komponierte: Er zweifelte an seinem Talent. Und um seine Ehe stand es auch nicht zum Besten. 

Eine Quartettexplosion

So kopflos hat wohl selten ein Kopfsatz begonnen. Was das Quatuor Modigliani hier wagt, ist kein erlesenes Quartettspiel, sondern eine Quartettexplosion, von Null auf Hundert in wenigen Sekunden.

Die Interpretation des französischen Quartetts erinnert an einen elementaren Schrei – und man mag an den anderen großen norwegischen Edvard denken, an den Maler Munch mit seinen „Schrei“-Gemälden.

Doch sollte man sich nicht täuschen. Die Modiglianis erzielen diese Passion durch äußerste Präzision. Sie wissen, was sie tun, auch wenn dem Publikum dabei gerade Hören und Sehen vergeht.

Volkston mit Herzenswärme

Die vier verstehen sich aber auch auf den Volkston. Grieg stimmt im dritten Satz seines Quartetts einen Halling an, einen norwegischen Volkstanz. Die Musiker des Quatuor Modigliani beziehen zunächst ganz gesittet Aufstellung, jedes Instrument markiert seinen Platz. Aber dann bricht plötzlich der Irrsinn aus.

Unheimliche Stimmen mengen sich ein und reißen den gemütlichen Tanz in einen Strudel. Doch nur für einen Moment … Denn schon sind die Modiglianis bei einer gesanglichen Romanze gelandet, die sie mit anrührender Herzenswärme intonieren.

Originelle Klangfarben

Was hat dieses Ensemble nicht alles an Klangfarben auf Lager! Auch bei Smetanas Quartett spielt das Quatuor Modigliani den Dorftanz aus dem zweiten Satz mit merkwürdig überdehnten Akkorden, dann klingt es fast wie eine Ziehharmonika. Und auch etwas gequält.

Ganz anders ist das zunächst im vierten Satz: Hier preist Smetana die elementare Kraft der tschechischen Musik, die aus den Volkstänzen geboren ist. Die Modiglianis spielen das nicht nur mit musikantischem Elan, sondern auch mit unendlicher Liebe zum Detail. 

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Ein Wunder an Psychologie

So könnte es ewig weitergehen in diesem Finalsatz und mit Smetanas Quartett, das er „Aus meinem Leben“ genannt hat. Aber als man schon glaubt, in der Schlusskurve gelandet zu sein, geschieht Ungeheuerliches: Ein schriller hoher Ton! Die Primgeige stimmt ein viergestrichenes E an. 

Das Schicksal hat zugeschlagen. Diesen stechenden Ton hörte Smetana unmittelbar, bevor er ertaubte. Was das Quatuor Modigliani nach diesem Schockmoment darbietet, ist ein Wunder an Psychologie. Das Leben fällt in sich zusammen, verblasst zur Erinnerung. Es ist, als ob die Farbe aus einem Bild entweichen würde. 

Und so löst sich am Ende alles auf. Eine große Tragödie – aber auch große Quartettkunst, musikalisch wie menschlich.

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